Hans Zimmermann : 12 KÖRBE: Quellen
zum Thema "Schöpfung" und zum Weltbild der Antike und des Mittelalters
: liber de causis
LIBER
DE CAUSIS
arabische Version und
deutsche Übersetzung
(O. Bardenhewer, Freiburg im Breisgau
1822)
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und 10
-
eine arabische Kompilation
der Stoicheiosis Theologike
(griechisch) des Neuplatonikers Proklos,
im 12. Jahrhundert als
angeblicher Aristoteles-Text (vgl.
Metaphysik L)aus
dem Arabischen ins
Lateinische übersetzt,
elementares philosophisches
Lehrbuch der aristotelisch-neuplatonisch
orientierten Hochscholastik
im 13. Jhd. –
ed. O. Bardenhewer,
Die pseudoaristotelische
Schrift "Über das reine Gute", Freiburg im Breisgau
1822,
nach Maßgabe der
textkritischen Ausgabe von Adriaan Pattin (Tijdschr. Filos. 28, 1966) überarbeitet,
satzstrukturell gegliedert
und ins Netz gestellt durch Hans
Zimmermann, Görlitz),
2001
Parmenides
* Platon: Sonnengleichnis,
Höhlengleichnis; Timaios * Aristoteles:
Metaphysik L
Proklos:
stoicheiosis * Boethius: esse * Thomas
von Aquin: Summa
Theologiae, prima pars qu.2
Dreiecksverbindung:
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S. 72
S. 73
/ <S.72>
§ 6.
Die
Intelligenz ist eine ungetheilte Wesenheit.
Denn wenn sie grösselos
und körperlos und bewegungslos ist, so ist sie ohne Zweifel ungetheilt.
Alles Getheilte nämlich ist entweder wegen der Vielheit oder der Grösse
nach oder seiner Bewegung nach getheilt, und was so beschaffen ist, das
steht unter der Zeit, weil es die Theilung nur in einer Zeit erleidet.
Die Intelligenz aber fällt nicht unter die Zeit, sie ist vielmehr
mit der Ewigkeit. Daher kömmt es, dass sie hoch und erhaben ist über
jede Körperlichkeit und jede Vielheit, so dass, wenn eine Vielheit
sich in ihr findet, diese doch immer geeint ist, wie wenn sie Eines wäre.
Wenn aber die Intelligenz diese Eigenschaften hat, so lässt sie durchaus
keine Theilung zu. Der Beweis hiefür liegt in ihrer Sichhinwendung
zu sich selbst. Ich will sagen: sie dehnt sich nicht in der Weise aus mit
dem ausgedehnten Dinge, dass das eine ihrer / <S.73>
beiden Enden sich entfernte von dem anderen. Denn wenn sie ein körperliches,
ausgedehntes Ding erkennen will, so dehnt sie sich so mit ihm aus, dass
sie zugleich in ihrem Zustande verharrt und verbleibt, weil sie eine Form
ist, von welcher sich nichts ablöst. Nicht so verhält es sich
mit den Körpern. Der Beweis ferner dafür, dass die Intelligenz
kein Körper ist und ihre Wesenheit und ihre Wirksamkeit nicht getrennt
sind, liegt darin, dass beide Eines sind. Die Intelligenz ist vielfältig
wegen der Vollkommenheiten, welche ihr von der ersten Ursache zufliessen;
aber wiewohl sie in dieser Weise vielfältig ist, so ist sie doch,
weil sie dem Einen nahe steht, etwas Einfaches und Ungetheiltes. Die Intelligenz
ist der Theilung nicht zugänglich, weil sie das Erste ist, was von
der ersten Ursache erschaffen ist, wesshalb die Einfachheit ihr angemessener
ist als die Getheiltheit. Es ist demnach einleuchtend, dass die Intelligenz
eine Wesenheit ohne Grösse, ohne Körperlichkeit und ohne irgend
eine Art körperlicher Bewegung ist, und desshalb steht sie über
der Zeit, wie wir es auseinandergesetzt haben.
S. 74
S. 75
/ <S.74>
§ 7.
Jede
Intelligenz erkennt sowohl das, was über ihr ist, als auch das, was
unter ihr ist,
mit
dem Unterschiede jedoch, dass sie das, was unter ihr ist, dadurch erkennt,
dass
sie Ursache für dasselbe ist, das,
was
über ihr ist, aber desshalb,
weil
sie ihre Vollkommenheiten von ihm erlangt.
