Menôn
: Sôkratês : Pais Menônos : Anutos
Menon, Sokrates, ein Knabe des Menon, Anytos
[1. Frage
des Menon nach der Lehrbarkeit der Tugend]
[70a] MEN.
echeis moi eipein, ô Sôkrates, ara didakton hê aretê?
ê ou
didakton all' askêton?
ê oute
askêton oute mathêton,
alla phusei
paragignetai tois anthrôpois ê allôi tini
tropôi?
(70 a) Menon: Kannst du mir wohl sagen, Sokrates, ob die Tugend
gelehrt werden kann?
Oder ob nicht gelehrt, sondern geübt?
Oder ob sie weder angeübt noch angelernt werden kann,
sondern von Natur den Menschen einwohnt oder auf irgendeine andere
Art?
SÔ.
ô Menôn, pro tou men Thettaloi eudokimoi êsan en tois
Hellêsin
kai ethaumazonto
eph' hippikêi te kai ploutôi,
[70b] nun de,
hôs emoi dokei, kai epi sophiai,
kai ouch hêkista
hoi tou sou hetairou Aristippou politai Larisaioi.
Sokrates: o Menon, vor diesem waren die Thessalier berühmt
unter den Hellenen
und wurden bewundert ihrer Reitkunst wegen und ihres Reichtums,
(b) nun aber, wie mir scheint, auch der Weisheit wegen!
Und nicht die letzten sind darin die Mitbürger deines Freundes
Aristippos des Larisäers.
toutou de
humin aitios esti Gorgias:
aphikomenos
gar eis tên polin erastas epi sophiai eilêphen
Aleuadôn
te tous prôtous, hôn ho sos erastês estin Aristippos,
Daran nun ist euch Gorgias schuld.
Denn als er in jene Stadt kam, gewann er zu Liebhabern, seiner Weisheit
wegen,
die ersten unter den Aleuaden sowohl, zu denen auch dein Liebhaber
Aristippos gehört,
als unter den übrigen Thessaliern.
kai dê
kai touto to ethos humas eithiken, aphobôs te kai megaloprepôs
apokrinesthai
ean tis ti
erêtai, hôsper eikos tous [70c] eidotas,
hate kai autos
parechôn auton erôtan tôn Hellênôn tôi
boulomenôi hoti an tis boulêtai,
kai oudeni
hotôi ouk apokrinomenos.
Und so hat er euch auch diese Gewohnheit angewöhnt, daß
ihr ohne Scheu und mit edler Zuversicht antwortet,
wenn euch jemand etwas fragt, wie auch zu erwarten ist von denen, (c)
welche wissen.
Denn auch er selbst bot sich ja dar jedem Hellenen, was nur jeder wollte,
ihn zu fragen,
und nie ließ er einen ohne Antwort.
enthade de,
ô phile Menôn, to enantion periestêken:
hôsper
auchmos tis tês sophias gegonen,
kai kinduneuei
[71a] ek tônde tôn topôn par' humas oichesthai hê
sophia.
ei goun tina
hetheleis houtôs eresthai tôn enthade, oudeis hostis ou gelasetai
kai erei:
ô xene,
kinduneuô soi dokein makarios tis einai –
–
aretên goun
eite didakton
eith' hotôi
tropôi paragignetai eidenai –
Hier aber, lieber Menon, steht es ganz entgegengesetzt;
es ist ordentlich wie eine Dürre an Weisheit eingetreten,
und sie scheint (71 a) ganz aus unsern Gegenden fort zu euch
gezogen zu sein, die Weisheit.
Wenigstens wenn du hier jemand so fragen willst, wirst du nicht einen
treffen, der nicht lachte und sagte:
"O Fremdling, du scheinst mich ja für gar glückselig zu halten,
daß ich von der Tugend doch wenigstens wissen soll, ob sie lehrbar
ist
oder auf welche Art man sonst dazu gelangt";
- egô
de tosouton deô eite didakton eite mê didakton eidenai,
hôst'
oude auto hoti pot' esti to parapan aretê tunchanô eidôs.
ich aber bin so weit davon entfernt, zu wissen, ob sie lehrbar ist
oder nicht lehrbar,
daß ich nicht einmal dieses, was die Tugend überhaupt ist,
ordentlich weiß.
[2. Problem
des Sokrates: Was ist die Tugend selbst?]
[71b] egô
oun kai autos, ô Menôn, houtôs echô: sumpenomai
tois politais toutou tou pragmatos,
kai emauton
katamemphomai hôs ouk eidôs peri aretês to parapan:
ho de mê
oida ti estin, pôs an hopoion ge ti eideiên?
ê dokei
soi hoion te einai, hostis Menôna mê gignôskei to parapan
hostis estin,
touton eidenai
eite kalos eite plousios eite kai gennaios estin, eite kai t'anantia toutôn?
dokei soi hoion
t' einai?
(b) Auch mir selbst, Menon, geht es ebenso: ich teile die Armut
in dieser Sache mit meinen Landsleuten
und tadle mich genug darüber, daß ich gar nichts von der
Tugend weiß.
Wovon ich aber gar nicht weiß, was es ist, wie soll ich davon irgendeine
besondere Beschaffenheit wissen?
