Zimmermann, Görlitz : Richard Wagner : Tristan und Isolde : 2.Akt
Richard Wagner
 
Tristan und Isolde
 
in drei Aufzügen 
 
nach dem Wortlaut der gedruckten Partitur
von 1865
in kommentierendem Vergleich mit
Gottfried von Straßburg, Tristan:
XIV Der Splitter * XVI Der Liebestrank
XVIIa Das Geständnis * XVIIb Minne-Exkurs
durch
Zimmermann, Görlitz
 
Richard Wagner : Tristan und Isolde : 1. Akt,  2. Akt,   3. Akt
 
ORCHESTEREINLEITUNG 
 
(Sehr lebhaft, 2/2) 
 
 
ZWEITER AUFZUG  
 
Garten mit hohen Bäumen vor dem Gemach Isoldes, 
 
zu welchem, seitwarts gelegen, Stufen hinaufführen. Helle, anmutige Sommernacht. An der geöffneten Türe ist eine brennende Fackel aufgesteckt. – Jagdgetön. Brangäne, auf den Stufen am Gemach, späht dem immer entfernter vernehmbaren Jagdtrosse nach. Zu ihr tritt aus dem Gemach, feurig bewegt, Isolde: 
 
ERSTER AUFTRITT 
 
Isolde: Brangäne: 
 
Isolde: 
Hörst du sie noch? – 
Mir schwand schon fern der Klang. n e (lauschend): 
 
Brangäne: 
Noch sind sie nah; 
deutlich tönt's daher. 
 
Isolde (lauschend): 
Sorgende Furcht 
beirrt dein Ohr. 
Dich täuscht des Laubes 
säuselnd Getön, 
das lachend schüttelt der Wind. 
 
Brangäne: 
Dich täuscht des Wunsches 
Ungestüm, 
zu vernehmen, was du wähnst. 
(Sie lauscht.) 
Ich höre der Hörner Schall. 
 
Isolde (wieder lauschend): 
Nicht Hörnerschall 
tönt so hold, 
des Quelles sanft 
rieselnde Welle 
rauscht so wonnig daher. 
Wie hört' ich sie, 
tosten noch Hörner? 
Im Schweigen der Nacht 
nur lacht mir der Quell. 
Der meiner harrt 
in schweigender Nacht, 
als ob Hörner noch nah dir schallten, 
willst du ihn fern mir halten? 
Brangäne: 
Der deiner harrt – 
o hör mein Warnen! – 
des harren Späher zur Nacht. 
Weil du erblindet, 
wähnst du den Blick 
der Welt erblödet für euch? 
Da dort an Schiffes Bord 
von Tristans bebender Hand 
die bleiche Braut, 
kaum ihrer mächtig, 
König Marke empfing, 
als alles verwirrt 
auf die Wankende sah, 
der güt'ge König 
mild besorgt 
die Mühen der langen Fahrt, 
die du littest, laut beklagt': 
ein einz'ger war's, 
ich achtet' es wohl, 
der nur Tristan faßt' ins Auge. 
Mit böslicher List, 
lauerndem Blick 
sucht er in seiner Miene 
zu finden, was ihm diene. 
Tückisch lauschend 
treff ich ihn oft: 
der heimlich euch umgarnt, 
vor Melot seid gewarnt! 
 
Isolde: 
Meinst du Herrn Melot? 
Oh, wie du dich trügst! 
Ist er nicht Tristans 
treuester Freund? 
Muß mein Trauter mich meiden, 
dann weilt er bei Melot allein. 
 
Brangäne: 
Was mir ihn verdächtig, 
macht dir ihn teuer! 
Von Tristan zu Marke 
ist Melots Weg; 
dort sät er üble Saat. 
Die heut im Rat 
dies nächtliche Jagen 
so eilig schnell beschlossen, 
einem edlem Wild, 
als dein Wähnen meint, 
gilt ihre Jägerslist. 
 
Isolde: 
Dem Freund zulieb' 
erfand diese List 
aus Mitleid 
Melot, der Freund. 
Nun willst du den Treuen schelten? 
Besser als du 
sorgt er für mich; 
ihm öffnet er, 
was mir du sperrst. 
O spar mir des Zögerns Not! 
Das Zeichen, Brangäne! 
O gib das Zeichen! 
Lösche des Lichtes 
letzten Schein! 
Daß ganz sie sich neige, 
winke der Nacht. 
Schon goß sie ihr Schweigen 
durch Hain und Haus, 
schon füllt sie das Herz 
mit wonnigem Graus. 
O lösche das Licht nun aus, 
lösche den scheuchenden Schein! 
Laß meinen Liebsten ein! 
 