Die Intelligenz ist nun
eine intellectuelle Wesenheit und sie erkennt sowohl die Dinge, welche
sie von oben erlangt, als auch die Dinge, für welche sie Ursache ist,
nach der Weise ihrer Wesenheit. Sie unterscheidet also das, was über
ihr ist, und das, was unter ihr ist, und erkennt, dass jenes Ursache für
sie, dieses aber von ihr selbst verursacht ist, und erfasst ihre Ursache
sowohl wie ihr Verursachtes in der Weise, in welcher sie selbst ist, ich
meine in der Weise ihrer Wesenheit. So erkennt jedes erkennende Wesen das
Höhere sowohl wie das Niedere und Geringere nur nach der Weise seiner
Wesenheit und seines Seins, nicht nach der Weise, wie diese Dinge selbst
sind. Ist dem aber so, so kann kein Zweifel sein, dass die Vollkommenheiten,
welche von der ersten Ursache auf die Intelligenz herabkommen, in dieser
/ <S.75> intellectuell
sind, und ebenso sind die körperlichen , sinnlichen Dinge in der Intelligenz
intellectuell. Denn die Dinge, welche in der Intelligenz sind, sind nicht
die Producte selbst, sondern die Ursachen der Produkte. Der Beweis hiefür
liegt darin, dass die Intelligenz selbst die Ursache der Dinge, welche
unter ihr sind, dadurch ist, dass sie eben Intelligenz ist. Wenn nun die
Intelligenz dadurch die Ursache der Dinge ist, dass sie Intelligenz ist,
so kann kein Zweifel sein, dass die Ursachen der Dinge in der Intelligenz
eben auch intellectuell sind. Demnach ist es klar, dass die Dinge über
der Intelligenz und unter derselben der Potenz nach intellectuell sind,
und ebenso die körperlichen Dinge bei der Intelligenz intellectuell
und auch die intelligibelen Dinge in der Intelligenz intellectuell sind,
weil sie die Ursache des Seins derselben ist und weil sie die Dinge immer
in der Weise ihrer Wesenheit erfasst, d. h., weil sie Intelligenz ist,
intellectuell sie erfasst, mögen nun die Dinge intelligibel oder körperlich
sein.
S. 76
S. 77
S. 78
S. 79
/ <S.76>
§ 8.
Jede
Intelligenz hat ihre Existenz und Subsistenz
durch
das reine Gute, d. i. die erste Ursache.
Die Kraft der Intelligenz
aber ist von stärkerer Einheit als die zweiten Dinge, welche nach
ihr sind, weil diese die Erkenntniss der Intelligenz nicht erreichen. Diese
Beschaffenheit hat die Intelligenz desshalb, weil sie Ursache dessen ist,
was unter ihr ist. Der Beweis hiefür liegt in dem, was wir bereits
wissen, dass nämlich die Intelligenz sämmtliche Dinge, welche
unter ihr sind, durch die göttliche Kraft, welche ihr innewohnt, leitet
und durch diese Kraft sie hält, weil sie durch dieselbe die Ursache
der Dinge geworden ist, so dass sie sämmtliche Dinge, welche unter
ihr sind, hält und umschliesst. Wenn nämlich irgend etwas Princip
und Ursache gewisser Dinge ist, so hält es diese Dinge auch und leitet
sie und keines derselben kann / <S.77>
sich ihm entziehen in Folge der höheren Kraft jenes Dinges. Die Intelligenz
beherrscht demnach sämmtliche Dinge, welche unter ihr sind, und hält
und leitet sie, gleichwie die Natur die Dinge, welche unter ihr sind, leitet
durch die Kraft der Intelligenz; ebenso leitet die Intelligenz die Natur
durch die göttliche Kraft. Dass aber die Intelligenz die Dinge, welche
nach ihr sind, hält und leitet und ihre Kraft über dieselben
ausbreitet, kömmt daher, dass diese Dinge nicht eine substantielle
Kraft der Intelligenz sind, sondern letztere vielmehr die Kraft der substantiellen
Kräfte ist, weil sie Ursache derselben ist. Die Intelligenz umschliesst
das, was im Umkreis der Natur entsteht (und vergeht), und das, was über
der Natur ist, ich meine die Seele, denn diese ist über der Natur.
Die Natur nämlich umschliesst das Entstehende (und Vergehende) und
die Seele umschliesst die Natur und die Intelligenz umschliesst die Seele.