Oder dünkt dich das möglich, daß, wer den Menon gar
nicht kennt, wer er ist,
doch wissen kann, ob er schön ist oder reich oder auch vornehm,
oder ob ganz das Gegenteil davon?
Dünkt dich das möglich?
MEN.
ouk emoige.
alla su, ô
Sôkrates, alêthôs [71c] oud' hoti aretê estin oistha,
alla tauta
peri sou kai oikade apangellômen?
Menon: Nein freilich.
Aber weißt du in der Tat (c) nicht einmal, was die Tugend
ist, Sokrates?
Und soll ich das von dir auch, zu Hause erzählen?
SÔ.
mê monon ge, ô hetaire,
alla kai hoti
oud' allôi pô enetuchon eidoti, hôs emoi dokô.
Sokrates: Nicht nur das, Freund, sondern auch,
daß mir auch noch kein anderer vorgekommen ist, der es gewußt
hat, soviel mich dünkt.
MEN. ti de? Gorgiai
ouk enetuches hote enthade ên?
Menon: Wie? Ist dir Gorgias gar nicht begegnet, als er hier
war?
SÔ.
egôge.
Sokrates: o ja!
MEN. eita
ouk edokei soi eidenai?
Menon: Nun, und es schien dir nicht, daß er es wisse?
SÔ. ou
panu eimi mnêmôn, ô Menôn,
hôste
ouk echô eipein en tôi paronti pôs moi tote
edoxen.
all' isôs
ekeinos te oide, kai su ha ekeinos elege:
anamnêson
oun [71d] me pôs elegen.
ei de boulei,
autos eipe:
dokei gar
dêpou soi haper ekeinôi.
Sokrates: Ich habe kein sehr gutes Gedächtnis, Menon,
so daß ich jetzt im Augenblick nicht zu sagen weiß, wie
es mir damals schien.
Allein, vielleicht weiß er es, und du, was er gesagt hat.
Bringe mich also darauf, (d) wie er sie erklärte;
oder wenn du lieber willst, so sage es selbst.
Denn du bist doch gewiß derselben Meinung wie er.
MEN. emoige.
Menon: Das bin ich.
SÔ.
ekeinon men toinun eômen, epeidê kai apestin:
su de autos,
ô pros theôn, Menôn, ti phêis aretên
einai?
eipon kai
mê phthonêsêis, hina eutuchestaton pseusma
epseusmenos ô,
an phanêis
su men eidôs kai Gorgias,
egô
de eirêkôs mêdeni pôpote eidoti entetuchêkenai.
Sokrates: So lassen wir jenen, da er ohnedies abwesend ist.
Du selbst aber, Menon, um der Götter willen, was sagst du, daß
die Tugend ist?
Sprich, und enthalte es mir nicht vor, damit ich die glückseligste
Lüge möge gelogen haben,
wenn sich zeigt, daß du es weißt und Gorgias,
ich aber gesagt habe, mir sei noch nie einer vorgekommen, der es wisse.
[3.
Erste Antwort des Menon: Aufzählung einer Reihe von Tugenden]
[71e] MEN.
all' ou chalepon, ô Sôkrates, eipein.
prôton
men, ei boulei andros aretên, raidion, hoti autê
estin andros aretê,
hikanon einai
ta tês poleôs prattein,
kai prattonta
tous men philous eu poiein, tous d' echthrous kakôs,
kai auton
eulabeisthai mêden toiouton pathein.
(e) Menon: Das ist ja gar nicht schwer zu sagen, Sokrates.
Zuerst, wenn du willst, die Tugend des Mannes: so ist es leicht zu
sagen, daß dieses des Mannes Tugend ist,
daß er vermöge, die Angelegenheiten des Staates zu verwalten
und in seiner Verwaltung seinen Freunden wohlzutun und seinen Feinden
weh,
sich selbst aber zu hüten, daß ihm nichts dergleichen begegne.
ei de boulei
gunaikos aretên, ou chalepon dielthein,
hoti dei autên
tên oikian eu oikein, sôizousan te ta endon kai
katêkoon ousan tou andros.
kai allê
estin paidos aretê, kai thêleias kai arrenos,
kai presbuterou
andros, ei men boulei, eleutherou, ei de boulei,[72a] doulou.
kai allai pampollai
aretai eisin,
hôste
ouk aporia eipein aretês peri hoti estin:
kath' hekastên
gar tôn praxeôn kai tôn hêlikiôn pros hekaston
ergon hekastôi hêmôn hê aretê
estin,
hôsautôs
de oimai, ô Sôkrates, kai hê kakia.
Willst du die Tugend des Weibes, so ist auch nicht schwer zu beschreiben,
daß sie das Hauswesen gut verwalten muß, alles im Hause
gut im Stande haltend und dem Manne gehorchend.
Eine andere wiederum ist die Tugend eines Kindes, sowohl eines Knaben
als eines Mädchens,
und eines Alten, sei er ein Freier, wenn du willst, oder (72 a)
ein Knecht.
Und so gibt es noch gar viele andere Tugenden,
so daß man nicht in Verlegenheit sein kann, von der Tugend zu
sagen, was sie ist.
Denn nach jeder Handlungsweise und jedem Alter hat für jedes Geschäft
jeder von uns seine Tugend,
und ebenso auch, Sokrates, glaube ich, seine Schlechtigkeit.