Brangäne: 
O laß die warnende Zünde, 
laß die Gefahr sie dir zeigen! 
O wehe! Wehe! 
Ach, mir Armen! 
Des unseligen Trankes! 
Daß ich untreu einmal nur 
der Herrin Willen trog! 
Gehorcht' ich taub und blind, 
dein Werk 
war dann der Tod. 
Doch deine Schmach, 
deine schmählichste Not 
mein Werk, 
muß ich Schuld'ge es wissen? 
 
Isolde: 
DeinWerk? 
O tör'ge Magd! 
Frau Minne kenntest du nicht? 
Nicht ihres Zaubers Macht? 
Des kühnsten Mutes 
Königin? 
Des Weltenwerdens 
Walterin? 
Leben und Tod 
sind untertan ihr, 
die sie webt aus Lust und Leid, 
in Liebe wandelnd den Neid. 
Des Todes Werk, 
nahm ich's vermessen zur Hand, 
Frau Minne hat es 
meiner Macht entwandt. 
Die Todgeweihte 
nahm sie in Pfand, 
faßte das Werk 
in ihre Hand. 
Wie sie es wendet, 
wie sie es endet, 
was sie mir küre, 
wohin mich führe, 
ihr ward ich zu eigen: 
nun laß mich Gehorsam zeigen! 
 
Brangäne: 
Und mußte der Minne 
tückischer Trank 
des Sinnes Licht dir verlöschen, 
darfst du nicht sehen, 
wenn ich dich warne: 
nur heute hör, 
o hör mein Flehen! 
Der Gefahr leuchtendes Licht, 
nur heute, heut 
die Fackel dort lösche nicht! 
 
Isolde: 
Die im Busen mir 
die Glut entfacht, 
die mir das Herze 
brennen macht, 
die mir als Tag 
der Seele lacht, 
Frau Minne will: 
es werde Nacht, 
daß hell sie dorten leuchte, 
(Sie eilt auf die Fackel zu) 
wo sie dein Licht verscheuchte. 
(Sie nimmt die Fackel von der Tür.) 
Zur Warte du: 
dort wache treu! 
Die Leuchte, 
und wär's meines Lebens Licht – 
lachend 
sie zu löschen zag ich nicht! 
(Sie wirft die Fackel zur Erde, wo sie allmählich verlischt.) 
 
(Brangäne wendet sich bestürzt ab, um auf einer äußeren Treppe die Zinne zu ersteigen, wo sie langsam verschwindet.) 
 
(Isolde lauscht und späht, zunächst schüchtern, in einen Baumgang. Von wachsendem Verlangen bewegt, schreitet sie dem Baum gang näher und späht zuversichtlicher. Sie winkt mit einem Tuche, erst seltener, dann häufiger, und endlich, in leidenschaftlicher Ungeduld, immer schneller. Eine Gebärde des plötzlichen Entzückens sagt, daß sie den Freund in der Ferne gewahr geworden. Sie streckt sich höher und höher, und, um besser den Raum zu übersehen, eilt sie zur Treppe zurück, von deren oberster Stufe aus sie dem Herannahenden zuwinkt.) 
ZWEITER AUFTRITT 
 
Tristan: Isolde: 
 
 
Tristan (stürzt herein): 
Isolde! Geliebte! 
 
Isolde (ihm entgegenspringend): 
Tristan! Geliebter! 
 
(Stürmische Umarmungen beider, unter denen sie in den Vordergrund gelangen.) 
 
Bist du mein? 
 
Tristan: 
Hab ich dich wieder? 
 
Isolde: 
Darf ich dich fassen? 
 
Tristan: 
Kann ich mir trauen? 
 
Isolde: 
Endlich! Endlich! 
 
Tristan: 
An meiner Brust! 
 
Isolde: 
Fühl ich dich wirklich? 
 
Tristan: 
Seh ich dich selber? 
 
Isolde: 
Dies deine Augen? 
 
Tristan: 
Dies dein Mund? 
 
Isolde: 
Hier deine Hand? 
 
Tristan: 
Hier dein Herz? 
 
Isolde: 
Bin ich's? Bist du's? 
Halt ich dich fest? 
 
Tristan: 
Bin ich's? Bist du's? 
Ist es kein Trug? 
 
Isolde: 
Ist es kein Traum? 
O Wonne der Seele, 
o süße, hehrste, 
kühnste, schönste, 
seligste Lust! 
 