Die Intelligenz umschliesst demnach alle Dinge, und zwar / <S.78>
hat sie diese Stellung erhalten von der ersten Ursache, welche alle Dinge
überragt, weil sie die Ursache der Intelligenz, der Seele, der Natur
und aller anderen Dinge ist. Die erste Ursache ist weder Intelligenz noch
Seele noch Natur, sondern sie ist über der Intelligenz und der Seele
und der Natur, weil sie Urheberin sämmtlicher Dinge ist, mit dem Unterschiede,
dass sie die Urheberin der Intelligenz ist ohne irgend welche Vermittlung,
die Urheberin der Seele, der Natur und aller anderen Dinge hingegen durch
die Vermittlung der Intelligenz. Das göttliche Wissen ferner ist nicht
wie das intellectuelle Wissen noch wie das Wissen der Seele sondern es
ist über dem Wissen der Intelligenz und dem Wissen der Seele, weil
es der Urheber jedes anderen Wissens ist. Die göttliche Kraft ist
über jeder Intelligenz-, jeder Seelen– und jeder Naturkraft, weil
sie Ursache einer jeden Kraft ist. Die Intelligenz endlich ist etwas Ganzes
(Zusammengesetztes), weil sie Sein und Form ist, und ebenso ist auch die
Seele etwas Ganzes und die Natur gleichfalls. Die / <S.79>
erste Ursache hingegen hat keine Ganzheit (Zusammengesetztheit), weil sie
nur Sein ist; und wenn Jemand sagt, sie müsse nothwendig eine Ganzheit
haben, so erwiedern wir: ihre Ganzheit ist ihre Unendlichkeit und ihr eigenthümliches
Wesen ist das reine Gute, welches alles Gute auf die Intelligenz und durch
die Vermittlung der Intelligenz auf alle anderen Dinge ausströmen
lässt.
S. 79
S. 80
S. 81
§
9.
Jede
Intelligenz ist voll von Formen,
mit
dem Unterschiede jedoch, dass die eine Formen, welche in höherem Grade
universell,
die
andere Formen, welche in geringerem Grade universell sind, umschliesst.
Denn die Formen, welche
in den zweiten, niederen Intelligenzen in particulärer Weise sind,
sind in den ersten Intelligenzen in universeller Weise, und die Formen,
welche die ersten Intelligenzen in universeller Weise haben, sind in den
zweiten Intelligenzen in particulärer Weise. Die ersten Intelligenzen
haben grosse Kräfte, weil sie von stärkerer Einheit sind als
die zweiten, niederen Intelligenzen; diese aber haben schwache Kräfte,
weil sie / <S.80>
von geringerer Einheit und grösserer Vielfältigkeit sind. Denn
die Intelligenzen, welche dem Einen, Wahren, Reinen nahe stehen, sind geringer
an Quantität und bedeutender an Kraft; die Intelligenzen aber, welche
dem Einen, Wahren, Reinen ferner stehen, sind grösser an Quantität
und schwächer an Kraft. Weil nun die Intelligenzen, welche dem Einen,
Wahren, Reinen nahe stehen, geringer sind an Quantität und bedeutender
an Kraft, so geschieht es, dass die Formen, welche von den ersten Intelligenzen
in universeller, geeinter Weise ausgehen, von den zweiten Intelligenzen
in particulärer, gesonderter Weise ausgehen. Wir wollen aber kurz
sein und sagen: die Formen, welche von den ersten Intelligenzen den zweiten
zukommen, gehen schwerer aus und sondern sich in stärkerem Masse.
Daher kömmt es, dass die zweiten Intelligenzen / <S.81>
ihre Blicke auf die universellen Formen, welche in den universellen Intelligenzen
sind, werfen und dieselben nun theilen und sondern, weil sie nicht fähig
sind, diese Formen nach ihrer wahren Natur und Wesenheit aufzunehmen, vielmehr
nur in der Weise, in welcher sie dieselben eben aufzunehmen fähig
sind, ich meine unter Theilung und Sonderung. So nimmt ein jedes Ding das
Höhere nur in der Weise auf, in welcher es dasselbe eben aufzunehmen
fähig ist, nicht in der Weise, in welcher das ist, was aufgenommen
wird.
S. 81
S. 82
§
10.
Jede
Intelligenz erfasst Dinge, welche bleibend sind
und
nicht vergehen und nicht unter die Zeit fallen.
Denn wenn die Intelligenz
bleibend und unbeweglich ist, so ist sie Ursache von Dingen, welche bleibend
und unvergänglich sind und nicht unter das Entstehen und Vergehen
fallen. Es ist dies desshalb der Fall, weil die Intelligenz durch ihr Sein
erfasst, ihr Sein aber bleibend und / <S.82>
unvergänglich und unveränderlich ist. Wenn aber dem so ist, so
behaupten wir: die vergänglichen, unter das Entstehen und Vergehen
fallenden Dinge sind aus einer Körperlichkeit, ich meine aus einer
körperlichen, zeitlichen Ursache, nicht aus einer geistigen, ewigen
Ursache.
Kapitel 1,
2, 3, 4,
5, 6, 7,
8, 9, 10,
11,
12, 13, 14,
15,
16,
17, 18,
19, 20,
21, 22, 23,
24, 25, 26,
27, 28,
29, 30, 31
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Ethik:
Philosophie/ Religion
* inter nodos – Latein/
Griechisch
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