Die
Anfänge der epischen Dichtung in Indien.
Die ersten Spuren epischer Dichtung in Indien konnten wir bereits in
der vedischen Litteratur — in den Akhyânahymnen
des Rgveda, sowie in den Akhyânas,
Itihâsas und Purânas
der Brâhmanas 1)
— nachweisen. Aus den Brâhmanas und
aus der Rituallitteratur wissen wir auch, daß der Vortrag von solchen
erzählenden Dichtungen einen Teil der religiösen Zeremonien bei
Opferfeiern und Familienfesten bildete.
So gehörte zu der ein Jahr lang währenden Vorfeier des großen
Pferdeopfers der tägliche Vortrag von Götter- und Heldensagen.
In einer alle zehn Tage sich immer wiederholenden Reihenfolge wurden Geschichten
von bestimmten Göttern und Heroen erzählt; und auch zwei Lautenspieler,
ein Brahmane und ein Krieger waren anwesend, welche in selbstgedichteten
Versen (gâthâs) der eine die Freigebigkeit,
der andere die Kriegstaten
1) Vgl. oben S. 89 ff., 181 ff., 197. Die Inder sind
in dem Gebrauch der Ausdrücke âkhyâna,
itihâsa und purâna
nicht konsequent, indem sie diese bald als gleichbedeutend verwenden,
bald aber auch verschiedene Arten von Erzählungen mit ihnen bezeichnen.
Das Epos »Mahâbhârata«
bezeichnet sich selbst in der Einleitung abwechselnd als itihâsa,
purâna und âkhyâna.
Vgl. über diese termini auch Emil Sieg, Die Sagenstoffe des Rgveda
und die indische Itihâsatradition
I, Stuttgart 1902, Einleitung. Daß die alte Akhyânadichtung
der Form nach aus einer Mischung von Versen und Prosa bestand (oben S.89),
ist mir trotz der scharfsinnigen Ausführungen von Joh.Hertel in der
WZKM XVIII, 1904, S.59ff., 137 ff. noch immer wahrscheinlich.
— 260 —
des Fürsten, der das Opfer feierte, verherrlichten. Die Lautenspieler,
welche zur Laute einen wirklichen König oder den Soma
als den König der Brahmanen besangen, durften auch bei der
Zeremonie der Haarscheitelung nicht fehlen, welche im vierten Monate der
Schwangerschaft mit einem Opfer für das Gedeihen der Leibesfrucht
an der hoffenden Mutter vollzogen wurde. Auch nach dem Leichenbegängnis
war es alte Sitte, deren Bestehen aber noch der Dichter Bâna
im 7.Jahrhundert n.Chr. bezeugt, daß die Leidtragenden außerhalb
des Hauses sich auf einen schattigen Platz niederließen und durch
den Vortrag alter Itihâsas oder Purânas
zerstreut und getröstet wurden. Und wenn nach einem Todesfall
oder einem sonstigen schweren Verlust zur Abwehr weiteren Unglücks
das alte Herdfeuer hinausgetragen und ein neues Feuer im Hause durch Reiben
von Hölzern entzündet worden war, da saßen die Mitglieder
der Familie, das Feuer in Glut erhaltend, bis in die stille Nacht hinein,
indem sie sich Geschichten von altgewordenen Leuten und Itihâsas
und Purânas von glücklicher
Vorbedeutung erzählen ließen 1).
Nicht selten werden auch in den alten Texten Itihâsa
und Purâna neben den Vedas
und anderen Wissenszweigen aufgezählt, ihr Studium gilt als
ein die Götter erfreuendes Werk, ja es wirdsogar Itihâsapurâna
als »fünfter Veda«
bezeichnet 2). Daß ihnen aber ein mehr volkstümlicher
Charakter zukommt, beweist die enge Beziehung, in welche sie zum Atharvaveda
gebracht werden 3). Den Inhalt dieser Itihâsas
und Purânas bildeten hauptsächlich
Göttersagen und Erzählungen von Dämonen, Schlangengottheiten,
alten Weisen (Rshis) und Königen
der Vorzeit. Manchmal aber werden als Texte, durch deren Rezitation die
Götter erfreut werden, neben Itihâsas
und Purânas auch die
1) Shatapatha-Brâhmana
XIII,4,3. Shânkhâyana-Grhyasûtra
I,22,11 f. Âshvalâyana-Grhyasûtra
I,14,6 f., IV,6,6. Pâraskara-Grhyasûtra
I,15,7 f. Âpastambîya-Grhyasûtra
14,4 f. Vgl. auch A.Weber, Episches im vedischen Ritual (Sitzungsberichte
der Berliner Akademie der Wissenschaften 1891) und H.Lüders in ZDMG,
Bd.58, S.707 ff.
2) So Chândogya-Upanishad
VII.1 und 7 und im Suttanipâta
III, 7 (Selasutta). Vgl. auch Joseph
Dahlmann, Das Mahâbhârata als
Epos und Rechtsbuch, Berlin 1895, S.281 ff., dessen Schlußfolgerungen
aber viel zu weit gehen.
3) Chândogya-Upanishad
III, 4: »Die Bienen sind der Atharvaveda,
das Itihâsapurâna die Blume.«
— 261 —
»Männerpreislieder« (gâthâ
nârâshamsî) erwähnt 1)
und diese dürfen wir als die eigentlichen Vorläufer eines Heldenepos
ansprechen. Wenn man aber, wie das einige Gelehrte tun 2),
aus den eben angeführten Stellen schließen wollte, daß
es in vedischer Zeit schon ein Sammelwerk von erzählenden Dichtungen
unter dem Titel »Itihâsa« oder »Itihâsapurâna«
gegeben habe, so müßte man auch annehmen, daß ebenso unter
dem Titel »Gâthâ Nârâsamsî«
eine Sammlung von Heldenliedern als Buch vorhanden gewesen sei.
Erwiesen ist das Vorhandensein solcher Sammelwerke oder »Bücher«
für die vedische Zeit jedenfalls nicht, auch gar nicht wahrscheinlich
3). Daß es aber berufsmäßige Geschichtenerzâhler
(Aitihâsikas, Paurânikas)
schon in sehr alter Zeit gegeben hat, wird nicht zu bezweifeln sein. Sicher
ist auch, daß es um die Zeit des Buddha (also
im 5.Jahrhundert v.Chr.) bereits einen unerschöpflichen Vorrat von
Erzählungen in Prosa und Versen — Akhyânas,
Itihâsas, Purânas und Gâthâs
— als eine Art litterarisches Gemeingut gegeben haben muß,
aus welchem die Buddhisten und Jainas ebenso wie die epischen Dichter geschöpft
haben.
Neben dieser Itihâsalitteratur,
wie wir den für die vedische Zeit bezeugten litterarischen Gemeinbesitz
an erzählenden Dichtungen kurz bezeichnen können, muß es
aber auch schon eigentliche epische Gedichte, Heldengesänge, und wohl
auch Zyklen epischer Lieder in alter Zeit gegeben haben. Denn die beiden
uns allein erhaltenen Epen Mahâbhârata
und Râmâyana stellen
doch nur den Niederschlag einer langen vorausgehenden Periode epischen
Dichtens dar. Lange bevor es diese beiden Epen als solche gegeben hat,
müssen Lieder von der großen Völkerschlacht, welche den
Gegenstand des Mahâbhârata bildet,
1) Shatapatha-Brâhmana
XI,5,6,8. Âshvalâyana-Grhasûtra
III, 3.
2) K.F.Geldner, Vedische Studien I, S.290f. E.Sieg,
Die Sagenstoffe des Rgveda und die
indische Itihâsatradition I, S.33. Dagegen
H.Oldenberg in Götting.Gel.Anz. 1890, S.419.
3) Indische Werke haben in der Regel Spezialtitel. Es
gibt kein Werk, welches »Brâhmana«
oder »Upanishad« heißt,
sondern eine größe Anzahl einzelner Werke, welche nach Schulen
oder Lehrern benannt sind. Es ist daher unwahrscheinlich, daß man
bestimmte Bücher nur als »Erzählungen« bezeichnet
hätte.
— 262 —
und von den Taten des Râma, des
Helden des Râmâyana, gesungen
worden sein. Es ist aber auch nicht gut denkbar, daß die Kämpfe
der Kauravas und Pândavas
und die Abenteuer des Râma die
einzigen Gegenstände der Dichtung gewesen seien. Gewiß sind
auch viele andere Helden und große Ereignisse in manch anderen Fürstengeschlechtern
besungen worden. Nicht alles von diesem alten Heldengesang, dessen Vorhandensein
wir annehmen müssen, ist spurlos verschwunden; in Trümmern und
Resten hat sich manches in unseren beiden Epen erhalten 1).