SÔ.
pollêi ge tini eutuchiai eoika kechrêsthai, ô
Menôn,
ei mian zêtôn
aretên smênos ti anêurêka aretôn para soi
keimenon.
atar, ô
Menôn, kata tautên tên eikona tên [72b] peri ta
smênê,
ei mou eromenou
melittês peri ousias hoti pot' estin,
pollas kai
pantodapas eleges autas einai,
ti an apekrinô
moi, ei se êromên:
ara toutôi
phêis pollas kai pantodapas einai kai diapherousas allêlôn,
tôi melittas einai?
hê toutôi
men ouden diapherousin, allôi de tôi,
hoion ê
kallei ê megethei ê allôi tôi
tôn toioutôn?
eipe, ti an apekrinô
houtôs erôtêtheis?
Sokrates: Ganz besonders glücklich, o Menon, scheine ich
es getroffen zu haben,
da ich nur eine Tugend suche und einen ganzen Schwarm von Tugenden
finde, die sich bei dir niedergelassen.
Allein, Menon, um bei diesem Bilde von dem Schwarm zu bleiben,
wenn ich dich fragte nach der Natur einer Biene, was sie wohl ist,
und du sagtest mir, es wären ihrer gar (b) viele und mancherlei;
was würdest du mir antworten, wenn ich dich fragte:
Meinst du, insofern wären sie viele und vielerlei und voneinander
unterschieden, als sie Bienen sind?
Oder sind sie hierin wohl nicht unterschieden, sondern nur in etwas
anderem,
wie in Schönheit, Größe oder sonst etwas dergleichen?
Sage mir, was würdest du antworten auf diese Frage?
MEN. tout'
egôge, hoti ouden diapherousin, hêi melittai eisin,
hê hetera tês heteras.
Menon: Dieses, daß sie nicht verschieden sind, sofern
sie Bienen sind, eine von der andern.
[72c] SÔ.
ei oun eipon meta tauta: touto toinun moi auto eipe, ô Menôn:
hôi
ouden diapherousin alla tauton eisin hapasai, ti touto phêis
einai?
eiches dêpou
an ti moi eipein?
(c) Sokrates: Wenn ich nun hierauf weiter spräche:
Sage mir denn eben dieses,
worin sie nicht verschieden sind, sondern alle einerlei, was doch dieses
ist nach deiner Meinung:
so würdest du mir doch wohl etwas zu antworten wissen.
MEN. egôge.
Menon: Das würde ich.
[4. ErIäuterung
der von Sokrates gesuchten wesentlichen Einheit der Tugend]
SÔ.
houtô dê kai peri tôn aretôn: kan ei pollai kai
pantodapai eisin,
en ge ti eidos
tauton hapasai echousin di' ho eisin aretai,
eis ho kalôs
pou echei apoblepsanta ton apokrinomenon tôi erôtêsanti
ekeino dêlôsai,
ho tunchanei
[72d] ousa aretê.
hê ou manthaneis
hoti legô?
Sokrates: So ist es nun auch mit den Tugenden, daß, wenn
sie auch viele und mancherlei sind,
sie doch sämtlich eine und dieselbe gewisse Gestalt haben, um
derentwillen sie eben Tugenden sind,
und eben hierauf wird derjenige hinzusehen haben, der in seiner Antwort
(d) auf jene Frage richtig angeben will,
was die Tugend eigentlich ist.
Oder verstehst du nicht, was ich meine?
MEN. dokô
ge moi manthanein:
ou mentoi
hôs boulomai ge pô katechô to erôtômenon.
Menon: Ich glaube es zwar zu verstehen:
aber doch habe ich das, wonach gefragt ist, noch nicht so inne, wie
ich wollte.
SÔ. poteron
de peri aretês monon soi houtô dokei, ô Menôn,
allê
men andros einai, allê de gunaikos kai tôn allôn,
hê kai peri
hugieias kai peri megethous kai peri ischuos hôsautôs?
allê
men andros dokei soi einai hugieia, allê de gunaikos?
hê tauton
pantachou eidos estin, eanper hugieia [72e] êi,
eante en andri
eante en allôi hotôioun êi?
Sokrates: Meinst du aber dieses etwa nur von der Tugend, Menon,
daß es eine andere gibt für den Mann und eine andere für
die Frau und so für die übrigen,
oder auch von der Gesundheit und von der Größe und Stärke
ebenso?
Dünkt dich eine andere Gesundheit die des Mannes zu sein und eine
andere die der Frau?
Oder ist es überall derselbe Begriff, wenn es Gesundheit (e)
ist,
mag sie in einem Manne sein oder in wem sonst immer?
MEN. hê
autê moi dokei hugieia ge einai kai andros kai gunaikos.
Menon: Dieselbe dünkt mich wohl die Gesundheit des Mannes
zu sein und die der Frau.
SÔ.
oukoun kai megethos kai ischus?
eanper ischura
gunê êi, tôi autôi
eidei kai têi autêi ischui ischura estai?
to gar têi
autêi touto legô: ouden diapherei pros to ischus
einai hê ischus,
eante en andri
êi eante en gunaiki.
ê dokei
ti soi diapherein?
Sokrates: Also auch wohl Größe und Stärke?
