Aristoteles, Metaphysik 1,5: Die Lehren der Pythagoreier und Eleaten

Hans Zimmermann : 12 KÖRBE: Quellen zum Thema "Schöpfung" und zum Weltbild der Antike und des Mittelalters : Aristoteles : Pythagoreier Aristoteles Metaphysik Buch A, 985b 23 – 988a 17 Die Lehrmeinungen der Pythagoreier und Eleaten Die zehn Ursprungs-Paare der Pythagoreier Pythagoreische Ansätze in Platons Ideenlehre

vgl.: Pythagoras bei Diogenes Laertios

und Ovid: Metamorphosen 15: Lehren des Pythagoras

Die Lehrmeinungen der Pythagoreier

en de toutois kai pro toutôn

hoi kaloumenoi Puthagoreioi tôn mathêmatôn hapsamenoi prôtoi

tauta te proêgagon, kai [25] entraphentes en autois

tas toutôn archas tôn ontôn archas ôⁱêthêsan einai pantôn.

Zu dieser Zeit, aber auch schon vorher,

befaßten sich die sogenannten Pythagoreier als erste mit der Mathematik,

führten sie weiter aus und waren, da sie sich damit geradezu ernährten,

der Meinung, daß deren Ursprünge die Ursprünge aller Dinge seien.

epei de toutôn hoi arithmoi phusei prôtoi,

en de toutois edokoun theôrein homoiômata polla tois ousi kai gignomenois,

mallon ê en puri kai gêⁱ kai hudati,

hoti to men toiondi tôn arithmôn pathos dikaiosunê

[30] to de toiondi psuchê te kai nous

heteron de kairos

kai tôn allôn hôs eipein hekaston homoiôs,

Da nun von diesen Ursprüngen die Zahlen von Natur aus die Ersten seien,

sie aber gerade in diesen viele Ähnlichkeiten mit dem Seienden und Entstehenden zu sehen glaubten

– mehr als in Feuer, Erde oder Wasser –,

weil die eine Ausdruckskraft der Zahlen die Gerechtigkeit,

die andere die Lebensseele und die Vernunft,

wieder eine andere den richtigen Augenblick meine,

und von allem übrigen sozusagen jede in gleicher Weise,

eti de tôn harmoniôn en arithmois horôntes ta pathê kai tous logous,

epei dê ta men alla tois arithmois ephainonto tên phusin aphômoiôsthai pasan,

hoi d' arithmoi pasês tês phuseôs prôtoi,

und da sie zudem in den Zahlen die Ausdruckskräfte und Verhältnisse der Harmonien sahen,

weil sie also glaubten, alles andere gleiche seiner ganzen Natur nach den Zahlen

und die Zahlen seien die "Ersten" in der ganzen Natur,

[986a][1] ta tôn arithmôn stoicheia tôn ontôn stoicheia pantôn hupelabon einai,

kai ton holon ouranon harmonian einai kai arithmon:

nahmen sie an, daß die Elemente der Zahlen die Elemente alles Seienden seien

und daß der gesamte Himmel Harmonie und Zahl sei.

kai hosa eichon homologoumena en te tois arithmois kai tais harmoniais

pros [5] ta tou ouranou pathê kai merê

kai pros tên holên diakosmêsin,

tauta sunagontes ephêrmotton.

Und alles, was sie Übereinstimmendes in den Zahlen und in den Harmonien

in Hinsicht auf die Ausdruckskräfte und Teile des Himmels

und die Gesamtordnung des Himmels fanden,

das führten sie zusammen und paßten es einander an.

kan ei ti pou dieleipe, proseglichonto

tou suneiromenên pasan autois einai tên pragmateian:

Und wenn nun etwas offenblieb, so fügten sie noch etwas hinzu,

damit ihre ganze Theorie geschlossen sei.

legô d' hoion,

epeidê teleion hê dekas einai dokei kai pasan perieilêphenai tên tôn arithmôn phusin,

[10] kai ta pheromena kata ton ouranon deka men einai phasin,

ontôn de ennea monon tôn phanerôn dia touto dekatên tên antichthona poiousin.

dihôristai de peri toutôn en heterois hêmin akribesteron.

Ich meine das etwa so:

Da sie glauben, die Zehnheit sei vollkommen und umfasse die gesamte Natur der Zahlen,

behaupten sie auch, daß es zwar zehn am Himmel herumeilende Planeten gäbe;

weil es aber nur neun der sichtbaren gibt, deshalb setzten sie als zehnte die Gegenerde.

Doch darüber haben wir in anderen Schriften genauer gehandelt.

all' hou dê charin eperchometha,

touto estin hopôs labômen kai para toutôn tinas einai titheasi

tas [15] archas

kai pôs eis tas eirêmenas empiptousin aitias.