Tristan: 
Ohne Gleiche! 
 
Isolde: 
Überreiche! 
 
Tristan: 
Überselig! 
 
Isolde: 
Ewig! 
 
Tristan: 
Ewig! 
 
Isolde: 
Ungeahnte, 
nie gekannte! 
 
Tristan: 
Überschwenglich 
hoch erhabne! 
 
Isolde: 
Freudejauchzen! 
 
Tristan: 
Lustentzücken! 
 
Beide. 
Himmelhöchstes Weltentrücken! 
Mein! Tristan/Isolde mein! 
Mein und dein! 
Ewig, ewig ein! 
 
Isolde: 
Wie lange fern! 
Wie fern so lang! 
 
Tristan: 
Wie weit so nah! 
So nah wie weit! 
 
Isolde: 
O Freundesfeindin, 
böse Ferne! 
Träger Zeiten 
zögernde Länge! 
 
Tristan: 
O Weit'und Nähe, 
hart entzweite! 
Holde Nähe! 
Öde Weite! 
Im Dunkel du, 
im Lichte ich! 
Das Licht! Das Licht! 
O dieses Licht, 
wie lang verlosch es nicht! 
Die Sonne sank, 
der Tag verging, 
doch seinen Neid 
erstickt' er nicht: 
sein scheuchend Zeichen 
zündet er an 
und steckt's an der Liebsten Türe, 
daß nicht ich zu ihr führe. 
 
Isolde: 
Doch der Liebsten Hand 
löschte das Licht; 
wes die Magd sich wehrte, 
scheut' ich mich nicht: 
in Frau Minnes Macht und Schutz 
bot ich dem Tage Trutz! 
 
Tristan: 
Dem Tage! DemTage! 
Dem tückischen Tage, 
dem härtesten Feinde 
Haß und Klage! 
Wie du das Licht, 
o könnt' ich die Leuchte, 
der Liebe Leiden zu rächen, 
dem frechen Tage verlöschen! 
Gibt's eine Not, 
gibt's eine Pein, 
die er nicht weckt 
mit seinem Schein? 
Selbst in der Nacht 
dämmernder Pracht 
hegt ihn Liebchen am Haus, 
streckt mir drohend ihn aus! 
 
Isolde: 
Hegt ihn die Liebste 
am eignen Haus, 
im eignen Herzen 
hell und kraus 
hegt' ihn trotzig 
einst mein Trauter: 
Tristan, der mich betrog! 
War's nicht der Tag, 
der aus ihm log, 
als er nach Irland 
werbend zog, 
für Marke mich zu frein, 
dem Tod die Treue zu weihn? 
 
Tristan: 
Der Tag!Der Tag, 
der dich umgliß, 
dahin, wo sie 
der Sonne glich, 
in höchster Ehren 
Glanz und Licht 
Isolde mir entrückt! 
Was mir das Auge 
so entzückt', 
mein Herze tief 
zur Erde drückt', 
in lichten Tages Schein 
wie war Isolde mein? 
 
Isolde: 
War sie nicht dein, 
die dich erkor? 
Was log der böse 
Tag dir vor, 
daß, die für dich beschieden, 
die Traute du verrietest? 
 
Tristan: 
mit hehrster Pracht, 
der Ehre Glanz, 
des Ruhmes Macht, 
an sie mein Herz zu hangen, 
hielt mich der Wahn gefangen. 
Die mit des Schimmers 
hellstem Schein 
mir Haupt und Scheitel 
licht beschien 
der Welten-Ehren 
Tagessonne, 
mit ihrer Strahlen 
eitler Wonne, 
durch Haupt und Scheitel 
drang mir ein 
bis in des Herzens tiefsten Schrein. 
Was dort in keuscher Nacht 
dunkel verschlossen wacht', 
was ohne Wiss' und Wahn 
ich dämmernd dort empfahn: 
ein Bild, das meine Augen 
zu sehn sich nicht getrauten, 
von des Tages Schein betroffen 
lag mir's da schimmernd offen. 
Was mir so rühmlich schien und hehr, 
das rühmt' ich hell vor allem Heer; 
vor allem Volke pries ich laut 
der Erde schönste Königsbraut. 
Dem Neid, den mir der Tag erweckt'; 
dem Eifer, den mein Glücke schreckt'; 
der Mißgunst, die mir Ehren 
und Ruhm begann zu schweren: 
denen bot ich Trotz, 
und treu beschloß, 
um Ehr und Ruhm zu wahren, 
nach Irland ich zu fahren. 
Isolde: 
O eitler Tagesknecht! 
Getäuscht von ihm, 
der dich getäuscht, 
wie mußt' ich liebend 
um dich leiden, 
den, in des Tages 
falschem Prangen, 
von seines Gleißens 
Trug befangen, 
dort, wo ihn Liebe 
heiß umfaßte, 
im tiefsten Herzen 
hell ich haßte. 
Ach, in des Herzens Grunde 
wie schmerzte tief die Wunde! 
Den dort ich heimlich barg, 
wie dünkt' er mich so arg, 
wenn in des Tages Scheine 
der treu gehegte Eine 
der Liebe Blicken schwand, 
als Feind nur vor mir stand! 
Das als Verräter 
dich mir wies, 
dem Licht des Tages 
wollt' ich entfliehn, 
dorthin in die Nacht 
dich mit mir ziehn, 
wo der Täuschung Ende 
mein Herz mir verhieß; 
wo des Trugs geahnter 
Wahn zerrinne; 
dort dir zu trinken 
ew'ge Minne, 
mit mir dich im Verein 
wollt' ich dem Tode weihn. 
 