Die Träger dieser Heldendichtung waren die Barden, gewöhnlich
Sûtas genannt, welche an den Höfen
der Könige lebten und bei großen Festen ihre Lieder vortrugen
oder sangen, um den Ruhm der Fürsten zu verkünden. Sie zogen
auch mit in die Schlacht, um die Heldentaten der Krieger aus eigener Anschauung
besingen zu können. So ist es im Mahâbhârata
selbst der Sûta Sañjaya,
welcher dem König Dhrtarâshtra
die Vorgänge auf dem Schlachtfelde schildert. Diese Hofsänger
bildeten eine besondere Kaste 2), in welcher die epischen
Lieder von Geschlecht zu Geschlecht vererbt wurden. In den Kreisen solcher
dem Kriegerstande jedenfalls sehr nahestehenden Barden wird die epische
Dichtung entstanden sein. Für die Verbreitung der Heldenlieder im
Volke sorgten dann auch fahrende Sänger, Kushîlavas
genannt, welche die Lieder auswendig lernten und öffentlich
zur Laute sangen 3). So wird im Râmâyana
— allerdings in einem spät eingeschobenen Gesang 4)
— erzählt, wie die beiden Söhne des Râma,
Kusha und Lava,
als wandernde Sänger umherzogen und das von dem Dichter Vâlmîki
gelernte Gedicht in öffentlicher Versammlung vortrugen.
1) Vgl. H. Jacobi, Über ein verlorenes Heldengedicht
der Sindhu-Sauvîra in den Mélanges
Kern, Leide 1903, S.53 ff.
2) Nach dem Gesetzbuch des Manu (X,11 und 17) sind die
Sûtas eine aus der Vermischung von Kriegern
mit Brahmanentöchtern hervorgegangene Mischkaste, während die
Mâgadhas, welche gewöhnlich auch
neben den Sûtas als Sänger genannt
zu werden pflegen, aus der Vermischung von Vaishyas
mit Kshatrîyatöchtern
hervorgegangen sein sollen. Im Kriege sind die Sûtas
auch die Wagenlenker der Fürsten.
3) Vgl. A.Holtzmann, Das Mahâbhârata
I, S.54f., 65 f. H. Jacobi, Das Râmâyana,
S.67.
4) I, 4.
— 263 —
Was wir aber als die Volksepen der
Inder kennen — Mahâbhârata und
Râmâyana — sind nicht die
alten Heldenlieder, wie sie jene Hofbarden und jene fahrenden Spielleute
Altindiens gesungen haben, von großen Dichtern oder wenigstens von
geschickten, dichterisch begabten Sammlern zu einheitlichen Dichtungen
verarbeitet, sondern es sind Ansammlungen sehr verschiedenartiger und ungleichwertiger
Gedichte, die im Laufe von Jahrhunderten durch fortwährende Einschiebungen
und Änderungen entstanden sind. Alte Heldenlieder bilden zwar den
Kern der beiden Werke, aber im großen Umfange ist auch die mehr religiöse
Itihâsalitteratur in sie aufgenommen
worden, und durch die Einfügung umfangreicher, religiös belehrender
Stücke hat namentlich das Mahâbhârata
den Charakter eines Epos fast ganz eingebüßt.
Was
ist das Mahâbhârata? 1)
1) Zur Orientierung
über den Inhalt des Epos dient am besten H. Jacobi, Mahâbhârata,
Inhaltsangabe, Index und Konkordanz der Kalkuttaer und Bombayer Ausgaben.
Bonn 1903. Über die Probleme des Mahâbhârata
orientiert am besten E.W.Hopkins, The Great Epic of India, its Character
and Origin. New York 1901. Eine reiche Materialiensammlung — leider zu
wenig übersichtlich — enthält A.Holtzmann, Das Mahâbhârata
und seine Teile. In 4 Bänden. Kiel 1892—95. Der Wert dieses
großen Werkes ist durch die unhaltbaren Theorien des Verfassers über
die Umarbeitungen des Mahâbhârata wesentlich
beeinträchtigt. Unhaltbar sind auch die entgegengesetzten Theorien
über die einheitliche Entstehung des Epos, welche Joseph Dahlmann
in den Büchern »Das Mahâbhârata
als Epos und Rechtsbuch», Berlin 1895, »Genesis des
Mahâbhârata», Berlin 1899,
und »Die Sâmkhya-Philosophie als
Naturlehre und Erlösungslehre, nach dem Mahâbhârata»,
Berlin 1902, vertreten hat. Das erste dieser Bücher hat aber das große
Verdienst, die epischen Studien neu belebt zu haben; es hat zu einer förmlichen
»Dahlmann-Litteratur» Anlaß gegeben. Vgl.H.Jacobi in
Götting.Gel.Anz 1896 Nr.1 und 1899 Nr.11; A.Ludwig in Sitzungsber.der
kgl.böhmischen Ges.der Wiss., Cl.f.Phil., Prag 1896; A. Barth im Journal
des savants, avril, juin, juillet 1897 und Revue de l'histoire des religions,
t 45, 1902, S.191 ff.; M.Winternitz im JRAS 1897, S.713ff. und WZKM
XIV, 1900, S.53 ff; E.W.Hopkins im
— 264
—
American Journal of
Philology, 1898, XIX, Nr.1; W.Cartellieri in WZKM XIII, 1899, S.57 ff.;
J.Kirste im Ind.Ant.XXXI, 1902, S.5 ff. Aus der älteren Litteratur
über das Mahâbhârata (sie
ist zusammengestellt bei Holtzmann a.a.O. IV, S.165 ff.) verdienen noch
hervorgehoben zu werden: Monier Williams, Indian Wisdom, 4.Aufl., London
1893; Sören Sörensen, Om Mahâbhârata's
stilling i den Indiske literatur (mit einem »Summarium« in
lateinischer Sprache), Kopenhagen 1893; A.Ludwig, Über das Râmâyana
und die Beziehungen desselben zum Mahâbhârata
(II.Jahresbericht des wiss.Vereins f.Volkskunde und Linguistik in
Prag 1894).
In der Tat kann man nur in einem
sehr beschränkten Sinne vom Mahâbhârata
als einem »Epos« und einem »Gedicht« sprechen.
Ja, in gewissem Sinne ist das Mahâbhârata
überhaupt nicht e i n
— 264 —
dichterisches Erzeugnis, sondern
vielmehr — eine ganze Litteratur.
Mahâbhârata
1) bedeutet »die
Erzählung von dem großen Kampf der Bharatas«.
Die Bharatas werden bereits im Rgveda
als ein kriegerischer Volksstamm erwähnt, und Bharata,
der Sohn des Duhshanta und der Shakuntalâ,
der als Ahnherr des Fürstengeschlechts der Bharatas
gilt, begegnet uns schon in den Brâhmanas.
Die Wohnsitze dieser Bharatas oder Bharatas
waren das Land am oberen Ganges und an der Jamnâ.
Unter den Nachkommen des Bharata ragte ein
Herrscher namens Kuru hervor, und dessen Nachkommen,
die Kauravas (Kuruiden, Kuruinge) waren so
lange das Herrschergeschlecht der Bharatas,
daß der Name Kuru oder Kaurava
sich im Laufe der Zeit auch als Bezeichnung für den Volksstamm
der Bharatas einbürgerte, und ihr Land
ist das uns bereits aus dem Yajurveda und
den Brâhmanas bekannte Kurukshetra
oder »Kuruland« 2).
Durch einen Familienzwist in dem Fürstenhause der Kauravas
kommt es zu einem blutigen Kampfe, einem wahren Vernichtungskampfe,
in welchem das alte Kurugeschlecht und damit
die Familie der Bharatas fast ganz zugrunde
geht. Die Geschichte dieses blutigen Kampfes — in dem wir wohl ein geschichtliches
Ereignis sehen dürfen, obgleich wir von demselben nur aus dem Mahâbhârata
Kunde haben — wurde in Liedern besungen, und irgend ein großer
Dichter, dessen Name verschollen ist, hat diese Lieder
1) Bhârâta
bedeutet »Kampf der Bharatas«
(bhâratah samgrâmah,
Pânini IV,2,56). Im Mahâbhârata
selbst finden wir mahâbhârata-yuddha
(XIV, 81,8) »die große Bharataschlacht«,
und mahâbhârata-khyânam
(I,62,39) »die Erzählung von der großen Bharataschlacht«,
von welch letzterem der Titel »Mahâbhârata«
eine Abkürzung ist
2) S.oben S.170.