Aber weswegen wir darauf eingehen,

hat den Grund darin, auch von diesen Philosophen zu entnehmen,

welche Ursprünge sie ansetzen

und wie diese unter die eben genannten Ursachen fallen.

phainontai dê kai houtoi ton arithmon nomizontes archên einai

kai hôs hulên tois ousi kai hôs pathê te kai hexeis,

tou de arithmou stoicheia to te artion kai to peritton,

toutôn de to men peperasmenon to de apeiron,

to d' HEN ex amphoterôn einai toutôn [20] kai gar artion einai kai peritton,

ton d' arithmon ek tou henos,

arithmous de, kathaper eirêtai, ton holon ouranon.

Offenbar halten auch die Pythagoreier die Zahl für einen Ursprung

– sowohl im Sinne von Stoff für das Seiende wie im Sinne von Ausdruckskräften und Zuständen –;

sie glauben, die Elemente der Zahl seien das Gerade und Ungerade,

wovon aber das eine begrenzt sei, das andere unbegrenzt;

das EINE jedoch bestehe aus beidem (denn sie sei gerade und ungerade),

die Zahl wiederum bestehe aus dem Einen,

und – wie gesagt – die Zahlen bildeten den ganzen Himmel.

heteroi de tôn autôn toutôn tas archas deka legousin einai

tas kata sustoichian legomenas,

Andere Mitglieder derselben Schule sagen wiederum, es gebe zehn Ursprünge,

die sie in Entsprechungspaaren aufzählen:

peras – apeiron,
peritton – artion,
hen – plêthos,
dexion – aristeron,
arren – thêlu, [25]
êremoun – kinoumenon,
euthu – kampulon,
phôs – skotos,
agathon – kakon,
tetragônon – heteromêkes:

Grenze – Unbegrenztes
Ungerades – Gerades
Eines – Menge
Rechtes – Linkes
Männliches – Weibliches
Ruhendes – Bewegtes
Gerades – Gekrümmtes
Licht – Dunkel
Gutes – Schlechtes
Quadrat – Rechteck.

honper tropon eoike kai Alkmaiôn ho Krotôniatês hupolabein,

kai êtoi houtos par' ekeinôn

ê ekeinoi para toutou parelabon ton logon touton:

Auf diese Weise scheint auch Alkmaion aus Kroton seine Annahmen zu bilden,

und entweder hat dieser den Gedanken von jenen

oder jene von diesem übernommen.

kai gar [egeneto tên hêlikian] Alkmaiôn [30] [epi geronti Puthagorai,]

apephênato [de] paraplêsiôs toutois:

phêsi gar einai duo ta polla tôn anthrôpinôn,

legôn tas enantiotêtas ouch hôsper houtoi dihôrismenas

alla tas tuchousas, hoion

leukon melan, gluku pikron, agathon kakon, mega mikron.

Alkmaion nämlich [traf noch als junger Mann auf Pythagoras, der schon ein alter Mann war,

und] äußerte sich in ähnlicher Weise wie jene.

Denn er sagt, daß die meisten menschlichen Verhältnisse zu Zweiern polarisiert seien,

wobei er aber die Gegensetzungs-Polaritäten nicht wie jene als fest bestimmte darstellt,

sondern als zufällige, wie etwa:

weiß –schwarz, süß – bitter, gut – schlecht, groß – klein.

houtos men oun adihoristôs aperripse peri tôn loipôn,

[986b][1] hoi de Puthagoreioi kai posai kai tines hai enantiôseis [2] apephênanto.

Über die übrigen hat er sich nun nicht bestimmt ausgesprochen;

die Pythagoreier aber erklärten, wie viele und welche Gegensetzungs-Polaritäten es gebe.

para men oun toutôn amphoin tosouton esti labein,

hoti tanantia archai tôn ontôn:

to d' hosai para tôn heterôn, kai tines hautai eisin.

Aus diesen beiden Lehrmeinungen kann man also soviel entnehmen,

daß die Gegensätze die Ursprünge des Seienden darstellen;

doch wie viele es gibt, kann man nur von den erfahren, und welche sie sind.

pôs mentoi pros [5] tas eirêmenas aitias endechetai sunagein,

saphôs men ou diêrthrôtai par' ekeinôn,

eoikasi d' hôs en hulês eidei ta stoicheia tattein:

ek toutôn gar hôs enhuparchontôn

sunestanai kai peplasthai phasi tên ousian.