Tristan: 
In deiner Hand 
den süßen Tod, 
als ich ihn erkannt, 
den sie mir bot; 
als mir die Ahnung 
hehr und gewiß 
zeigte, was mir 
die Sühne verhieß: 
da erdämmerte mild 
erhabner Macht 
im Busen mir die Nacht; 
mein Tag war da vollbracht. 
 
Isolde: 
Doch ach, dich täuschte 
der falsche Trank, 
daß dir von neuem 
die Nacht versank; 
dem einzig am Tode lag 
den gab er wieder dem T'ag! 
 
Tristan: 
O Heil dem Tranke! 
Heil seinem Saft! 
Heil seines Zaubers 
hehrer Kraft! 
Durch des Todes Tor, 
wo er mir floß, 
weit und offen 
er mir erschloß, 
darin ich sonst nur träumend gewacht, 
das Wunderreich der Nacht. 
Von dem Bild in des Herzens 
bergendem Schrein 
scheucht' er des Tages 
täuschenden Schein, 
daß nachtsichtig mein Auge 
wahr es zu sehen tauge. 
 
Isolde: 
Doch es rächte sich 
der verscheuchte Tag; 
mit deinen Sünden 
Rat's er pflag: 
was dir gezeigt 
die dämmernde Nacht, 
an des Taggestirnes 
Königsmacht 
mußtest du's übergeben, 
um einsam 
in öder Pracht 
schimmernd dort zu leben. 
Wie ertrug ich's nur? 
Wie ertrag ich's noch? 
 
Tristan: 
Oh, nun waren wir 
Nacht-Geweihte! 
Der tückische Tag, 
der neidbereite, 
trennen konnt' uns sein Trug, 
doch nicht mehr täuschen sein Lug! 
Seine eitle Pracht, 
seinen prahlenden Schein 
verlacht, wem die Nacht 
den Blick geweiht: 
seines flackernden Lichtes 
flüchtige Blitze 
blenden uns nicht mehr. 
Wer des Todes Nacht 
liebend erschaut, 
wem sie ihr tief 
Geheimnis vertraut: 
Macht und Gewinn, 
so schimmernd hehr, 
wie eitler Staub der Sonnen 
sind sie vor dem zersponnen! 
In des Tages eitlem Wähnen 
bleibt ihm ein einzig Sehnen - 
das Sehnen hin 
zur heil'gen Nacht, 
wo einzig wahr 
Liebeswonne ihm lacht 
(Tristan zieht Isolde sanft zur Seite auf eine Blumenhank nieder, senkt sich vor ihr auf die Knie und schmiegt sein Haupt in ihren Arm.) 
 
    Beide: 
    O sink hernieder,  
      Nacht der Liebe, 
    gib Vergessen,  
      daß ich lebe; 
    nimm mich auf  
      in deinen Schoß, 
    löse von  
      der Welt mich los! 
     
    Tristan: 
    Verloschen nun  
      die letzte Leuchte; 
    was wir dachten,  
      was uns deuchte; 
    all Gedenken –  
      all Gemahnen – 
    heil'ger Dämmrung  
      hehres Ahnen 
    löscht des Wähnens Graus  
      welterlösend aus. 
     
    Isolde: 
    Barg im Busen  
      uns sich die Sonne, 
    leuchten lachend  
      Sterne der Wonne. 
     