— 265 —
zu einem Heldengedicht von der großen
Schlacht im Kurufelde vereinigt. So bildet,
wie in der Ilias und wie im Nibelungenliede, die Tragik eines furchtbaren
Vernichtungskampfes den eigentlichen Gegenstand der Heldendichtung. Dieses
alte Heldengedicht bildet den Kern des Mahâbhârata.
Um diesen Kern herum hat sich aber
im Laufe von Jahrhunderten eine Unmasse der verschiedenartigsten Dichtungen
angesammelt. Zunächst wurden zahlreiche Sagen, welche mit dem alten
Heldengedicht in mehr oder weniger losem Zusammenhang stehen — Sagen, die
sich auf die Vorgeschichte der Helden beziehen oder von allerlei Abenteuern
derselben berichten, ohne daß sie zu dem großen Kampf irgend
einen Bezug haben — in das Gedicht aufgenommen. Aber auch Bruchstücke
anderer Heldensagen und Sagenzyklen, die sich auf irgendwelche berühmte
Könige und Helden der Vorzeit beziehen, fanden in das Gedicht Eingang,
wenn sie auch mit dem Liede von der großen Kuruschlacht
gar nichts zu tun hatten. Was von dieser alten Bardendichtung bereits dem
ursprünglichen Gedicht als Nebenhandlungen (Episoden) angehörte
und was erst später hinzugefügt wurde, wird sich schwerlich jemals
entscheiden lassen. Jedenfalls ist unser Mahâbhârata
nicht bloß das Heldengedicht vom Kampfe der Bhâratas,
sondern zugleich auch ein Repertorium der alten Bardendichtung überhaupt.
Es ist aber noch viel, viel mehr.
Wir wissen, daß die litterarische Tätigkeit im alten Indien
zumeist in den Händen der Priester, der Brahmanen, lag; und wir haben
ja gesehen, wie sie die alten, volkstümlichen Zauberlieder des Atharvaveda
brahmanisiert, und wie sie die dem Priestertum eigentlich fremde,
ja feindliche Philosophie der Upanishads mit
ihrer Priesterweisheit vermengt haben 1). Je beliebter
und volkstümlicher aber nun die Heldenlieder wurden, desto mehr mußte
den Brahmanen daran gelegen sein, sich auch dieser epischen Dichtung zu
bemächtigen; und sie verstanden es, diese ihrem ganzen Wesen nach
ursprünglich rein weltliche Poesie mit ihren eigenen religiösen
Dichtungen und mit theologisch-priesterlichem Wissenskram zu vermengen.
So kommt es, daß auch Göttersagen, mythologische
Erzählungen brahmanischen Ursprungs,
1) Vgl. oben S.107
und 201 ff.
— 266 —
aber auch im großen Umfange
lehrhafte Stücke, auf brahmanische Philosophie und Sittenlehre und
brahmanisches Recht bezüglich, in das Mahâbhârata
Aufnahme fanden. Für diese Priesterkaste war gerade das volkstümliche
Epos ein willkommenes Mittel, um ihre eigenen Lehren zu verbreiten und
so ihre Macht und ihren Einfluß zu verstärken und zu befestigen.
Sie waren es, welche alle die zahlreichen Sagen und Legenden (Itihâsas)
in das Epos einfügten, in denen von den berühmten Sehern der
Vorzeit, den Rshis, den Urvätern
der Brahmanen, Wunder erzählt werden — wie sie durch Opfer und Askese
ungeheure Macht nicht nur über die Menschen, sondern selbst über
die Götter erlangen, und wie sie, wenn sie gekränkt werden, durch
ihren Fluch Fürsten und Große, ja selbst Götterkönige
zu Falle bringen.
Das Mahâbhârata
war aber zu sehr ein Volksbuch, zu sehr Eigentum weiterer Volkskreisc,
insbesondere der Kriegerkaste, als daß es je hätte ein eigentlich
brahmanisches Werk oder das Eigentum irgendeiner vedischen Schule werden
können. Es waren auch nicht so sehr die vedakundigen
und gelehrten Brahmanen, welche sich an dem Ausbau des Mahâbhârata
beteiligten — daher die auffällig geringe Kenntnis der eigentlich
brahmanischen Theologie und Opferwissenschaft, die wir selbst in jenen
Teilen des Epos finden, in denen brahmanischer Einfluß unverkennbar
ist — als die Purohitas, die Priester, welche
ebenso wie die Sûtas (Barden) im Dienste
der Könige standen und schon dadurch mit der epischen Dichtung mehr
in Berührung kamen. Diese weniger gelehrte Priesterklasse war es auch,
welche später als Tempelpriester an berühmten zumeist den Göttern
Vishnu oder Shiva
geweihten Kultstätten und Wallfahrtsorten den Dienst versah
und sich litterarisch mit der Pflege der Lokalsagen, die sich an solche
heilige Orte knüpften, sowie mit den auf die Götter Vishnu
und Shiva
bezüglichen Legenden beschäftigte. Das geschah, wie wir sehen
werden, hauptsächlich in den Purânas,
aber auch im Mahâbhârata, in welches
zahlreiche ganz im Stile der Purânas
gehaltene Lokalsagen, Vishnu-
und Shivamythen, sowie purânaartige
Kosmologien, geographische Listen und Genealogien Eingang gefunden haben.
Da aber die epische
Dichtung mehr in jenen Gegenden
— 267 —
Indiens gepflegt wurde, wo die Verehrung
des Vishnu als höchster Gottheit
verbreitet war, ist.es erklärlich, daß in den religiöslehrhaften
Teilen des Mahâbhârata dieser
Gott so sehr im Vordergrunde steht, daß das Werk zuweilen den Eindruck
eines der Vishnuverehrung gewidmeten
Erbauungsbuches macht. Daneben fehlt es freilich auch nicht an Shivalegenden
und dem Shivakult gewidmeten Einlagen, welche
aber überall leicht als späte Zusätze erkennbar sind. Sie
wurden eingefügt, als das Epos sich auch über Gegenden, wo die
Shivaverehrung zu Hause war, verbreitete 1).
Aber noch andere geistliche Kreise
gab es in Indien, welche schon in alter Zeit eine litterarische Tätigkeit
entfalteten und zum Teil noch mehr als die Brahmanen die großen Massen
des Volkes für sich zu gewinnen suchten. Das waren die Asketen, Waldeinsiedler
und Bettelmönche, die Begründer von Sekten und Mönchsorden,
welche zur Zeit des Buddha in Indien bereits
sehr zahlreich waren. Auch diese hatten ihre eigenen Dichtungen: Heiligenlegenden,
Weisheitssprüche, in denen sie ihre Lehren von Entsagung und Weltverachtung,
von Selbstaufopferung und Liebe zu allen Wesen predigten, aber auch Fabeln,
Parabeln, Märchen und moralische Erzählungen, welche die Weisheits-
und Sittenlehren der Asketen durch Beispiele erläutern sollten. Auch
diese Asketendichtung ist in ziemlich großem Umfange in das Mahâbhârata
aufgenommen worden.
So finden wir denn in diesem merkwürdigsten
aller Litteraturerzeugnisse nebeneinander und durcheinander kriegerische
Heldenlieder mit farbenreichen Schilderungen blutiger Kampfesszenen, fromme
Priesterpoesie mit oft recht langweiligen Auseinandersetzungen über
Philosophie, Religion und Recht, und milde Asketendichtung voll erbaulicher
Weisheit und voll überströmender Liebe zu Mensch und Tier.
Darum betrachten auch die Inder
selbst das Mahâbhârata zwar immer
als ein Epos, als ein Werk der Dichtkunst (kâvya),
aber zugleich auch als ein auf uralter Überlieferung (smrti)
beruhendes und daher mit unanfechtbarer Autorität ausgestattetes Lehrbuch
(shâstra) der Moral, des Rechts und
der Philosophie;
1) Vgl. H.Jacobi in
Götting.Gel.Anzeigen 1892, S.629 f.
— 268 —
und seit mehr als 1500 Jahren diente
es den Indern ebenso sehr zur Unterhaltung wie zur Belehrung und Erbauung.