Wie es allerdings möglich ist, sie auf die von uns genannten Ursachen zurückzuführen,

ist von ihnen nicht klar und deutlich auseinandergesetzt worden,

sie scheinen aber die Elemente stoffartig einzuordnen;

sie behaupten nämlich, daß aus ihnen als aus ihnen innewohnenden Bestandteilen

die Wesenheit zusammengesetzt und gebildet sei..

tôn men oun palaiôn kai pleiô legontôn ta stoicheia tês phuseôs

ek toutôn

hikanon [10] esti theôrêsai tên dianoian:

Von den alten Philosophen nun, die sagen, daß es mehrere Elemente der Natur gebe,

kann man daraus hinreichend den Gedankengang ersehen.

eisi de tines hoi peri tou pantos

hôs mias ousês phuseôs apephênanto,

tropon de ou ton auton pantes

oute tou kalôs oute tou kata tên phusin.

Doch gibt es auch welche, die sich über das All

dahingehend äußerten,

als gebe es nur eine Natur,

allerdings nicht alle auf dieselbe Weise,

weder, was die Eleganz, noch, was die Übereinstimmung mit der Natur anlangt.

eis men oun tên nun skepsin tôn aitiôn

oudamôs sunharmottei peri autôn ho logos

ou gar hôsper enioi tôn phusiologôn HEN hupothemenoi [15] to ON

homôs gennôsin

hôs ex hulês tou HENOS,

all' heteron tropon houtoi legousin:

ekeinoi men gar prostitheasi kinêsin, gennôntes ge to pan,

houtoi de akinêton einai phasin:

Nun gehört zur gegenwärtigen Sichtung der Ursachen

zwar keineswegs, daß diese Denker zur Sprache gebracht werden;

sie nehmen nämlich nicht wie einige Naturkundige das SEIENDE als das EINE an,

wenn sie es auch aus dem EINEN wie aus einem Stoff entstehen lassen,

sondern sie sprechen in anderer Art,

denn jene fügen die Bewegung hinzu, indem sie das All entstehen lassen,

doch diese behaupten, das All sei unbewegt.

Lehrmeinungen der Eleaten

ou mên alla tosouton ge oikeion esti têⁱ nun skepsei.

Parmenidês men gar eoike tou kata ton logon HENOS haptesthai,

Melissos [20] de tou kata tên hulên

diho kai ho men peperasmenon

ho d' apeiron phêsin einai auto:

Gewiß nicht; aber so viel gehört zur gegenwärtigen Überlegung:

Parmenides nämlich scheint das EINE logisch aufgefaßt zu haben,

Melissos hingegen stofflich;

so meint auch jener, es sei begrenzt,

dieser, es sei unbegrenzt.

Xenophanês de prôtos toutôn henisas

ho gar Parmenidês toutou legetai genesthai mathêtês

outhen diesaphênisen,

oude tês phuseôs toutôn oudeteras eoike thigein,

all' eis ton holon ouranon apoblepsas to HEN einai phêsi ton [25] theon.

Xenophanes, der als erster von ihnen "einserte",

– denn Parmenides soll sein Schüler gewesen sein –

gab keine klare Darlegung davon;

er scheint auch in keiner von beiden Hinsichten dessen Natur aufgefaßt zu haben,

sondern im Hinblick auf den gesamten Himmel sagt er, das EINE sei Gott.

houtoi men oun, kathaper eipomen,

apheteoi pros tên nun zêtêsin,

hoi men duo kai pampan hôs ontes mikron agroikoteroi,

Xenophanês kai Melissos:

Diese Denker nun, wie gesagt,

müssen bei der gegenwärtigen Untersuchung übergangen werden;

zwei allerdings in besonderem Maße, da sie zu ungeschult im Denken sind,

nämlich Xenophanes und Melissos.

Parmenidês de mallon blepôn eoike pou legein:

para gar to ON to mê on outhen axiôn einai,

ex anankês HEN oietai einai to ON kai [30] allo outhen

peri hou saphesteron en tois peri phuseôs eirêkamen,

Dagegen scheint Parmenides manchmal mit mehr Einsicht zu sprechen:

Da er meint, daß neben dem SEIENDEN das Nichtseiende nicht existiere,

glaubt er, daß notwendigerweise das SEIENDE EINES sei und nichts anderes

– worüber wir Deutlicheres in unserer Physik gesagt haben –;

anankazomenos d' akolouthein tois phainomenois,

kai to HEN men kata ton logon

pleiô de kata tên aisthêsin hupolambanôn einai,

duo tas aitias kai duo tas archas palin tithêsi,

thermon kai psuchron, hoion pur kai gên legôn:

aber gezwungen, den Erscheinungen Folge zu leisten,

und in der Annahme, es gebe dem Begriff nach das EINE,

jedoch der Sinneswahrnehmung nach mehreres,

setzt er doch wieder zwei Ursachen und zwei Ursprünge an

und bezeichnet sie mit warm und kalt, das heißt Feuer und Erde.