    Tristan: 
    Von deinem Zauber  
      sanft umsponnen, 
    vor deinen Augen  
      süß zerronnen; 
     
    Isolde: 
    Herz an Herz dir,  
      Mund an Mund; 
     
    Isolde: 
    eines Atems  
      ein'gerBund; 
     
    Beide: 
    bricht mein Blick sich  
      wonnerblindet, 
    erbleicht die Welt  
      mit ihrem Blenden: 
     
    Isolde: 
    die uns der Tag  
      trügend erhellt, 
    zu täuschendem Wahn  
      entgegengestellt, 
    selbst dann  
      bin ich die Welt: 
    wonnehehrstes Weben,  
      liebeheiligstes Leben, 
    Nie-wieder-Erwachens  
      wahnlos 
    holdbewußter Wunsch. 
 
(Tristan und Isolde versinken wie in gänzliche Entrücktheit, in der sie, Haupt an Haupt auf die Blumenbank zurückgelehnt, verweilen.) 
    Brangänes Stimme (von der Zinne her): 
    Einsam wachend  
      in der Nacht, 
    wem der Traum  
      der Liebe lacht, 
    hab der einen  
      Ruf in acht, 
    die den Schläfern  
      Schlimmes ahnt, 
    bange zum  
      Erwachen mahnt. 
    Habet acht!  
      Habet acht! 
    Bald entweicht die Nacht.  
     
    Isolde (leise): 
    Lausch, Geliebter!  
     
    Tristan (ebenso): 
      Laß mich sterben!  
     
    Isolde (allmählich sich ein wenig erhebend): 
    Neid'sche Wache!  
     
    Tristan (zurückgelehnt bleibend): 
      Nie erwachen! 
     
    Isolde: 
    Doch der Tag muß  
      Tristan wecken? 
     
    Tristan (ein wenig das Haupt erhebend): 
    Laß den Tag  
      dem Tode weichen! 
     
    Isolde: 
    Tag und Tod  
      mit gleichen Streichen 
    sollten unsre  
      Lieb' erreichen? 
     
    Tristan (sich mehr aufrichtend): 
    Unsre Liebe?  
      Tristans Liebe? 
    Dein' und mein',  
      Isoldes Liebe? 
    Welches Todes Streichen  
      könnte je sie weichen? 
    Stünd' er vor mir,  
      der mächt'ge Tod, 
    wie er mir Leib  
      und Leben bedroht', 
    die ich so willig  
      der Liebe lasse, 
    wie wäre seinen Streichen  
      die Liebe selbst zu erreichen? 
(Immer inniger mit dem Haupt sich an Isolde schmiegend.) 
    Stürb' ich nun ihr,  
      der so gern ich sterbe, 
    wie könnte die Liebe  
      mit mir sterben, 
    die ewig lebende  
      mit mir enden? 
    Doch stürbe nie seine Liebe,  
      wie stürbe dann Tristan 
    seiner Liebe?  
     
    Isolde: 
    Doch unsre Liebe,  
      heißt sie nicht Tristan 
    und  
      – Isolde? 
    Dies süße Wörtlein:  
      und, 
    was es bindet,  
      der Liebe Bund, 
    wenn Tristan stürb',  
      zerstört' es nicht der Tod? 
     
    Tristan: 
    Was stürbe dem Tod,  
      als was uns stört, 
    was Tristan wehrt,  
      Isolde immer zu lieben, 
    ewig ihr nur zu leben?  
     
    Isolde: 
    Doch dieses Wörtlein:  
      und – 
    wär' es zerstört,  
      wie anders als 
    mit Isoldes eignem Leben  
      wär' Tristan der Tod gegeben? 
(Tristan zieht, mit bedeutungsvoller Gebärde, Isolde sanft an sich.) 
 
 
    Tristan: 
    So stürben wir,  
      um ungetrennt, 
    ewig einig  
      ohne End', 
    ohn' Erwachen,  
      ohn' Erbangen, 
    namenlos  
      in Lieb' umfangen, 
    ganz uns selbst gegeben,  
      der Liebe nur zu leben! 
     
    Isolde (wie in sinnender Entrücktheit zu ihm aufblickend): 
    So stürben wir,  
      um ungetrennt – 
     
    Tristan: 
    ewig einig  
      ohneEnd' – 
     
    Isolde: 
    ohn'Erwachen –  
     
    Tristan: 
    ohn' Erbangen –  
     
    Beide. 
    namenlos  
      in Lieb' umfangen, 
    ganz uns selbst gegeben,  
      der Liebe nur zu leben! 
(Isolde neigt wie überwältigt das Haupt an seine Brust.) 
    Brangänes Stimme (wie vorher): 
    Habet acht!  
      Habet acht!  
    Schon weicht dem Tag die Nacht.  
     