Vor mindestens 1500 Jahren 1)
war dieses Mahâbhârata auch schon
so — oder wenigstens so ähnlich — wie wir es heute in unseren Handschriften
und Ausgaben besitzen, ein Werk, welches auch ungefähr denselben Umfang
wie unser heutiges Epos hatte. So wie dieses, enthielt es bereits eine
lange Einleitung mit einer Rahmenerzählung, einer Geschichte des sagenhaften
Ursprungs des Gedichtes und einer Verherrlichung desselben als eines Lehr-
und Erbauungsbuches; war in achtzehn Bücher, Parvans
genannt, eingeteilt, zu denen auch schon ein neunzehntes Buch Harivamsa
als »Ergänzung« (Khila)
hinzugefügt war; und erreichte einen Umfang von beiläufig 100.000
Strophen (Shlokas). Und bis zum heutigen Tage
gilt dieses Riesenwerk trotz all der verschiedenartigen Elemente, aus denen
es besteht, den Indern als ein einheitliches, in sich abgeschlossenes Werk
2), welches den altehrwürdigen Rshi
Krshna Dvaipâyana, auch Vyâsa
genannt, zum Verfasser hat. Dieser selbe Rshi
soll auch der Ordner der vier Vedas 3) und
der Verfasser der Purânas sein.
Er war nach der Sage nicht nur ein Zeitgenosse, sondern ein naher Verwandter
der Helden des Mahâbhârata und
greift gelegentlich auch in die Handlung des Gedichtes ein. Seine Geschichte
wird uns im Mahâbhârata sehr ausführlich
erzählt.
Er ist der Sohn eines berühmten
Asketen, des Rshi Pârâsara.
Dieser große Heilige erblickt eines Tages die in einem Fische zur
Welt gekommene und von Fischerleuten aufgezogene Satyavatî
und ist von ihrer Schönheit so entzückt, daß er
ihre Liebe begehrt. Sie will ihm aber nur unter der Bedingung zu willen
sein, daß sie, nachdem sie ihm einen Sohn geboren, wieder ihre Jungfernschaft
zurückerlange. Der große Heilige gewährt ihr diesen Wunsch,
sowie auch den, daß sie ihren Fischgeruch verliere und einen wunderbaren
Duft ausströme. Unmittelbar nach-
1) Siehe weiter unten
das Kapitel über das Alter und die Geschichte des Mahâbhârata.
2) Darum wird es auch
als eine Samhitâ, d.h. »eine (abgeschlossene)
Zusammenstellung«, »ein zusammenhängender Text«
bezeichnet, so Mahâbh.I,1,21.
3) Daher sein Name
Vyâsa oder Vedavyâsa,
d.h. »Ordner«, »Ordner des Veda«.
— 269 —
dem er ihr beigewohnt, gebiert sie
auf einer Insel in der Jamnâ einen Sohn,
welcher Dvaipâyana, »der Inselgeborene«,
genannt wird. Der Knabe wächst heran und ergibt sich bald der Askese.
Indem er sich von der Mutter verabschiedet, sagt er ihr, daß er jederzeit
sofort erscheinen werde, sobald sie nur, wenn sie seiner bedürfe,
an ihn denke. Satyavatî aber, wieder
zur Jungfrau geworden, wurde später die Gemahlin des Kurukönigs
Shântanu und gebar diesem zwei Söhne,
Citrângada und Vicitravîrya.
Nachdem Shântanu und Citrângada
gestorben waren, wurde Vicitravîrya
zum Thronnachfolger bestimmt. Dieser starb jung und kinderlos, hinterließ
aber zwei Frauen. Damit nun das Geschlecht nicht aussterbe, beschließt
Satyavatî, ihren unehelichen Sohn Dvaipâyana
zu berufen, damit er — auf Grund der Rechtssitte des Levirats —
seinen Schwägerinnen Nachkommenschaft erwecke. Nun ist aber dieser
Dvaipâyana zwar ein großer Büßer
und Heiliger, aber ein überaus häßlicher Mann mit struppigem
Haar und Bart und finster rollenden Augen, dunkel von Gesicht (daher wohl
auch sein Name Drona, »der Schwarze«)
und ein übler Geruch geht von ihm aus. Als er daher der einen Prinzessin
naht, kann sie seinen Anblick nicht ertragen und schließt die Augen:
die Folge davon ist, daß ihr Sohn blind zur Welt kommt. Es ist dies
der nachmalige König Dhrtarâshtra.
Darauf naht der Heilige der zweiten Frau, und diese erbleicht bei seinem
Anblick. Infolgedessen gebiert sie einen Sohn, welcher bleich ist und daher
Pându, »der Bleiche«,
genannt wird. Er ist der Vater der fünf Haupthelden des Epos. Noch
einmal soll Dvaipâyana der ersten Frau
nahen; aber klüger geworden, schickt sie dem Heiligen, der nichts
von der Unterschiebung merkt, ihre Magd, und mit dieser erzeugt er den
Vidura, dem im Epos die Rolle eines weisen
und wohlwollenden Freundes des Dhrtarâshtra
sowohl wie der Söhne des Pându
zuerteilt wird 1).
Dieser häßliche übelriechende
Heilige, Krshna Dvaipâyana Vyâsa,
den die Legende zu einer Art Großvater 2) der
Helden des Epos gemacht hat, gilt also den Indern bis zum heutigen
1) Mahâbh.I,63;100
ff.
2) Nach dem Gesetz
des Levirats ist Vyâsa nur der Erzeuger,
nicht der Vater des Dhrtarâshtra
und des Pându. Als ihr
Vater gilt der verstorbene Gatte der beiden Witwen.
— 270 —
Tage als der Verfasser des ganzen
Mahâbhârata. Erst nachdem seine
drei »Söhne« gestorben waren — so erzählt die Einleitung
zum Mahâbhârata 1)
— hat Vyâsa das von ihm verfaßte
Gedicht unter den Menschen bekannt gemacht. Und zwar hat er es seinem Schüler
Vaishampâyana mitgeteilt, und dieser
trug das ganze Gedicht in den Zwischenpausen des großen Schlangenopfers
des Königs Janamejaya vor. Bei dieser
Gelegenheit hörte es der Sûta Ugrashravas,
Lomaharshanas Sohn; und unser Mahâbhârata
beginnt damit, daß die Rshis,
welche bei dem zwölfjährigen Opfer des Shaunaka
im Naimishawalde versammelt
sind, den Sûta Ugrashravas ersuchen,
ihnen die Geschichte des Mahâbhârata,
wie er sie von Vaishampâyana gehört,
zu erzählen. Der Sûta erklärt
sich hierzu bereit und erzählt die Geschichte von dem Schlangenopfer
des Janamejaya, um dann erst zur Wiedergabe
der Erzählung des Vaishampâyana zu
schreiten.
Es ist gewiß ein altertümlicher
Zug des Mahâbhârata, daß
es fast durchwegs nur Reden enthält 2). Ugrashravas
ist der Vortragende der Rahmenerzählung, und in dem Gedicht selbst
ist Vaishampâyana der Sprechende. Innerhalb
der Erzählung des Vaishampâyana werden
wieder zahllose eingeschaltete Geschichten — und diese Einschachtelung
von Erzählungen in Erzählungen ist in der indischen Litteratur
überhaupt sehr beliebt — verschiedenen Personen in den Mund gelegt.
In den meisten Fällen werden sowohl die Erzählungen, als auch
die Reden der auftretenden Personen nur mit den Prosaformeln »Vaishampâyana
sprach«, »Yudhishthira
sprach«, »Draupadî sprach«
usw. eingeleitet.
So phantastisch auch alles ist,
was uns die Einleitung zum Mahâbhârata
über dessen angeblichen Verfasser mitteilt, so finden
1) I,1,95 ff.
2) »Daß
die alten Epen überall sehr viel Rede und Gegenrede enthalten,
kann man auch an der Ilias beobachten; erst in den späteren
Epen tritt dieses dramatische Element mehr zurück . . . Das
epische Gedicht aber wird erst dadurch
vollendet, daß zu den Reden nun
auch die Rahmenerzählung in metrische Form gefaßt wird. Eine
letzte Stufe ist es, daß die Reden
zurücktreten und nur Ereignisse in Versform
erzählt werden.« Ernst Windisch, Mâra
und Buddha
(Abhandl.der philolog.-histor.Klasse
der K.sächsischen Ges.der Wiss.Leipzig 1895), S.222 ff. Von jener
»letzten Stufe« ist das Mahâbhârata
noch weit entfernt.»