[987a][1] toutôn de kata men to ON to thermon tattei

thateron de kata to mê on.

Davon ordnet er das Warme dem SEIENDEN zu,

das andere dem Nichtseienden.

ek men oun tôn eirêmenôn kai para tôn sunêdreukotôn

êdê tôⁱ logôⁱ sophôn tauta pareilêphamen, para men tôn prôtôn

sômatikên te tên archên

hudôr gar kai [5] pur kai ta toiauta sômata estin,

kai tôn men mian

tôn de pleious tas archas tas sômatikas,

amphoterôn mentoi tautas hôs en hulês eidei tithentôn,

Aus dem Gesagten und von den weisen Männern, die mit uns beratschlagten,

haben wir folgendes übernommen: von den frühesten Philosophen,

daß der Ursprung körperlich sei,

denn Wasser und Feuer und derartiges sind Körper;

und zwar meinen von diesen Denkern die einen, es gebe nur einen Ursprung,

die anderen, es gebe mehrere körperliche Ursprünge;

beide allerdings setzen sie als stoffartige Ursprünge an.

para de tinôn tautên te tên aitian tithentôn

kai pros tautêⁱ tên hothen hê kinêsis,

kai tautên para tôn men mian para tôn de duo.

Einige wiederum, die eine solche Ursache annehmen,

fügen noch das Woher der Bewegung hinzu,

und zwar entweder als eine oder als zwei Ursachen.

mechri men [10] oun tôn Italikôn kai chôris ekeinôn

moruchôteron eirêkasin hoi alloi peri autôn,

plên hôsper eipomen duoin te aitiain tunchanousi kechrêmenoi,

kai toutôn tên heteran hoi men mian

hoi de duo poiousi, tên hothen hê kinêsis:

Bis zu den Italikern nun und unabhängig von ihnen

haben die Philosophen zu unklar darüber gehandelt,

ausgenommen, wie gesagt, daß sie zwei Ursachen verwendeten,

von denen sie die eine – das Woher der Bewegung – einerseits als eine,

andererseits als zwei ansetzen.

hoi de Puthagoreioi duo men tas archas kata ton auton eirêkasi tropon,

tosouton [15] de prosepethesan ho kai idion estin autôn,

hoti to peperasmenon kai to apeiron [kai to HEN]

ouch heteras tinas ôⁱêthêsan einai phuseis,

hoion pur ê gên ê ti toiouton heteron,

all' auto to apeiron kai auto to HEN ousian einai toutôn

hôn katêgorountai,

diho kai arithmon einai tên ousian pantôn.

Aber die Pythagoreier haben auf dieselbe Art behauptet, es gebe zwei Ursprünge,

doch setzten sie noch hinzu, was ihnen eigentümlich ist,

daß das Begrenzte und Unbegrenzte [und das EINE]

nicht noch andere Naturen seien,

wie etwa Feuer oder Erde oder etwas anderes derartiges,

sondern daß das Unbegrenzte selbst und das EINE selbst die Wesenheit derer seien,

von denen sie ausgesagt werden;

daher sei auch die Zahl die Wesenheit aller.

peri te [20] toutôn oun touton apephênanto ton tropon,

kai peri tou ti estin êrxanto men legein kai horizesthai,

lian d' haplôs epragmateuthêsan.

Darüber also äußerten sie sich auf diese Weise;

auch begannen sie, über das Was zu sprechen und Definitionen aufzustellen,

doch gingen sie dabei sehr einfach vor.

hôrizonto te gar epipolaiôs,

kai hôⁱ prôtôⁱ huparxeien ho lechtheis horos,

tout' einai tên ousian tou pragmatos enomizon,

hôsper ei tis oioito tauton einai diplasion kai tên [25] duada

dioti prôton huparchei tois dusi to diplasion.

Sie definierten nämlich auf oberflächliche Weise,

und sie glaubten, daß dasjenige, dem zuerst die besagte Definition zukommen sollte,

die Wesenheit der Sache sei,

als glaubte jemand, das Doppelte und die Zwei seien dasselbe,

weil zuerst das Doppelte der Zwei zukommt.

all' ou tauton isôs esti to einai diplasiôⁱ kai duadi:

ei de mê, polla to HEN estai,

ho kakeinois sunebainen.

Doch das Doppeltsein und das Zweisein sind wohl nicht dasselbe;

wäre dem nicht so, würde auch das EINE vieles sein,

was ja auch für die Pythagoreier zutraf.

para men oun tôn proteron kai tôn allôn tosauta esti labein.