Wenn eine Frau stark ist, wird sie vermöge desselben Begriffs
und derselben Stärke stark sein.
Dieses "derselben" meine ich aber so, daß es der Stärke
keinen Unterschied macht in dem Stärkesein,
ob sie in einem Manne ist oder in einer Frau.
Oder scheint es dir einen Unterschied zu machen?
MEN. ouk emoige.
Menon: Mir nicht.
[73a] SÔ.
hê de aretê pros to aretê einai dioisei ti,
eante en paidi
êi eante en presbutêi, eante en gunaiki
eante en andri?
(73 a) Sokrates: Der Tugend aber soll es in dem Tugendsein einen
Unterschied machen,
ob sie in einem Knaben ist oder in einem Alten, in einem Manne oder
in einer Frau?
MEN. emoige
pôs dokei, ô Sôkrates, touto ouketi homoion einai tois
allois toutois.
Menon: Mir wenigstens schwebt irgendwie vor, daß dieses
jenem übrigen nicht mehr ganz ähnlich ist.
SÔ.
ti de? ouk andros men aretên eleges polin eu dioikein,
Sokrates: Wie doch? Sagtest du nicht, die Tugend des Mannes
wäre, den Staat wohl zu verwalten,
die der Frau aber, das Hauswesen?
MEN. egôge.
Menon: Ja.
SÔ. ar'
oun hoion te eu dioikein ê polin ê oikian ê allo hotioun,
mê sôphronôs
kai dikaiôs dioikounta?
Sokrates: Ist es nun wohl möglich, Staat oder Hauswesen
oder was irgend sonst zu verwalten,
wenn man es nicht besonnen und gerecht verwaltet?
MEN. ou dêta.
Menon: Gewiß nicht.
[73b] SÔ.
oukoun anper dikaiôs kai sôphronôs dioikôsin,
dikaiosunêi
kai sôphrosunêi dioikêsousin?
(b) Sokrates: Wenn sie es nun gesonnen und gerecht verwalten:
so doch mit Besonnenheit und Gerechtigkeit?
MEN. anankê.
Menon: Notwendig.
SÔ. tôn
autôn ara amphoteroi deontai, eiper mellousin agathoi einai,
kai hê
gunê kai ho anêr, dikaiosunês kai sôphrosunês.
Sokrates: Desselben also bedürfen beide, wenn sie gut sein
sollen,
das Weib und der Mann, der Gerechtigkeit nämlich und Besonnenheit?
MEN. phainontai.
Menon: Offenbar.
SÔ. ti
de pais kai presbutês? môn akolastoi ontes kai adikoi
agathoi an
pote genointo?
Sokrates: Und wie? Ein Kind oder Greis, die zügellos wären
und ungerecht,
könnten die wohl gut sein?
MEN. ou dêta.
Menon: Gewiß nicht.
SÔ.
alla sôphrones kai [73c] dikaioi?
Sokrates: Wohl aber, wenn besonnen und gerecht?
MEN. nai.
Menon: Ja.
SÔ.
pantes ar' anthrôpoi tôi
autôi tropôi agathoi eisin:
tôn
autôn gar tuchontes agathoi gignontai.
Sokrates: Alle Menschen also sind auf einerlei Art gut.
Denn indem sie dasselbe an sich haben, werden sie gut.
MEN. eoike.
Menon: So scheint es.
SÔ.
ouk an dêpou, ei ge mê hê
autê aretê ên autôn,
tôi
autôi an tropôi agathoi êsan.
Sokrates: Gewiß aber könnten sie, wenn ihre Tugend
nicht eine und dieselbe wäre,
nicht auf einerlei Art gut sein.
MEN.
ou dêta.
Menon: Nicht füglich.
[5. Erster
Definitionsversuch des Menon und abermaliges Scheitern]
SÔ.
epeidê toinun hê autê
aretê pantôn estin,
peirô
eipein kai anamnêsthênai
ti auto phêsi
Gorgias einai kai su met' ekeinou.
Sokrates: Da also die Tugend eine und dieselbe ist für
alle:
so versuche nun auszusprechen und mir in Erinnerung zu bringen,
was doch Gorgias sagt, daß sie sei, und du mit ihm.
MEN.
ti allo g' ê archein hoion t'
einai tôn anthrôpôn?
[73d] eiper
en ge ti zêteis kata pantôn.
Menon: Was sonst, als daß man vermöge, über
die Menschen zu herrschen,
(d) wenn du doch etwas suchst, was durch alles geht.
SÔ.
alla mên zêtô ge.
all' ara kai
paidos hê autê aretê, ô Menôn, kai doulou,
archein oiô
te einai tou despotou,
kai dokei
soi eti an doulos einai ho archôn?
Sokrates: Das suche ich freilich.
Aber ist eben dieses auch die Tugend eines Kindes, Menon, und eines
Knechtes,
daß er vermöge zu herrschen über seinen Herrn?
Und dünkt dich noch ein Knecht zu sein, wer herrscht?
MEN.
ou panu moi dokei, ô Sôkrates.
Menon: Das dünkt mich keineswegs, Sokrates.
SÔ.
ou gar eikos, ô ariste: eti gar
kai tode skopei.
archein phêis
hoion t' einai.
ou prosthêsomen
autose to dikaiôs, adikôs de mê?