— 271 —
wir in ihr doch auch einige bemerkenswerte
Angaben. So heißt es, daß der Rshi
Vyâsa sein Werk sowohl in einer kurzen Zusammenfassung als
auch in einer ausführlichen Darstellung erzählt habe; ferner,
daß verschiedene Rezitatoren das Gedicht an drei verschiedenen Stellen
anfangen, und daß sein Umfang nicht immer der gleiche war. Ugrashravas
sagt, er kenne das Gedicht in dem Umfange von 8800 Strophen, während
Vyâsa erklärt, daß er die
Samhitâ des Bhâratagedichtes
in 24.000 Strophen verfaßt habe, »und ohne die Nebenerzählungen
wird das Bhârata in diesem Umfange von
den Verständigen vorgetragen«. Phantastisch genug heißt
es gleich darauf, daß Vyâsa auch
ein Epos von 60 hunderttausend Strophen verfaßt habe, und zwar 30
hunderttausend für die Götter, 15 für die Manen, 14 für
die Gandharvas und ein Hunderttausend für
die Menschen 1). Natürlich soll damit nur der
gegenwärtige Umfang des Mahâbhârata
angedeutet sein, der ihm auch die Bezeichnung shata-sâhasrî
samhitâ, »Sammlung von hunderttausend Versen«,
eingetragen hat. Man ersieht aus diesen Angaben, daß die Inder selbst
trotz ihrem festen Glauben an die Einheitlichkeit des Werkes doch wenigstens
eine Erinnerung daran behalten haben, daß das Mahâbhârata
aus einem ursprünglich kleineren Gedicht erst allmählich
zu seinem jetzigen Umfang herangewachsen ist.
Was das Mahâbhârata
den Indern ist, sagt uns in überschwenglichster Weise die Einleitung
zu dem Werke. Da heißt es z.B.:
»Wie die Butter unter allen
Arten saurer Milch, wie der Brahmane unter den Ariern, wie die Aranyakas
unter den Vedas, wie der Unsterblichkeitstrank
unter den Arzneien, der Ozean unter allen Gewässern und die Kuh unter
den Vierfüßlern.am besten ist, so ist von allen Erzählungswerken
(Itihâsas) das Mahâbhârata
das beste.«
»Wer einmal diese Erzählung
gehört hat, dem gefällt nichts anderes Hörenswertes mehr;
wie dem, der den Gesang des Kokilamännchens 2)
gehört, der Krähe rauhe Stimme nicht gefällt.«
»Aus diesem vortrefflichsten
aller Erzählungswerke entstehen die Gedanken der Dichter, wie die
drei Weltenräume aus den fünf Elementen.«
1) Mahâbh.I,1,51
ff.; 81; 101 ff.
2) Der Kokila,
der indische Kuckuck, ist für indische Dichter dasselbe, was bei unseren
Dichtern die Nachtigall ist.
— 272 —
»Wer einem vedakundigen,
hochgelehrten Brahmanen einhundert Kühe mit vergoldeten Hörnern
schenkt, und wer täglich die heiligen Erzählungen des Bhâratagedichtes
hört — die beiden erwerben sich gleiches (religiöses) Verdienst.«
»Ein Siegesspruch ist ja dieses
Erzählungswerk: ein König, der zu siegen wünscht, soll es
hören, und er wird die Erde erobern und die Feinde besiegen.«
»Dies ist ein heiliges Lehrbuch
der Moral (dharma); dies ist das beste Lehrbuch
des praktischen Lebens (artha), und auch als
ein Lehrbuch der Erlösung (moksha)
1) ist es von dem unermeßlich weisen Vyâsa
vorgetragen worden.«
»Jegliche Sünde, sei
sie in Taten, Gedanken oder Worten begangen, weicht alsbald von dem Mann,
der dieses Gedicht anhört.«:
»In drei Jahren hat der Asket
Krshna Dvaipâyana,
täglich (zur Verrichtung seiner Andachts- und Bußübungen)
sich erhebend, diese wunderbare Erzählung, das Mahâbhârata,
vertatst. Was in bezug auf Moral, in bezug auf das praktische Leben, in
bezug auf Sinnengenuß und in bezug auf die Erlösung 1)
in diesem Buche steht — das gibt es anderswo; was hier nicht steht, das
gibt es nirgends in der Welt.«
Für uns aber, die wir das Mahâbhârata
nicht als gläubige Hindus, sondern als kritische Litterarhistoriker
betrachten, ist es nichts weniger als ein Kunstwerk; und auf keinen Fall
können wir in ihm das Werk eines Verfassers, ja auch nicht einmal
das eines geschickten Sammlers und Ordners sehen. Das Mahâbhârata
als Ganzes ist ein litterarisches Unding. Nie hat eine Künstlerhand
versucht — und es wäre ja auch kaum möglich gewesen —, die widerstrebenden
Elemente zu einem einheitlichen Gedicht zu vereinigen. Nur poesielose Theologen
und Kommentatoren und ungeschickte Abschreiber haben die tatsächtlich
unvereinbaren und aus verschiedenen Jahrhunderten stammenden Teile schließlich
zu einer ungeordneten Masse zusammengeschweißt. Aber in diesem Urwald
von Dichtungen, den die Wissenschaft eben erst zu lichten begonnen hat,
grünt und sprießt, unter wildem Gestrüpp verborgen, viel
wahre und echte Poesie. Aus der ungefügen Masse leuchten
die köstlichsten
1) Dharma,
»Recht und Sitte« oder »Moral«-, artha
»Nutzen«, »Vorteile«, »das praktische
Leben» und kâma, »Sinnengenuß«
sind die drei Ziele des Lebens, gewissermaßen das Um und Auf des
menschlichen Daseins, nach der indischen Ethik. Das Endziel alles Strebens
aber ist moksha, »die Erlösung«,
zu welcher die verschiedenen Sekten und philosophischen Systeme verschiedene
Wege weisen.
— 273
—
Blüten unsterblicher Dichtkunst
und tiefgründiger Weisheit hervor. Und gerade weil das Mahâbhârata
mehr eine ganze Litteratur als ein einziges und einheitliches Werk
darstellt und so vieles und so vielerlei enthält, ist es mehr als
irgendein anderes Buch geeignet, uns einen Einblick in die tiefsten Tiefen
der indischen Volksseele zu gewähren.
Das mag die folgende Übersicht
über den Inhalt des Mahâbhârata
und seiner verschiedenen Bestandteile zeigen 1).
1) Eine vollständige
deutsche Übersetzung des Mahâbhârata
gibt es nicht; Übersetzungen
und Bearbeitungen einzelner Stücke sind in den Anmerkungen zu der
folgenden Inhaltsübersicht genannt. Die französische Übersetzung
von H. Fauche (Paris 1863—1870) reicht nur bis zum Ende des zehnten Buches.
Englische Prosaübersetzungen des ganzen Mahâbhârata
gibt es von Protap Chandra Roy (Kalkutta 1884—1896) und Manmatha
Nath Dutt (Kalkutta 1895—1905). Eine schöne poetische Wiedergabe,
teils in metrischen Übersetzungen, teils in Prosa-Inhaltsangaben ist
»Maha-Bharata, the Epic of Ancient » India Condensed into English
Verse», by Romesh Dutt. London 1899. Größere und kleinere
Auszüge aus dem Mahâbhârata findet
man auch in John Muirs »Original Sanskrit Texts«, 5 Vols.,
1858—1872, Vol.I, 3.Aufl. 1890, und in desselben »Metrical Translations
from Sanskrit Writers«, London 1879, sowie in Monier Williams' »Indian
Wisdom« 4th ed. London 1893. Eine Sammlung von größeren
Stücken aus dem Mahâbhârata in
französischer Übersetzung gab Ph.E.Foucaux, Le Mahâbhârata,
onze épisodes tirés de ce poème épique, Paris
1862. Einzelne Episoden in italienischer Übersetzung gibt F.E.Pavolini,
Mahâbhârata, Episodi scelti e
tradotti coll.col.racconto dell' interno poema (Bibliotheca dei popoli
I) 1902. Einige Fragmente aus den letzten Büchern des Mahâbhârata,
von Friedrich Rückert übersetzt, sind herausgegeben in den »Rückert-Studien«
von Robert Boxberger, Gotha 1878, S.84—122. Eine Sammlung der wichtigsten
philosophischen Texte des Mahâbhârata
in guter deutscher Übersetzung kommt mir eben noch knapp vor
dem Drucke zu: »Vier philosophische Texte des Mahâbhâratam:
Sanatsujâta-Parvan-Bhagavadgitâ-Mokshadharma-Anugitâ«.
In Gemeinschaft mit Dr. Otto Strauss aus dem Sanskrit übersetzt von
Paul Deussen (Leipzig 1906).
Die
Haupterzählung des Mahâbhârata.