Soviel ist nun den frühen Philosophen und den anderen zu entnehmen.

Pythagoreische Ansätze in Platons Ideenlehre

meta de tas eirêmenas philosophias hê Platônos epegeneto [30] pragmateia,

ta men polla toutois akolouthousa,

ta de kai idia para tên tôn Italikôn echousa philosophian.

Den genannten philosophischen Lehren folgte Platons Philosophie,

die sich in vielem zwar diesen anschließt,

die aber doch auch Eigentümlichkeiten gegenüber der Lehre der Italiker zeigt.

ek neou te gar sunêthês genomenos prôton Kratulôⁱ

kai tais Hêrakleiteiois doxais,

hôs hapantôn tôn aisthêtôn aei rheontôn kai epistêmês peri autôn ouk ousês,

tauta men kai husteron houtôs hupelaben:

Er war in seiner Jugend zuerst mit Kratylos vertraut geworden

und den Lehrmeinungen der Heraklitschule, die besagen,

daß sich alle Sinnesdinge im Fluß befänden und daß es darüber keine Wissenschaft gebe,

welche Anschauung er auch späterhin vertrat.

[987b][1] Sôkratous de peri men ta êthika pragmateuomenou

peri de tês holês phuseôs outhen,

en mentoi toutois to katholou zêtountos

kai peri horismôn epistêsantos prôtou tên dianoian,

Sokrates hingegen behandelte ethische Fragen

– also nicht die Natur in ihrer Gesamtheit –,

in ihnen suchte er das Allgemeine

und lenkte als erster seine Gedanken auf Definitionen.

ekeinon apodexamenos dia to toiouton [5] hupelaben

hôs peri heterôn touto gignomenon kai ou tôn aisthêtôn:

adunaton gar einai

ton koinon horon tôn aisthêtôn tinos,

aei ge metaballontôn.

Platon schloß sich seiner Lehre an und meinte,

die Definition betreffe etwas anderes als die Sinnesdinge;

es sei nämlich unmöglich,

über irgendeines von den Sinnesdingen eine allgemeine Definition aufzustellen,

da diese ja einer ständigen Veränderung unterworfen seien.

houtos oun ta men toiauta tôn ontôn ideas prosêgoreuse,

ta d' aisthêta para tauta

kai kata tauta legesthai panta:

kata methexin gar einai ta [10] polla

homônuma tois eidesin.

Dinge dieser anderen Art nun (auf die die Definitionen zutreffen) nannte er Ideen

und meinte, die Sinnesdinge existieren neben diesen

und würden vermöge ihrer Beziehung zu diesen bezeichnet.

Denn aufgrund ihrer Teilhabe existieren die Vielen,

die mit den Ideen den gleichen Namen haben.

tên de methexin tounoma monon metebalen:

hoi men gar Puthagoreioi mimêsei ta onta phasin einai tôn arithmôn,

Platôn de methexei, tounoma metabalôn.

tên mentoi ge methexin ê tên mimêsin hêtis an eiê tôn eidôn

apheisan en koinôⁱ zêtein.

Allein der Name »Teilhabe« war neu:

denn die Pythagoreier lehren, daß die Dinge durch Nachahmung der Zahlen existierten;

Platon aber sagt durch »Teilhabe«, wobei er nur den Namen ändert.

Doch was diese Teilhabe oder diese Nachahmung der Formen sei,

diese Untersuchung ließen sie offen.

eti de para ta aisthêta [15] kai ta eidê

ta mathêmatika tôn pragmatôn einai phêsi metaxu,

diapheronta tôn men aisthêtôn tôⁱ aïdia kai akinêta einai,

tôn d' eidôn tôⁱ ta men poll' atta homoia einai

to de eidos auto hen hekaston monon.

epei d' aitia ta eidê tois allois,

takeinôn stoicheia pantôn ôⁱêthê tôn ontôn einai [20] stoicheia.

Ferner sagt Platon, daß es neben den Sinnendingen und den Formen

noch mathematische Dinge gibt, die eine Mittelstellung einnehmen

und die sich einerseits von den Sinnesdingen dadurch unterscheiden, daß sie ewig sind und unbewegt,

andererseits von den Formen dadurch, daß es viele ähnliche mathematische Dinge gibt,

während doch die Form selbst jeweils eine ist.

Da aber die Formen die Ursachen für die anderen Dinge darstellen sollten,

vertrat Platon die Ansicht, daß ihre Elemente die Elemente von allen Dingen seien.

hôs men oun hulên to mega kai to mikron einai archas,

hôs d' ousian to HEN:

ex ekeinôn gar kata methexin tou henos [ta eidê] einai tous arithmous.