Sokrates: Es geht auch freilich nicht, Bester. Denn erwäge
auch noch dieses.
Du sagst, daß man vermöge zu herrschen.
Sollen wir nicht hier gleich hinzusetzen, gerecht nämlich, ungerecht
aber nicht?
MEN.
oimai egôge: hê gar dikaiosunê,
ô Sôkrates, aretê estin.
Menon: Das glaube ich allerdings. Denn die Gerechtigkeit, o
Sokrates, ist Tugend.
[73e] SÔ.
poteron aretê, ô Menôn,
ê aretê tis?
Sokrates: Die Tugend, o Menon, oder eine Tugend?
MEN.
pôs touto legeis?
Menon: Wie meinst du das?
SÔ.
hôs peri allou hotououn.
hoion, ei
boulei, strongulotêtos peri eipoim' an egôge hoti schêma
ti estin,
ouch houtôs
haplôs hoti schêma.
dia tauta de houtôs
an eipoimi, hoti kai alla esti schêmata.
Sokrates: Wie bei irgend etwas anderem.
Zum Beispiel von der Rundung würde ich sagen, sie sei eine
Gestalt,
nicht so schlechthin die Gestalt.
Deshalb nämlich würde ich so sagen, weil es auch noch andere
Gestalten gibt.
MEN.
orthôs ge legôn su,
epei kai egô
legô ou monon dikaiosunên alla kai allas einai aretas.
Menon: Und ganz recht würdest du das sagen,
denn auch ich nenne nicht die Gerechtigkeit allein Tugend, sondern
auch noch viele andere.
[74a] SÔ.
tinas tautas? eipe.
hoion kai
egô soi eipoimi an kai alla schêmata, ei me keleuois:
kai su oun
emoi eipe allas aretas.
(74 a) Sokrates: Was für welche doch? Sprich.
Wie auch ich dir andere Gestalten nennen könnte, wenn du es fordertest:
so nenne auch du mir andere Tugenden.
MEN.
hê andreia toinun emoige dokei
aretê einai kai sôphrosunê
kai sophia
kai megaloprepeia kai allai pampollai.
Menon: Die Tapferkeit also dünkt mich Tugend zu sein, und
die Besonnenheit,
und die Weisheit, und die Großmut, und viele andere.
SÔ.
palin, ô Menôn, tauton peponthamen:
pollas au
hêurêkamen aretas mian zêtountes, allon tropon ê
nundê:
tên
de mian, hê dia pantôn toutôn estin, ou dunametha aneurein.
Sokrates: Wiederum also ist uns dasselbe begegnet.
Viele Tugenden nämlich haben wir gefunden, da wir nur eine suchen,
nur auf eine andere Art als vorhin;
die eine aber, die in allen diesen ist, können wir nicht finden.
[6.
Weitere Erklärung der sokratischen Frage am Beispiel von Gestalt und
Farbe]
MEN.
ou gar dunamai pô, ô Sôkrates,
hôs su zêteis,
[74b] mian
aretên labein kata pantôn, hôsper en tois allois.
Menon: Ich kann eben noch nicht, wie du, Sokrates, es suchst,
(b) die eine Tugend in allen finden, so wie ich es bei den übrigen
Dingen konnte.
SÔ.
eikotôs ge:
all' egô
prothumêsomai, ean hoios t' ô, hêmas probibasai.
manthaneis
gar pou hoti houtôsi echei peri pantos:
ei tis se
aneroito touto ho nundê egô elegon,
ti estin schêma,
ô Menôn?
ei autôi
eipes hoti strongulotês, ei soi eipen haper egô,
poteron schêma
ê strongulotês estin ê schêma ti?
eipes dêpou
an hoti schêma ti.
Sokrates: Ganz natürlich.
Aber ich will einen Versuch machen, uns, wenn ich es vermag, weiter
zu bringen.
Denn du siehst doch ein, daß es sich so mit jedem verhält:
Wenn dich jemand nach dem fragte, was ich eben anführte:
"Was ist doch Gestalt, Menon?"
und du ihm sagtest, das Runde, und er dann sagte, eben wie ich:
"Ist das Runde die Gestalt oder eine Gestalt?"
so würdest du wohl sagen, "eine Gestalt"?
MEN.
panu ge.
Menon: Freilich.
[74c] SÔ.
oukoun dia tauta, hoti kai alla estin
schêmata?
(c) Sokrates: Nicht wahr, deswegen, weil es noch andere
Gestalten gibt?
MEN.
nai.
Menon: Ja.
SÔ.
kai ei ge prosanêrôta se
hopoia, eleges an?
Sokrates: Und wenn er dich weiter fragte, was für welche:
so würdest du sie nennen?
MEN.
egôge.
Menon: Das täte ich.
SÔ.
kai au ei peri chrômatos hôsautôs
anêreto hoti estin,
kai eipontos
sou hoti to leukon, meta tauta hupelaben ho erôtôn:
poteron to
leukon chrôma estin ê chrôma ti?
eipes an hoti
chrôma ti, dihoti kai alla tunchanei onta?
Sokrates: Und wiederum, wenn er dich über die Farbe gleichermaßen
befragte, was sie ist,
und auf deine Antwort, das Weiße wäre Farbe, der Fragende
dann erwiderte:
"Ist das Weiße die Farbe oder eine Farbe?"
so würdest du sagen, eine Farbe, weil es noch mehrere gibt?