Vor Jahren hat Adolf Holtzmann (der
Ältere) den kühnen Versuch unternommen, »den Grundstoff
des Mahâbhârata, das alte indische
Nationalepos selbst, deutschen Freunden der
— 274 —
Poesie zum erstenmal zu erschließen«
1). Er ging von der unzweifelhaft richtigen Ansicht aus, daß das
Mahâbhârata nicht »das indische
Epos« sei, sondern daß vielmehr nur »die Überreste,
die Trümmer der alten indischen Heldengesänge im Mahâbhârata
. . . in vielfacher Überarbeitung, Erweiterung und Entstellung
enthalten seien«. Aber mit beneidenswertem Selbstbewußtsein
traute er sich die Fähigkeit zu, aus diesen überarbeiteten xmd
entstellten »Trümmern« das alte, ursprüngliche
Heldengedicht wiederherstellen zu können. Er glaubte, durch Auslassungen,
Kürzungen und Veränderungen ein indisches Heldengedicht in deutschen
Versen geschaffen zu haben, welches von dem eigentlichen Mahâbhârata,
wie es die alten indischen Barden gesungen, eine bessere Vorstellung gebe,
als es etwa eine wörtliche Übersetzung des uns vorliegenden Urtextes
tun würde. Nun hat Holtzmann gewiß mit genialem Blick und tiefem
dichterischem Gefühl oft das Richtige getroffen; er hat sich aber
auch mit so grenzenloser Willkür von dem Sanskrittext entfernt, daß
sein Werk doch nur als eine sehr freie Umdichtung des alten Mahâbhârata,
aber keinesfalls als ein treues Abbild desselben gelten kann. In der Tat
ist das, was Holtzmann versucht hat, ein Ding der Unmöglichkeit. Jedem
Versuch, »das alte indische Nationalepos selbst« in seiner
Ursprünglichkeit wiederherzustellen, wird immer so viel Willkürliches
anhaften, daß er nur einen rein subjektiven Wert haben kann.
Hingegen ist es verhältnismäßig
leicht, aus der ungeheueren Masse von Gesängen des Mahâbhârata
einen Kern herauszuschälen, nämlich die Erzählung
vom Kampfe der Kauravas und der Pândavas,
welche jedenfalls den Vorwurf des eigentlichen Epos bildete. Das soll in
dem nachfolgenden, notwendigerweise kurzen Auszuge geschehen. Wir verfolgen
die Geschichte von dem großen Kampfe, indem wir auch die wichtigsten
auf die Haupthelden bezüglichen Nebenerzählungen nach Möglichkeit
berücksichtigen. Dabei wollen wir uns nicht auf zweifelhafte Hypothesen
über das »ursprüngliche« Epos einlassen, sondern
getreu unserem jetzt vorhandenen Mahâbhâratatexte
folgen, indem wir nur vorläufig alles beiseite lassen, was nicht auf
die Haupterzählung bezug hat.
1) Indische Sagen.
2. Teil: Die Kuruinge. Karlsruhe 1846.
— 275 —
Die
Herkunft der Kauravas und der Pândavas.
Im Lande der Bharatas
herrschte einmal ein König aus dem Kurugeschlecht,
Shântanu mit Namen. Dieser hatte von
der zu einem Menschenweibe gewordenen Gangâ
1) einen Sohn, Namens Bhîshma,
welchen er zum Thronnachfolger bestimmt hatte. Eines Tages, als dieser
bereits zu einem trefflichen, mit allen Kriegertugenden ausgestatteten
Helden herangewachsen war, traf Shântanu die
schöne Fischerstochter Satyavatî,
verliebte sich in sie und begehrte sie zum Weibe. Ihr Vater aber, der König
der Fischersleute, wollte sie ihm nur unter der Bedingung geben, daß
der von seiner Tochter geborene Sohn den Thron erben solle. Darauf wollte
Shântanu nicht eingehen, so schwer es
ihm wurde, auf die Geliebte zu verzichten. Bhîshma
aber merkte bald die Niedergeschlagenheit seines Vaters, und als
er den Grund derselben erfahren hatte, begab er sich selbst zu dem Fischerkönig,
um für seinen Vater um Satyavatî zu
werben. Er erklärt nicht nur, auf den Thron verzichten zu wollen,
sondern nimmt auch das Gelübde der Keuschheit auf sich, damit nicht
etwa ein Sohn von ihm als Thronnachfolger in Frage käme, worauf ihm
der Fischer gern seine Tochter gibt. Shântanu
heiratet also Satyavatî und erzeugt
mit ihr zwei Söhne, Citrângada und
Vicitravîrya. Nachdem Shântanu
bald darauf gestorben war und den jungen Citrângada
ein Gandharva im Kampfe getötet
hatte, weihte Bhîshma, als der
Senior der Familie, den Vicitravîrya zum
König. Dieser aber starb jung und kinderlos, obgleich er zwei Frauen
hatte. Damit nun das Geschlecht nicht aussterbe, bittet Satyavatî
den Bhîshma, nach dem
alten Rechtsbrauche des Levirats mit den hinterbliebenen Witwen des Vicitravîrya
Nachkommenschaft zu erzeugen. Bhîshma
aber weist auf sein Gelübde der Keuschheit hin und erklärt,
daß wohl die Sonne ihren Glanz, das Feuer seine Hitze, der Mond die
Kühle seiner Strahlen, Gott Indra seine
Tapferkeit, Gott Dharma 2) seine
Gerechtigkeit aufgeben, er aber nie und nimmer sein gegebenes Wort brechen
könne. Da erinnert sich Satyavatî ihres
unehelichen Sohnes Vyâsa und fordert
mit Zustimmung des Bhîshma ihn
auf, für die Erhaltung des Geschlechtes Sorge zu tragen. Und der heilige
Vyâsa erzeugt, wie wir schon gesehen
haben 3), den Dhrtarâshtra,
den Pându und den Vidura.
Da Dhrtarâshtra blind
geboren war, wurde der jüngere Bruder Pându
zum König eingesetzt. Dhrtarâshtra
heiratete Gândhârî,
die Tochter des Gândhârakönigs, und sie gebar ihm hundert
Söhne, von denen der älteste Duryodhana
hieß. Pându aber
hatte zwei Frauen, Prthâ oder
Kuntî, die Tochter eines Königs
der Yâdavas, und Mâdrî,
die Schwester des Shalya, des Königs
der Madras. Kuntî gebar ihm drei Söhne:
Yudhishthira, den ältesten, Arjuna
und Bhîma, der am
1) Göttin des
Flusses Ganges
2) der Todesgott und
zugleich der Gott der Gerechtigkeit
3) oben S.269
— 276 —
selben Tage wie Duryodhana
geboren wurde, während Mâdrî
die Mutter der beiden Zwillinge Nakula und
Sahadeva wurde.
Eine sehr phantastische (schwerlich
dem alten Gedichte angehörige) Geschichte wird erzählt, wonach
diese fünf Haupthelden des Epos nicht von Pându,
sondern für Pându gezeugt
worden sein sollen. Pându — so
wird erzählt — hat auf der Jagd ein Antilopenpärchen bei der
Begattung getötet. In Wirklichkeit ist es aber ein Rshi, der
Antilopengestalt angenommen hat, um der Liebe zu pflegen. Dieser Rshi
spricht nun über Pându den
Fluch aus, daß er beim Liebesgenuß sterben solle. Daraufhin
beschließt Pându, ein Asketenleben
zu führen und auf den Geschlechtsgenuß zu verzichten. Damit
er aber doch Nachkommenschaft erhalte, werden von Kuntî
die Götter herbeigerufen, damit sie ihr Kinder erzeugen. Dharma,
der Gott der Gerechtigkeit, erzeugt mit ihr den Yudhishthira,
der Windgott Vâyu den starken Bhîma
und der Götterfürst Indra den Arjuna. Auf Bitten der Kuntî
wohnen die beiden Ashvins der Mâdrî
bei und erzeugen mit ihr die Zwillinge Nakula
und Sahadeva.
Die
Pândavas und Kauravas
am Hofe des Dhrtarâshtra.
Nachdem Pându
bald darauf gestorben war, übernahm der blinde Dhrtarâshtra
die Regierung. Die fünf Söhne des Pându
zogen mit ihrer Mutter Kuntî —
Pândus zweite Frau Mâdri
hatte sich mit ihm als Witwe verbrennen lassen — an den Hof des
Königs Dhrtarâshtra nach
Hastinâpura und wurden dort zusammen mit den Prinzen, ihren Vettern,
erzogen.