Als Stoff seien das Große und das Kleine Ursprünge,

als Wesenheit aber das EINE;

daraus nämlich leiteten sich durch die Teilhabe am Einen die Formen ab.

to mentoi ge HEN ousian einai,

kai mê heteron ge ti on legesthai hen,

paraplêsiôs tois Puthagoreiois elege,

kai to tous arithmous aitious einai tois allois [25] tês ousias hôsautôs ekeinois:

Freilich, daß das EINE eine Wesenheit sei

und keineswegs irgendein davon verschiedenes Seiendes als Eines bezeichnet werde,

darin stimmte Platon mit den Pythagoreiern überein;

aber auch darin, daß die Zahlen Ursachen des Wesens für die anderen Dinge seien.

to de anti tou apeirou hôs henos duada poiêsai,

to d' apeiron ek megalou kai mikrou,

tout' idion:

Der Umstand aber, daß Platon anstelle des Unbegrenzten als des Einen die Zweiheit setzte

und das Unbegrenzte aus dem Großen und Kleinen ableitete,

ist seine Eigentümlichkeit.

kai eti ho men tous arithmous para ta aisthêta,

hoi d' arithmous einai phasin auta ta pragmata,

kai ta mathêmatika metaxu toutôn ou titheasin.

Und weiter meint er, daß die Zahlen neben den Sinnendingen existieren,

die Pythagoreier aber, daß die Zahlen die Dinge selbst seien,

und sie setzen das Mathematische nicht als Mittleres dazwischen an.

to men oun to HEN kai tous [30] arithmous para ta pragmata poiêsai,

kai mê hôsper hoi Puthagoreioi,

kai hê tôn eidôn eisagôgê

dia tên en tois logois egeneto skepsin

hoi gar proteroi dialektikês ou meteichon,

to de duada poiêsai tên heteran phusin

dia to tous arithmous exô tôn prôtôn euphuôs

ex autês gennasthai hôsper ek tinos ekmageiou.

Daß er das EINE und die Zahlen neben den Dingen annahm

– im Unterschied zu den Pythagoreiern – und daß er die Formen einführte,

resultiert aus seinem Hinblicken auf die Begriffe

(denn die früheren Philosophen befaßten sich noch nicht mit Dialektik);

und daß er die andere, von dem Einen verschiedene Natur, zur Zweiheit machte,

geschah deshalb, weil sich die Zahlen – mit Ausnahme der ersten –

leicht aus ihr ableiten lassen wie aus einer bildbaren Masse.

[988a] kaitoi sumbainei g' enantiôs:

ou gar eulogon houtôs.

hoi men gar ek tês hulês polla poiousin,

to d' eidos hapax gennai monon,

phainetai d' ek mias hulês mia trapeza,

ho de to eidos epipherôn heis ôn pollas poiei.

Doch das Gegenteil tritt ein;

diese Theorie ist so nicht vernünftig.

Sie lassen nämlich aus dem Stoff vieles hervorgehen,

die Form jedoch erzeugt nur einmal.

Aber es ist doch offensichtlich, daß aus einem Stoff nur ein Tisch entsteht,

wiewohl doch derjenige, der die Form hineinbringt und nur einer ist, viele Tische herstellt.

[5] homoiôs d' echei kai to arren pros to thêlu:

to men gar hupo mias plêroutai ocheias,

to d' arren polla plêroi:

kaitoi tauta mimêmata tôn archôn ekeinôn estin.

Platôn men oun peri tôn zêtoumenôn houtô diôrisen.

Ähnlich verhält sich das Männliche zum Weiblichen;

denn das Weibliche wird durch nur eine Begattung befruchtet,

das Männliche aber befruchtet vieles Weibliche.

Das sind doch Nachahmungen jener Ursprünge.

Auf diese Weise also äußerte sich Platon über die Probleme, die zur Frage stehen.

phaneron d' ek tôn eirêmenôn hoti duoin aitiain monon kechrêtai,

têⁱ te [10] tou ti esti kai têⁱ kata tên hulên

ta gar eidê tou ti estin aitia tois allois,

tois d' eidesi to HEN,

Aus dem Gesagten geht aber deutlich hervor, daß er lediglich zwei Ursachen verwendete,

das Was und die stoffliche Ursache;

denn die Ursachen des Was sind die Formen für die anderen Dinge,

das EINE aber für die Formen.

kai tis hê hulê hê hupokeimenê

kath' hês ta eidê men epi tôn aisthêtôn

to d' HEN en tois eidesi legetai,

hoti hautê duas esti, to mega kai to mikron,

Und im Hinblick auf den Stoff als Substrat,

nach dem einerseits die Formen bei den Sinnesdingen,

andererseits das EINE bei den Formen ausgesagt wird,

meint er, daß er eine Zweiheit sei: das Große und das Kleine.

eti de tên tou eu kai tou kakôs aitian tois stoicheiois [15] apedôken

hekaterois hekateran,

hôsper phamen kai tôn proterôn epizêtêsai tinas philosophôn,

hoion Empedoklea kai Anaxagoran.