MEN.
egôge.
Menon: Das würde ich sagen.
SÔ.
kai ei ge se ekeleue legein alla chrômata,
eleges
[74d] an alla, a ouden hêtton
tunchanei onta chrômata tou leukou?
Sokrates: Und wenn er dich hieße, andere Farben nennen:
so würdest du ihm (d) andere nennen, die nicht weniger
Farben sind als das Weiße.
MEN.
nai.
Menon: Ja.
SÔ.
ei oun hôsper egô metêiei
ton logon, kai elegen
hoti aei eis
polla aphiknoumetha, alla mê moi houtôs,
all' epeidê
ta polla tauta eni tini prosagoreueis onomati, kai phêis
ouden autôn
hoti ou schêma einai, kai tauta kai enantia onta allêlois,
hoti estin touto
ho ouden hêtton katechei to strongulon ê to euthu, ho dê
onomazeis schêma
[74e] kai
ouden mallon phêis to strongulon schêma einai ê
to euthu?
ê ouch houtô
legeis?
Sokrates: Wenn er nun, wie ich, die Rede herumnähme und
sagte:
"Immer kommen wir auf vieles; aber nicht also,
sondern da du doch dieses Viele insgesamt mit einem Namen benennst
und behauptest,
jedes davon sei Gestalt, und zwar ungeachtet sie einander entgegengesetzt
sind:
was ist doch dieses, was das Runde nicht minder unter sich begreift als
das Gerade, was du eben Gestalt nennst,
(e) und behauptest, das Runde sei nicht minder Gestalt als das
Gerade?"
Oder meinst du es etwa nicht so?
MEN.
egôge.
Menon: Freilich so.
SÔ.
ar' oun, hotan outô legêis,
tote ouden mallon phêis to strongulon einai strongulon
ê euthu,
oude to euthu
euthu ê strongulon?
Sokrates: Wenn du nun so sagst, meinst du dann etwa, das Runde
sei nicht mehr rund als gerade,
und das Gerade nicht mehr gerade als rund?
MEN.
ou dêpou, ô Sôkrates.
Menon: Keineswegs, Sokrates.
SÔ.
alla mên schêma ge ouden
mallon phêis einai to strongulon tou eutheos,
oude to heteron
tou heterou.
Sokrates: Aber Gestalt, sagst du, sei das Runde nicht mehr als
das Gerade,
und das eine nicht mehr als das andere.
MEN.
alêthê legeis.
Menon: Richtig.
[7.
Erste Sokratische Definition der Gestalt: Was die Farbe begleitet]
SÔ.
ti pote oun touto ou touto onoma estin,
to schêma? [75a] peirô
legein.
ei oun tôi
erôtônti houtôs ê peri schêmatos ê
chrômatos eipes
hoti all'
oude manthanô egôge hoti boulei, ô anthrôpe, oude
oida hoti legeis,
isôs an
ethaumase kai eipen:
ou manthaneis
hoti zêtô to epi pasin toutois tauton?
hê oude
epi toutois, ô Menôn, echois an eipein, ei tis se erôtôêi:
ti estin epi
tôi strongulôi kai euthei kai epi tois
allois, ha dê schêmata kaleis,
peirô eipein,
hina kai genêtai soi meletê pros tên peri tês aretês
apokrisin.
Sokrates: Was ist nun also das, dem du diesen Namen Gestalt
beilegst? Versuche es zu beschreiben.
Wenn du nun dem, der so fragt, sei es nun über die Gestalt oder
über die Farbe, (75 a) sagtest:
"Ich verstehe gar nicht einmal, was du willst, lieber Mensch, noch
weiß ich, was du meinst":
so würde er sich vielleicht wundern und sagen:
"Verstehst du nicht, daß ich das suche, was in allen diesen dasselbe
ist?"
Oder wüßtest du es auch hierin nicht anzugeben, wenn dich jemand
fragte,
was doch im Runden und Geraden und dem übrigen, was du Gestalt
nennst,
Versuche es anzugeben, damit du daran auch eine Übung hast für
die Antwort über die Tugend.
[75b] MEN.
mê, alla su, ô Sôkrates,
eipe.
(b) Menon: Nein, sondern gib du es an, Sokrates.
SÔ.
boulei soi charisômai?
Sokrates: Soll ich es dir zu Gefallen tun?
MEN.
panu ge.
Menon: Freilich.
SÔ.
ethelêseis oun kai su emoi eipein
peri tês aretês?
Sokrates: Wirst du mir dann auch das von der Tugend sagen wollen?
MEN.
egôge.
Menon: Allerdings.
SÔ.
prothumêteon toinun: axion gar.
Sokrates: So will ich mich daran geben; denn es loênt.
MEN.
panu men oun.
Menon: Allerdings.
SÔ.
phere dê, peirômetha soi
eipein ti estin schêma.
skopei oun
ei tode apodechêi auto einai:
estô gar
dê hêmin touto schêma, ho monon tôn ontôn
tunchanei chrômati aei epomenon.
hikanôs
soi, ê allôs pôs zêteis?
egô
gar kan [75c] houtôs agapôiên
ei moi aretên eipois.