Tristan (lächelnd zu Isolde geneigt): 
Soll ich lauschen? 
 
Isolde (schwärmerisch zu Tristan aufblickend): 
Laß mich sterben! 
 
Tristan (ernster): 
Muß ich wachen? 
 
Isolde (bewegter): 
Nie erwachen! 
 
Tristan (drängender): 
Soll der Tag 
noch Tristan wecken? 
 
Isolde (begeistert): 
Laß den Tag 
dem Tode weichen! 
 
Tristan: 
Des Tages Dräuen 
nun trotzten wir so? 
 
Isolde (mit wachsender Begeisterung): 
Seinem Trug ewig zu fliehn. 
 
Tristan: 
Sein dämmernder Schein 
verscheuchte uns nie? 
Isolde (mit großer Gebärde ganz sich erhebend): 
Ewig währ' uns die Nacht! 
 
(Tristan folgt ihr, sie umfangen sich in schwärmerischer Begeisterung.) 
 
    Beide: 
    O ew'geNacht,  
      süße Nacht! 
    Hehr erhabne  
      Liebesnacht! 
    Wen du umfangen,  
      wem du gelacht, 
    wie wär' ohne Bangen  
      aus dir er je erwacht? 
    Nun banne das Bangen,  
      holder Tod, 
    sehnend verlangter  
      Liebestod! 
    In deinen Armen,  
      dir geweiht, 
    urheilig Erwarmen,  
      von Erwachens Not befreit!  
     
    Tristan: 
    Wie sie fassen,  
      wie sie lassen, 
    diese Wonne -  
     
    Beide: 
      Fern der Sonne, 
    fern der Tage  
      Trennungsklage! 
    Isolde: 
    Ohne Wähnen –  
    Tristan: 
      sanftes Sehnen; 
    Isolde: 
    ohne Bangen –  
    Tristan: 
      süß Verlangen. 
    Ohne Wehen –  
    Beide. 
      hehr Vergehen. 
    Isolde: 
    Ohne Schmachten –  
     
    Beide. 
      hold Umnachten. 
     
    Tristan: 
    Ohne Meiden -  
     
    Beide: 
      ohne Scheiden, 
    traut allein,  
      ewig heim, 
    in ungemeßnen Räumen  
      übersel'ges Träumen. 
     
    Tristan: 
    Tristan du,  
      ich Isolde, 
    nicht mehr Tristan!  
     
    Isolde: 
    Du Isolde,  
      Tristan ich, 
    nicht mehr Isolde!  
     
    Beide. 
    Ohne Nennen,  
      ohne Trennen, 
    neu Erkennen,  
      neu Entbrennen; 
    ewig endlos,  
      ein-bewußt: 
    heiß erglühter Brust  
      höchste Liebeslust! 
(Sie bleiben in verzückter Stellung.) 
 
(Brangäne stößt einen grellen Schrei aus. Kurwenal stürzt mit entblößtem Schwerte herein.) 
 
DRITTER AUFTRITT 
 
Die Vorigen. Kurwenal: 
Brangäne: Marke: Melot. Hofleute. 
 
Kurwenal: 
Rette dich, Tristan! 
 
(Er blickt mit Entsetzen hinter sich in die Szene zurück. Marke, Melot und Hofleute, in Jägertracht, kommen aus dem Baumgange lebhaft nach dem Vordergrunde und halten entsetzt der Gruppe der Liebenden gegenüber an. Brangäne kommt zugleich von der Zinne herab und stürzt auf Isolde zu. Diese, von unwillkürlicher Scham ergriffen, lehnt sich, mit abgewandtem Gesicht, auf die Blumenbank. Tristan, in ebenfalls unwillkürlicher Bewegung, streckt mit dem einen Arm den Mantel breit aus, so daß er Isolde vor den Blicken der Ankommenden verdeckt. In dieser Stellung verbleibt er längere Zeit, unbeweglich den starren Blick auf die Männer gerichtet, die in verschiedener Bewegung die Augen auf ihn heften. Morgendämmerung.) 
 
Tristan (nach längerem Schweigen): 
Der öde Tag 
zum letztenmal! 
 