Schon in den Kinderspielen zeichneten
sich die Söhne des Pându vor
denen des Dhrtarâshtra aus
und erregten die Eifersucht der letzteren. Bhîma
insbesondere war äußerst übermütig und gab manche
Proben unbändiger Kraft, die den Kindern des Dhrtarâshtra
recht unangenehm waren. Wenn die Kinder z.B. auf einen Baum stiegen,
schüttelte er ihn so, daß die Vettern samt den Früchten
heruntergepurzelt kamen. Duryodhana war daher
dem Bhîma sehr gehässig und machte
auch mehrere Anschläge gegen sein Leben, ohne ihm aber etwas anhaben
zu können. Die Knaben wuchsen heran und erhielten zwei berühmte,
waffenkundige Brahmanen, Krpa und Drona,
zu Lehrern im Waffenhandwerk. Zu ihren Schülern gehörten außer
den Söhnen des Dhrtarâshtra
und des Pându auch Ashvatthâman,
ein Sohn des Drona, und Karna
, der Sohn eines Sûta oder Wagenlenkers. Duryodhana
und Bhîma wurden bald die besten
Schüler des Drona im Keulenkampf,
Ashvatthâman in Zauberkünsten,
Nakula und Sahadeva
im Schwertkampf und Yudhishthira im
Wagenkampf. Arjuna aber war nicht nur der
tüchtigste Bogenschütze, sondern übertraf alle andern in
jeder Beziehung. Daher waren die Söhne des Dhrtarâshtra
überaus eifersüchtig auf ihn.
Als die Prinzen ihre Lehrzeit beendet
hatten, veranstaltete Drona einen Wettkampf,
bei dem seine Schüler ihre Künste zeigen sollten.
— 277
—
Es ist eine glänzende Festversammlung;
der König, die Königinnen und zahlreiche Helden sind anwesend.
Bhîma und Duryodhana
führen einen Keulenkampf auf, der so ernst.zu werden droht,
daß die Kämpfenden getrennt werden müssen. Arjuna
erntet allgemeinen Beifall durch seine Kunst im Bogenschießen.
— Aber auch Karna tritt in die
Arena und vollführt dieselben Künste wie Arjuna,
worüber dieser sehr erzürnt ist, während Duryodhana
den Karna freudig umarmt
und ihn seiner ewigen Freundschaft versichert. Karna
fordert den Arjuna zum Zweikampf heraus,
wird aber als Abkömmling eines Wagenlenkers von den Pândavas
verhöhnt.
Yudhishthira
wird Thronfolger. Verschwörung gegen ihn und seine Brüder.
(Das Lackhaus.)
Ein Jahr darauf setzte Dhrtarâshtra
den durch Tapferkeit wie durch alle andern Tugenden gleich ausgezeichneten
Yudhishthira (als den Erstgeborenen
der Kurufamilie) zum Thronfolger ein. Die
übrigen Pândavas bildeten
sich noch weiter in den Waffen aus und unternahmen auch auf eigene Faust
siegreiche Eroberungszüge. Als Dhrtarâshtra
von diesen Waffen taten der immer mächtiger werdenden Pândavas
hörte, wurde er um die Zukunft seiner eigenen Linie einigermaßen
besorgt. Als daher Duryodhana, sein jüngerer
Bruder Dushshâsana, sein Freund Karna
und sein mütterlicher Oheim Shakuni eine
Verschwörung gegen die Pândavas
anzettelten, fanden sie bei dem alten König bereitwillige Unterstützung.
Sie überredeten Dhrtarâshtra,
die Pândavas unter irgend einem
Vorwand nach Vâranâvata zu
entfernen. Dort ließ Duryodhana durch
einen geschickten Baumeister ein Haus aus Lack und andern leicht entzündlichen
Stoffen bauen, in welchem die Pândavas
wohnen sollten. In nachtschlafender Zeit sollte dann das Haus angezündet
werden, damit die Pândavas ihren
Untergang fänden. Vidura aber teilt dem
Yudhishthira insgeheim — er bedient
sich dabei einer Mlecchasprache, d.h. einer den übrigen nicht verständlichen
Sprache eines nichtindischen Volksstammes — den heimtückischen Plan
mit. Um aber keinen Verdacht zu erregen, da sie fürchteten, Duryodhana
würde sie sonst auf andere Weise durch Meuchelmörder töten
lassen, gehen sie scheinbar auf den Plan ein, begeben sich nach Vâranâvata
und beziehen das Lackhaus. Durch einen unterirdischen Gang aber,
den sie heimlich anlegen ließen, entfliehen sie in den Wald, nachdem
sie das Haus, in welchem nebst dem Baumeister nur noch ein betrunkenes
Weib niedriger Kaste mit fünf Söhnen schläft, selbst angezündet
haben. Während alle Leute glauben, die Pândavas
mit ihrer Mutter Kuntî seien
verbrannt, und am Hofe des Dhrtarâshtra
die Totenfeier abgehalten wird, irren die fünf Brüder
mit ihrer Mutter im Walde jenseits des Ganges umher. In finsterer Nacht
befinden sie sich mitten im dichten Walde — müde, hungrig und durstig.
Kuntî klagt über Durst, und Bhîma
bringt die Mutter und seine vier Brüder zu einem Bananenbaum, wo sie
sich ausruhen sollen, während er Wasser suchen
— 278 —
will. Den Wasservögeln folgend,
kommt er zu einem Teich, wo er badet und trinkt und die Oberkleider ins
Wasser taucht, um den übrigen Wasser zu bringen. Eiligst kehrt er
zurück, findet aber die Seinen alle unter dem Baume eingeschlafen.
Wie er die Mutter und die Brüder so schlafend liegen sieht, beklagt
er in bitteren Worten ihr trauriges Schicksal.
Hidimba,
der Riese, und seine Schwester.
In der Nähe dieses Bananenbaumes
haust ein gräulicher, menschenfressender Riese, der Râkshasa
Hidimba. Er riecht Menschenfleisch, und von einem hohen Baume
aus sieht er die Schlafenden. Ihm wässert der Mund nach dem lang entbehrten
Genüsse und er fordert seine Schwester, die Riesin Hidimbâ,
auf, nachzusehen, was es für Leute seien; dann wollten sie zusammen
sich an der Menschen frischem Fleisch und Blut gütlich tun und nachher
fröhlich tanzen und singen. Die Riesin geht hin; aber kaum hat sie
den Bhîma erblickt, so wird sie von
heftiger Liebe zu dem kräftigen Heldenjüngling ergriffen. Sie
verwandelt sich daher in ein schönes menschliches Weib und geht lächelnd
auf Bhîma zu, erzählt ihm, daß
dieser Wald von dem menschenfressenden Râkshasa,
ihrem Bruder, heimgesucht sei, der sie hergeschickt habe; daß sie
ihn aber liebe und keinen andern Mann zum Gatten haben wolle, als ihn;
er möge sich ihrer freuen, sie werde ihn retten. Bhîma
antwortet, er denke nicht daran, sich der Lust hinzugeben und Mutter und
Brüder im Stiche zu lassen. Hidimbâ
erwidert, er möge nur seine Angehörigen aufwecken, sie
werde sie alle retten. Bhîma aber erklärt,
es werde ihm nie einfallen, seine Mutter und seine Brüder aus süßem
Schlummer zu wecken; vor Râkshasas,
Yakshas (Elfen), Gandharvas
und dergleichen Gelichter habe er keine Angst, er werde auch mit
dem Menschenfresser fertig werden. Da kommt auch schon der Riese Hidimba,
dem seine Schwester zu lange ausbleibt, selbst daher und will die verliebte
Hidimbâ im Zorne töten.
Bhîma aber stellt sich ihm entgegen
und fordert ihn zum Kampfe heraus. Nach furchtbarem Ringen, während
dessen die Brüder erwachen, erschlägt er den Riesen. Nun will
er auch die Hidimbâ dem Bruder
nachsenden, aber Yudhishthira ermahnt
ihn, doch nicht ein Weib zu töten. Auf ihr flehentliches Bitten läßt
er sich schließlich herbei, sich mit ihr so lange zu vereinigen,
bis sie einen Sohn geboren habe. Yudhishthira
ordnet an, daß Bhîma tagsüber
bei der Riesin weilen möge, aber vor Sonnenuntergang stets zurückkehren
müsse. So fliegt denn Hidimbâ mit
Bhîma durch die Luft auf liebliche Bergeshöhen,
wo sie sich dem Liebesspiel hingeben, bis sie empfängt und einen Sohn
gebiert, der auch ein mächtiger Râkshasa
ist. Sie nennen ihn Ghatotkaca.