Sokrates: Wohlan denn, ich will versuchen, dir zu sagen, was
Gestalt ist.
Sieh also zu, ob du annimmst, sie sei dieses.
Dasjenige nämlich soll uns Gestalt sein, was allein unter allen Dingen
überall die Farbe begleitet.
Genügt es dir, oder begehrst du es noch anders?
Denn ich meines Teils (c) wollte mich schon begnügen, wenn
du mir auch nur so die Tugend erklärtest.
MEN.
alla touto ge euêthes, ô
Sôkrates.
Menon: Allein dies ist doch sehr einfältig, o Sokrates.
SÔ.
pôs legeis?
Sokrates: Wie meinst du?
MEN.
hoti schêma pou estin kata ton
son logon ho aei chroai hepetai, eien:
ei de dê
tên chroan tis mê phaiê eidenai,
alla hôsautôs
aporoi hôsper peri tou schêmatos,
ti an oiei
soi apokekristhai?
Menon: Daß nach deiner Erklärung dasjenige Gestalt
sein soll, was überall der Farbe folgt, mag sein:
Wenn nun aber einer leugnete zu wissen, was Farbe ist,
sondern darüber ebenso im ungewissen wäre wie über die
Gestalt,
was meinst du dann geantwortet zu haben?
[8.
Zweite Sokratische Definition der Gestalt: Die Grenze des Körpers]
SÔ.
t'alêthê egôge:
kai ei men
ge tôn sophôn tis eiê kai eristikôn te kai agônistikôn
ho eromenos, eipoim' an [75d]
autôi
hoti emoi
men eirêtai: ei de mê orthôs legô,
son ergon
lambanein logon kai elenchein.
Sokrates: Doch das Rechte, meine ich.
Und wäre der Fragende einer von jenen Weisen, Streitkünstlern
und Wortfechtern: so würde ich (d) ihm sagen:
"Ich habe nun gesprochen, und wenn ich nicht richtig erklärt habe,
so ist es nun deine Sache, das Wort zu nehmen und mich zu widerlegen."
ei de hôsper
egô te kai su nuni philoi ontes boulointo allêlois dialegesthai,
dei dê
praioteron pôs kai dialektikôteron apokrinesthai.
esti de isôs
to dialektikôteron mê monon t'alêthê apokrinesthai,
alla kai di'
ekeinôn hôn an proshomologêi eidenai ho erôtômenos.
Wäre es aber, daß wir, wie du und ich jetzt, als Freunde
miteinander uns zur Belehrung unterhalten wollten,
so müßte ich dann freilich sanfter und kunstmäßiger
antworten.
Dies Kunstmäßigere mag aber wohl sein, daß man nicht nur
das Rechte antworte,
sondern auch nur durch solche Merkmale, welche der Fragende ebenfalls
zu verstehen zugibt.
peirasomai
dê kai egô soi houtôs eipein.
[75e] lege
gar moi: teleutên kaleis ti? toionde legô hoion peras kai eschaton
–
–
panta tauta tauton
ti legô: isôs d' an hêmin Prodikos diapheroito,
alla su ge pou
kaleis peperanthai ti kai teteleutêkenai –
- to toiouton
boulomai legein, ouden poikilon.
Auf diese Art nun will ich auch versuchen, es dir zu erklären.
(e) Sage mir also, nennst du etwas Ende? Ich meine damit etwas
wie eine Grenze und ein Letztes
– alles dergleichen nehme ich hier für einerlei. Vielleicht nun
würde Prodikos uns zuwider sein:
du aber nennst doch auch etwas begrenzt sein und ein Ende haben?
Nur dieses meine ich und keine krausen Unterschiede weiter.
MEN.
alla kalô, kai oimai manthanein
ho legeis.
Menon: O ja, ich nenne etwas so, und glaube zu verstehen, was
du meinst.
[76a] SÔ.
ti d' epipedon kaleis ti,
kai heteron
au stereon, hoion tauta ta en tais geômetriais?
(76 a) Sokrates: Auch Fläche nennst du etwas,
und etwas anderes wiederum Körper, eben wie die in der Meßkunst?
MEN.
egôge kalô.
Menon: Ja, auch das.
SÔ.
êdê toinun an mathois mou
ek toutôn schêma ho legô.
kata gar pantos
schêmatos touto legô, eis ho to stereon perainei, tout' einai
schêma:
hoper an sullabôn
eipoimi stereou peras schêma einai.
Sokrates: Hieraus wirst du vielleicht schon verstehen, was ich
meine unter der Gestalt.
Denn in allen Gestalten sage ich, daß, was den Körper begrenzt,
eigentlich die Gestalt ist:
so daß ich im allgemeinen sagen möchte, die Gestalt sei
die Grenze des Körpers.
[9.
Sokratische Definition der Farbe nach Gorgias]
MEN.
to de chrôma ti legeis, ô
Sôkrates?
Menon: Und was nennst du Farbe, Sokrates?
SÔ.
hubristês g' ei, ô Menôn:
andri presbutêi pragmata prostatteis apokrinesthai,
autos de ouk
etheleis [76b] anamnêstheis
eipein hoti pote legei Gorgias aretên einai.
Sokrates: Du bist übermütig, Menon! Einem alten Mann
legst du schwierige Sachen auf zu beantworten,
du selbst aber willst dir (b) nicht zurückrufen und mitteilen,
was Gorgias sagt, daß die Tugend sei.