Ferner schrieb er die Ursache des Guten und des Schlechten den Elementen zu

(dem einen die Ursache des Guten, dem anderen die des Schlechten),

wie wir bereits von Untersuchungen einiger früherer Philosophen berichtet haben,

so etwa von Empedokles und Anaxagoras.

ICH BIN der ICH BIN (Exodus 3)

philosophische Quellen

Hesiod: Werke und Tage

(Pandora)

Theogonie

(gesamt, griech./dt.)

Pythagoras bei Diogenes Laertios: Leben und Lehren berühmter Philosophen 8,1

bei Aristoteles: Metaphysik 1: Lehrmeinungen der Pythagoreier griech./ deutsch

und Ovid: Metamorphosen 15: Lehren des Pythagoras lat./ deutsch

Heraklit: panta rhei, Logos, Widersprüche , Naturlehre

(Feuer) griech./ deutsch

Parmenides, DK 28 B 8 (to ON) und alle anderen Fragmente griech./ deutsch

Das Antistrephon (Paradoxon) des Protagoras, ausgeführt von Gellius

griech./ lat./ deutsch

Platon: Sonnengleichnis, Linienanalogie und Höhlengleichnis - Politeia 6,506 a bis 7,519 d

Die Erzählung des Pamphyliers Êr gegen Ende der Politeia griech./dt.

vgl: M. Tullius Cicero: Somnium Scipionis lat./ dt.

und Macrobius: Commentarii in Somnium Scipionis lat./ dt.

Platons Unsterblichkeitsbeweis im Phaidros übers. von Cicero, griech./ lat./ dt.

geflügelte Seele und himmlische Seelenrosse im Phaidros

griech./dt.

Phaidon gesamt, dt. (Schleiermacher)

Mythos vom Bau der Erde gegen Ende des Phaidon

griech./dt.

Menon gesamt, griech./dt.

Maieutik - Sokrates als Geburtshelfer der Erkenntnis in Platons Theaitet griech./dt.

Timaios/ Timaeus 27d-34b - Platon/ Calcidius/ Zimmermann griech./ lat./ dt.

Timaios/ Timaeus gesamt Platon/ Calcidius/ Müller griech./ lat./ dt.

Platon: Parmenides; gesamt, dt. (Schleiermacher)

vgl. Gorgias von Leontinoi (bei Sextus Empiricus):

Die drei Thesen

Symposion gesamt, dt. (Schleiermacher):

Rede des Aristophanes, der Mythos vom androgynen Urmenschen

griech./dt.

Musterrede des Agathon

griech./dt., des Alkibiades dt.

(Schleiermacher)

und der Diotima als Redebeitrag des Sokrates

griech./dt.

Aristoteles: Metaphysik L (Buch 12) griech./lat./dt.:

to kinoun akinêton - das unbewegte Bewegende

= hê noêsis noêseôs = das Sich-Erkennen des Erkennens

Aristoteles Latinus, Met.12

, übers. Wilh.v.Moerbeke (13.Jhd.)

Unmöglichkeit infiniter Begründungsketten: Metaphysik a (Buch 2)

vgl. Immanuel Kant: Antinomien (Kritik der reinen Vernunft)

Plutarch: "Du bist!" : Über das E in Delphi griech./dt.

Über Isis und Osiris griech./dt.

Proklos Diadochos

(Neuplatonismus):

Stoicheiôsis Theologikê (Theologische Elementarlehre)

liber de causis – ein Auszug aus der Stoicheiosis Theologike des Proklos -

im 12. Jahrhundert aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt,

elementares philosophisches Lehrbuch der Hochscholastik (13. Jhd.)

- lateinische Fassung

- arabisch-deutsche Fassung (Bardenhewer)

- Liste der 31 Thesen (lat.) und deutsche Fassung

Censorinus: De die natali /

Der Tag der Geburt:

Sphärenharmonie, Weltenjahr und Kalender

Marius Victorinus: drei Hymnen De Trinitate

Boethius: De institutione musica: Sphärenharmonie als musica mundana;

vgl. Isidor von Sevilla, Etym.III: De musica

De institutione arithmetica

De hebdomadibus: über die Teilhabe der Seienden am göttlichen "esse" (zu SEIN)

Aratos / Cicero / Germanicus: Phainomena (Himmelserscheinungen) Sternbilder griech./lat./dt.