Melot (zu Marke): 
Das sollst du, Herr, mir sagen, 
ob ich ihn recht verklagt? 
Das dir zum Pfand ich gab, 
ob ich mein Haupt gewahrt? 
Ich zeigt' ihn dir 
in offner Tat: 
Namen und Ehr' 
hab ich getreu 
vor Schande dir bewahrt. 
Marke (nach tiefer Erschütterung, mit bebender Stimme): 
Tatest du's wirklich? 
Wähnst du das? 
Sieh ihn dort, 
den treusten aller Treuen; 
blick auf ihn, 
den freundlichsten der Freunde: 
seiner Treue 
freiste Tat 
traf mein Herz 
mit feindlichstem Verrat! 
Trog mich Tristan, 
sollt' ich hoffen, 
was sein Trügen 
mir getroffen, 
sei durch Melots Rat 
redlich mir bewahrt? 
 
Tristan (krampfhaft heftig): 
Tagsgespenster! 
Morgenträume! 
Täuschend und wüst! 
Entschwebt! Entweicht! 
 
Marke (mit tiefer Ergriffenheit): 
Mir dies? 
Dies, Tristan, mir? – 
Wohin nun Treue, 
da Tristan mich betrog? 
Wohin nun Ehr 
und echte Art, 
da aller Ehren Hort, 
da Tristan sie verlor? 
Die Tristan sich 
zum Schild erkor, 
wohin ist Tugend 
nun entflohn, 
da meinen Freund sie flieht, 
da Tristan mich verriet? 
 
(Tristan senkt langsam den Blick zu Boden; in seinen Mienen ist, während Marke fortfährt, zunehmende Trauer zu lesen.) 
 
Wozu die Dienste 
ohne Zahl, 
der Ehren Ruhm, 
der Größe Macht, 
die Marken du gewannst; 
mußt' Ehr und Ruhm, 
Größ' und Macht, 
mußte die Dienste 
ohne Zahl 
dir Markes Schmach bezahlen? 
Dünkte zu wenig 
dich sein Dank, 
daß, was du ihm erworben, 
Ruhm und Reich, 
er zu Erb und Eigen dir gab? 
Da kinderlos einst 
schwand sein Weib, 
so liebt' er dich, 
daß nie aufs neu' 
sich Marke wollt' vermählen. 
Da alles Volk 
zu Hof und Land 
mit Bitt' und Dräuen 
in ihn drang, 
die Königin dem Lande, 
die Gattin sich zu kiesen; 
da selber du 
den Ohm beschworst, 
des Hofes Wunsch, 
des Landes Willen 
gütlich zu erfüllen; 
in Wehr wider Hof und Land, 
in Wehr selbst gegen dich, 
mit List und Güte 
weigerte er sich, 
bis, Tristan, du ihm drohtest, 
für immer zu meiden 
Hof und Land, 
würdest du selber 
nicht entsandt, 
dem König die Braut zu frein. 
Da ließ er's denn so sein. 
Dies wundervolle Weib, 
das mir dein Mut gewann, 
wer durft' es sehen, 
wer es kennen, 
wer mit Stolze 
sein es nennen, 
ohne selig sich zu preisen? 
Der mein Wille 
nie zu nahen wagte, 
der mein Wunsch 
ehrfurchtscheu entsagte, 
die so herrlich 
hold erhaben 
mir die Seele 
mußte laben, 
trotz Feind und Gefahr, 
die fürstliche Braut 
brachtest du mir dar. 
Nun, da durch solchen 
Besitz mein Herz 
du fühlsamer schufst 
als sonst dem Schmerz, 
dort, wo am weichsten, 
zart und offen, 
würd' ich getroffen, 
nie zu hoffen, 
daß je ich könnte gesunden: 
warum so sehrend, 
Unseliger, 
dort nun mich verwunden? 
Dort mit der Waffe 
quälendem Gift, 
das Sinn und Hirn 
mir sengend versehrt, 
das mir dem Freund 
die Treue verwehrt, 
mein offnes Herz 
erfüllt mit Verdacht, 
daß ich nun heimlich 
in dunkler Nacht 
den Freund lauschend beschleiche, 
meiner Ehren Ende erreiche? 
Die kein Himmel erlöst, 
warum mir diese Hölle? 
Die kein Elend sühnt, 
warum mir diese Schmach? 
Den unerforschlich tief 
geheimnisvollen Grund, 
wer macht der Welt ihn kund? 
Tristan (mitleidig das Auge zu Marke erhebend): 
O König, das 
kann ich dir nicht sagen; 
und was du frägst, 
das kannst du nie erfahren. 
 
(Er wendet sich zu lsolde, die sehnsüchtig zu ihm aufblickt.) 
 