MEN.
all' epeidan moi su tout' eipêis,
ô Sôkrates, erô soi.
Menon: Aber wenn du mir dies erklärt haben wirst, Sokrates,
will ich es dir auch gewiß sagen.
SÔ.
kan katakekalummenos tis gnoiê,
ô Menôn, dialegomenou sou,
hoti kalos
ei kai erastai soi eti eisin.
Sokrates: Auch verhüllt, o Menon, kann jeder, sobald du
nur sprichst, merken,
daß du schön bist und daß du noch Liebhaber hast.
MEN.
ti dê?
Menon: Wieso?
SÔ.
hoti ouden all' ê epitatteis en
tois logois,
hoper poiousin
hoi truphôntes, hate turanneuontes heôs an en hôrai
[76c] ôsin,
kai hama emou
isôs kategnôkas hoti eimi hêttôn tôn kalôn,
charioumai
oun soi kai apokrinoumai.
Sokrates: Weil du immer nur befiehlst im Gespräch,
wie jene Verwöhnten es machen, die ja immer herrisch sind, solange
die Jugend (c) währt.
Und vielleicht hast du es auch mir schon abgemerkt, daß ich den Schönen
nicht gewachsen bin.
Ich will dir also den Willen tun und antworten.
MEN.
panu men oun charisai.
Menon: Allerdings tue mir den Willen.
SÔ.
boulei oun soi kata Gorgian apokrinômai,
hêi
an su malista akolouthêsais?
Sokrates: Ist es dir also genehm, daß ich dir nach des
Gorgias Weise antworte,
der du doch am besten folgen wirst?
MEN.
boulomai: pôs gar ou?
Menon: Allerdings ist mir das genehm. Wie anders?
SÔ.
oukoun legete aporroas tinas tôn
ontôn kata Empedoklea?
Sokrates: Nicht wahr, ihr nehmt nach Empedokles gewisse Ausflüsse
an aus allem, was ist?
MEN.
sphodra ge.
Menon: Ganz recht.
SÔ.
kai porous eis hous kai di' hôn
hai aporroai poreuontai?
Sokrates: Und Gänge, in welche und durch welche die Ausflüsse
gehen?
MEN.
panu ge.
Menon: Allerdings.
SÔ.
kai tôn aporroôn tas men
harmottein eniois tôn [76d]
porôn,
tas de elattous
ê meizous einai?
Sokrates: Und da von den Ausflüssen einige einigen Gängen
(d) angemessen sind,
andere aber für dieselben zu groß oder zu klein?
MEN.
esti tauta.
Menon: So ist es.
SÔ.
oukoun kai opsin kaleis ti?
Sokrates: Nun nennst du doch etwas Gesicht?
MEN.
egôge.
Menon: Allerdings.
SÔ.
ek toutôn dê sunes ho toi
legô, ephê Pindaros.
estin gar
chroa aporroê schêmatôn opsei summetros kai aisthêtos.
Sokrates: Hieraus nun "vernimm, was ich meine", sagt Pindaros.
Nämlich Farbe ist der dem Gesicht angemessene und wahrnehmbare
Ausfluß aus den Gestalten.
MEN.
arista moi dokeis, ô Sôkrates,
tautên tên apokrisin eirêkenai.
Menon: Ganz vortrefflich, Sokrates, dünkst du mich diese
Antwort abgefaßt zu haben.
SÔ.
isôs gar soi kata sunêtheian
eirêtai:
kai hama oimai
ennoeis hoti echois an ex autês eipein
kai phônên
ho esti, [76e] kai osmên
kai alla polla tôn toioutôn.
Sokrates: Vielleicht ist sie nach einer dir gewohnten Weise
abgefaßt.
Und überdies, glaube ich, merkst du, daß du aus ihr zugleich
erklären könntest,
was der Schall ist (e) und der Geruch und viel anderes dieser
Art.
MEN.
panu men oun.
Menon: Allerdings.
SÔ.
tragikê gar estin, ô Menôn,
hê apokrisis,
hôste
areskei soi mallon ê hê peri tou schêmatos.
Sokrates: Es ist nämlich eine gar prächtige Antwort,
Menon,
drum gefällt sie dir besser als die von der Gestalt.
MEN.
emoige.
Menon: Mir wenigstens.
SÔ.
all' ouk estin, ô pai Alexidêmou,
hôs egô emauton peithô,
oimai de oud'
an soi doxai,
ei mê,
hôsper chthes eleges, anankaion soi apienai pro tôn mustêriôn,
all' ei perimeinais
te kai muêtheiês.
Sokrates: Aber nicht sie, o Sohn des Alexidemos, wie
ich meinesteils mich überzeuge,
sondern jene ist die bessere.
Und auch du, glaube ich, würdest sie nicht dafür halten,
wenn du nicht, wie du gestern sagtest, genötigt wärest, vor
den Weihungen fortzugehen,
sondern hier bleiben könntest, um dich einweihen zu lassen.
[77a] MEN.
alla perimenoim' an, ô Sôkrates,
ei moi polla toiauta legois.
Menon: Gern bliebe ich, Sokrates, wenn du mir viel dergleichen
(77 a) sagen wolltest.