P. Ovidius Naso:

Metamorphoses 1,1-150

Metamorphoses 15:

Die Lehren des Pythagoras: der Phönix

Physiologus: Phoinix , Einhorn und Löwe

Das Himmelreich ist gleich einem Senfkorn (Matthäus-Ev.) – sieben Deutungs-Zweige

Prolog des Johannesevangeliums

Anselm von Canterbury:

Monologion

Proslogion (fides quaerens intellectum)

Cur Deus homo

Thomas von Aquin:

Summa Theologiae, prima pars qu.2: IST Gott?

Fünf Gottesbeweise

(lat., dt.):

movens ipse amotum, efficiens primum, ESSE necessarium, perfectio, causa intelligens

Absolute Bewegungsursache, erste Verwirklichung, notwendiges SEIN, Vollkommenheit, Intelligenz

siehe auch Aristoteles:

Unmöglichkeit infiniter Begründungsketten: Metaphysik a (Buch 2)

vgl. Immanuel Kant: Antinomien (Kritik der reinen Vernunft)

Meister Eckhart:

dt. Predigt "Iesus intravit in templum" (mhd./nhd.)

quaestio: utrum in Deo sit idem esse et intelligere

Raffaelo Santi: Philosophenschule von Athen

(mit Erläuterungen)

Disputa del Sacramento (Trinität und Eucharistie : Theologie)

Pascal:

Der Mensch zwischen zwei Unendlichkeiten

Leibniz: Monadologie

Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft: Raum und Zeit

Transzendentale Dialektik: Erste, zweite, dritte, vierte Antinomie

Leserbrief zum SPIEGEL-Interview mit Brian Greene über die Raumzeit und den big bang

intellektuelle Anschauung – schaffende Betrachtung (Novalis, Schelling)

Hegel: Wissenschaft der Logik, Anfang: "Sein, Nichtsein, Werden"

Philipp Otto Runge : Die Zeiten : Der Morgen

Novalis: Hymne / Astralis

Nietzsche: Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik

(über die Polarität des Dionysischen und Apollinischen) / Schopenhauer

Der unendliche Weg der "Kaiserlichen Botschaft", Franz Kafka

Ethik: Weltreligionen – religionskundliches Wissen, Zugang zu religiösen Fragen

Philosophie – Zugang zu philosophischen Fragen

Einführung in die philosophische Tradition (in vier Briefen)

Al-Qur'an (Koran), 16 Suren der ersten mekkanischen Offenbarungsperiode

Sure 6: Schlüssel und Zeichen * Sure 24: Gott ist das Licht des Himmels und der Erde

Sprüche, Lieder, Briefe und Gebete des Sufi-Meisters Husain ibn Mansur al-Hallâj (Halladsch), des "Baumwollkämmers",

hingerichtet 922; der kühnste Vertreter der frühen islamischen Mystik:

"Ana'lhaqq-"

("Ich = die Wahrheit")

Abu Hamid al-Ghazzali (Algazel, Al-Ghasali), aus: "Die Wiederbelebung der Wissenschaften von der Religion":

Über das Gottvertrauen, Das Einheitsbekenntnis: Das große Gleichnis vom Schreibrohr

maurische Architektur in Andalusien : Moschee in Cordoba : Alhambra in Granada

...............

Kuppel im Saal der zwei Schwestern * Fayencen-Mosaikenwände mit geometrisierenden Flechtbändern indische Philosophie in Parallele zur abendländischen Entwicklung, insbesondere zu Proklos Diadochos (Neuplatonismus): Rgveda X,129: nâsad âsin no sad âsît 10,129 Rgveda I, 164,46, das ekam (das "Eine") im großen Rätsellied Bhâgavad-Gîtâ Yoga-Sûtras Paul Deussen: Sechzig Upanishads des Veda Paul Deussen: Vier philosophische Texte des Mahâbhârata: Bhrgu-Bharadvâja-samvâda * Manu-Brhaspati-samvâda * Shukânuprashna Shukânuprashna (Sanskrit / dt.übers. und komm. H. Zimmermann) Schöpfungs-Erzählung in der Manusmrti, Kapitel 1 (Sanskrit / dt. Hans Zimmermann 2024) "vier Weltalter" * * * * * * * zurück Seitenanfang Hans Zimmermann : 12 KÖRBE: Quellen zum Thema "Schöpfung" und zum Weltbild der Antike und des Mittelalters : Aristoteles : Pythagoreier