Wohin nun Tristan scheidet, 
willst du, Isold', ihm folgen? 
Dem Land, das Tristan meint, 
der Sonne Licht nicht scheint: 
es ist das dunkel 
nächt'ge Land, 
daraus die Mutter 
mich entsandt, 
als, den im Tode 
sie empfangen, 
im Tod sie ließ 
an das Licht gelangen. 
Was, da sie mich gebar, 
ihr Liebesberge war, 
das Wunderreich der Nacht, 
aus der ich einst erwacht: 
das bietet dir Tristan, 
dahin geht er voran: 
ob sie ihm folge treu und hold – 
das sag ihm nun Isold'! 
 
Isolde: 
Als für ein fremdes Land 
der Freund sie einstens warb, 
dem Unholden 
treu und hold 
mußt' Isolde folgen. 
Nun führst du in dein Eigen, 
dein Erbe mir zu zeigen; 
wie flöh' ich wohl das Land, 
das alle Welt umspannt? 
Wo Tristans Haus und Heim, 
da kehr' Isolde ein: 
auf dem sie folge 
treu und hold, 
den Weg nun zeig Isold'! 
 
(Tristan neigt sich langsam über sie und küßt sie sanft auf die Stirn. – Melot fährt wütend auf.) 
 
Melot (das Schwert ziehend): 
Verräter! Ha! 
Zur Rache, König! 
Duldest du diese Schmach? 
 
(Tristan zieht sein Schwert und wendet sich schnell um.) 
 
Tristan: 
Wer wagt sein Leben an das meine? 
(Er heftet den Blick auf Melot.) 
 
Mein Freund war der, 
er minnte mich hoch und teuer; 
um Ehr und Ruhm 
mir war er besorgt wie keiner. 
Zum Übermut 
trieb er mein Herz; 
die Schar führt' er, 
die mich gedrängt, 
Ehr und Ruhm mir zu mehren, 
dem König dich zu vermählen! 
Dein Blick, Isolde, 
blendet' auch ihn; 
aus Eifer verriet 
mich der Freund 
dem König, den ich verriet! 
 
(Er dringt auf Melot ein.) 
Wehr dich, Melot! 
 
(Als Melot ihm das Schwert entgegenstreckt, läßt Tristan das seinige fallen und sinkt verwundet in Kurwenals Arme. Isolde stürzt sich an seine Brust. Marke hält Melot zurück. 
Der Vorhang fällt schnell.) 
 
 
Richard Wagner : Tristan und Isolde : 1. Akt  /  2. Akt  /  3. Akt
 
 
Richard Wagner: Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg, 1., 2. und 3.Aufzug * Das Lied vom Tannhäuser
Chrêtiens und Wolframs Parzival * Wagner: Parsifal * Tristan * Wolfram und Klingsôr im Wartburgkrieg:
Der Gral als Stein aus der Krone der Gerechtigkeit * Luzifers Sturz (Jes 14,12 ff) * Der "köstliche Stein" (1.Petrusbrief)
Goethe: Das Märchen / Deutung (R.Steiner) * Novalis: Klingsohrs Märchen im "Heinrich von Ofterdingen" * Novalis: Hymne
Elischa Beth: "...noch einen Tannhäuser schuldig" bzw. "Zwiebelgold" (Roman) * vgl. 7.Rundbrief 2005
*+)
Nietzsche: Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik * Schopenhauer: Musik
Index * Rheingold-Travestie * lapsit exillîs (Index) * Mr.Eckhart * Böhme: Aurora * Chym. Hochzeit * Venus-Geburt
Rgveda * Nietzsche: Raffaels "Transfiguration" * Proklos * Pascal: l'infini * Leibniz: Monaden * Kant: Raum und Zeit
Novalis: Lehrlinge zu Sais / Hymne / Astralis / Klingsohrs Märchen / Hymnen an die Nacht * Novalis, Schelling
Kafka: Parabeln * Steiner: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? / Theosophie * Luzifers Sturz
1.Joh-Brief * Paulus * Hebräerbrief * Entfaltet der SOHN die Werke des Vaters auch in der Natur?
Gott ist Licht * Gott ist Liebe * Gott ist Geist * Pfingsten * Johannesevang.: Hochzeit zu Kana * Perlenlied
Das Hohe Lied: "Wo ist denn dein Freund hingegangen?" * Runge: Der Morgen * Euripides: Die Bakchen
 
*
emaille?! an den Autor, Übersetzer und Herausgeber (Feire Fiz)
 
Zimmermann, Görlitz : lapsit exillis : Gral : Tristan : 2.Akt
 
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