Dieser hat später den Pândavas
in der großen Schlacht gute Dienste geleistet. 1)
1) Eine sehr freie
Bearbeitung der Hidimba-Episode hat
Friedrich Rückert gegeben. (Werke, herausg. von C.Beyer, Bd.6, S.426
ff.)
— 279 —
Der
Riese Baka und die Brahmanenfamilie.
Die Pândavas
ziehen nun, als Büßer verkleidet, unter mancherlei andern
Abenteuern, von Wald zu Wald und kommen schließlich in eine Stadt
Ekacakrâ, wo sie unerkannt im Hause
eines Brahmanen Aufenthalt nehmen. Bei Tage erbetteln sie sich ihre Speise
und bringen sie abends nach Hause, wo Kuntî
das ganze Essen in zwei Hälften teilt — die eine für Bhîma,
die andere für alle übrigen. Eines Tages ist Kuntî
mit Bhîma allein zu Hause. Da
dringt aus den Gemächern des Brahmanen, bei dem sie Gastfreundschaft
genießen, lautes Jammern und Wehklagen. Und sie hören, wie erst
der Brahmane unter bitteren Klagen über das Menschenlos überhaupt
erklärt, daß es am besten sei, wenn er samt seiner Familie in
den Tod ginge. Denn er könnte es nie über sich gewinnen, die
treue Gattin, die geliebte Tochter oder gar das Söhnchen zu opfern,
und anderseits müßte er, wenn er allein stürbe, die Seinen
sicherem Elend überlassen. Darauf ergreift die Frau des Brahmanen
das Wort und sagt: Er müsse am Leben bleiben, um.für seine Kinder
zu sorgen und das Geschlecht zu erhalten. Sie aber habe, nachdem sie ihm
einen Sohn und eine Tochter geboren, den Zweck ihres Daseins erfüllt
und könne ruhig sterben. Wenn er stürbe, so könnte ja sie
allein nie ihre beiden Kinder ernähren und beschützen; sie könnte
weder ihre Tochter vor unwürdigen Männern bewahren, noch ihrem
Sohne die eines Brahmanen würdige Erziehung geben. Er könne ja
auch wieder eine zweite Frau nehmen, während sie als Witwe doch nur
ein bedauernswertes Los hätte. »Wie Vögel sich gierig auf
ein weggeworfenes Stück Fleisch stürzen, so die Männer auf
eine des Gatten beraubte Frau«. Darum werde sie ihr Leben opfern.
Nun beginnt die Tochter, welche die Reden ihrer Eltern gehört hat,
zu sprechen und sucht zu beweisen, daß es ihr allein zukomme, für
die Familie zu sterben. »Sagt man doch: das eigene Selbst ist der
Sohn, ein Freund die Gattin, ein Elend aber die Tochter. Befreie dich selbst
von diesem Elend und laß mich meine Pflicht erfüllen«.
Während diese drei so miteinander reden und schließlich alle
zusammen in Weinen ausbrechen, tritt das kleine Söhnchen mit weitgeöffneten
Augen auf jeden einzelnen zu und spricht lächelnd mit süßer,
kindlicher Stimme: »Weine nicht, Vater! Weine nicht, Mutter! Weine
nicht, Schwester!« Und frohgemut nimmt der Kleine einen Grashalm
vom Boden und spricht: »Mit dem werde ich den menschenfressehden
Râkshasa töten!« Und
so tiefbetrübt sie auch alle waren — als sie des Knaben süße
Stimme hörten, ward ihr Herz von Freude erfüllt. Diesen Augenblick
benützt Kuntî, die Mutter der Pândavas,
um einzutreten und sich zu erkundigen, was denn eigentlich los sei. Da
erfährt sie denn, daß in der Nähe der Stadt ein menschenfressender
Râkshasa, der Riese Baka,
hause, dem die Einwohner der Stadt in gewissen Zeiträumen eine Wagenladung
Reis, zwei Büffel und einen Menschen als Tribut bringen müssen.
Abwechselnd komme immer eine andere Familie daran, und jetzt sei gerade
die Reihe an ihnen.
— 280
—
Darauf tröstet Kuntî
den Brahmanen und schlägt vor, daß einer ihrer fünf
Söhne dem Râkshasa seinen
Tribut bringe. Der Brahmane aber will nichts davon wissen, daß ein
Brahmane, und noch dazu ein Gast, für ihn das Leben opfere. Da erklärt
ihm Kuntî, daß ihr Sohn ein großer
Held sei — was er aber niemand verraten dürfe —, der den Râkshasa
gewiß töten werde. Bhîma
ist sofort bereit, der Aufforderung der Mutter Folge zu leisten und fährt
am nächsten Morgen mit dem Wagen, der die für den Râkshasa
bestimmten Speisen enthält, in den Wald, wo der Unhold haust.
Sobald er in den Wald kommt, beginnt er — dies wird mit großem Humor
geschildert — die Speisen selbst zu essen und läßt sich auch
durch den heranstürmenden Riesen nicht irre machen. Selbst als der
wutentbrannte Râkshasa mit beiden
Händen auf ihn losschlägt, ißt er ruhig weiter. Erst nachdem
er alles aufgegessen hat, rüstet er sich zum Kampfe. Die mächtigsten
Bäume des Waldes reißen sie aus und schleudern sie aufeinander.
Dann aber beginnt ein gewaltiges Ringen, welches damit endet, daß
Bhîma den Riesen über seinem Knie
entzwei bricht. Den übrigen Râkshasas,
den Verwandten und Untergebenen des Baka,
nimmt Bhîma das Versprechen ab, keinen
Menschen mehr zu töten und kehrt zu den Brüdern zurück.
In der Stadt herrscht große Freude. Aber das Inkognito der Pândavas
wird gewahrt.
Gattenselbstwahl
und Heirat der Draupadî.
Nach einiger Zeit entschließen
sich die, Pândavas, die Stadt
Ekacakrâ zu verlassen und ins Pañcâlaland
zu wandern. Auf dem Wege dahin erfahren sie, daß Drupada,
der König der Pañcâlas,
soeben im Begriffe sei, die Gattenselbstwahl 1) seiner
Tochter zu veranstalten. Die Brüder beschließen, sich auch an
dem Feste zu beteiligen und begeben sich, als Brahmanen verkleidet, in
die Residenzstadt des Drupada, wo sie im Hause
eines Töpfers unerkannt leben, indem sie sich als Brahmanen ihren
Unterhalt erbetteln. Drupada aber hatte einen
sehr festen Bogen machen, mittels einer künstlichen Vorrichtung hoch
in der Luft ein Ziel aufrichten und verkünden lassen, daß nur
derjenige Held seine Tochter Krshnâ
beim Svayamvara erringen könne,
der den Bogen spannen und das aufgesteckte Ziel treffen würde. Fürsten
aller Länder, darunter auch die Kauravas,
Duryo-
1)
Svayamvara, d.h. »Selbstwahl«, ist eine Form der Ehegründung
oder Verlobung, welche darin besteht, daß die Königstochter
sich unter den versammelten Fürsten und Helden (nachdem der Vater
eine feierliche Einladung hat ergehen lassen) den Gatten selber auswählt,
indem sie dem Erwählten einen Kranz um den Hals hängt, worauf
dann die Hochzeit stattfindet. Während der Svayamvara
in der epischen Dichtung sehr häufig geschildert wird, erwähnen
die brahmanischen Gesetzbücher, die sonst die verschiedenen Arten
der Ehegründung sehr ausführlich behandeln, diese Sitte gar nicht.
— 281 —
dhana und
seine Brüder, nebst Karna folgen
der Einladung des Königs Drupada und
versammeln sich in der festlich geschmückten Halle, in welcher die
Gattenselbstwahl stattfinden soll. Auch zahllose Brahmanen strömen
als Zuschauer herbei, unter ihnen die fünf Pândavas.
Mehrere Tage hindurch finden glänzende Festlichkeiten statt, und die
fremden Könige und Brahmanen werden als Gäste großartig
bewirtet. Endlich am sechzehnten Tage tritt unter den üblichen
Zeremonien die wunderschöne Krshnâ,
herrlich gekleidet und geschmückt, in den Saal, den Blumenkranz in
der Hand. Ihr Bruder Dhrshtadyumna verkündet
mit lauter Stimme: »Höret, all ihr Fürsten insgesamt! Hier
ist der Bogen, hier sind die Pfeile, dort ist das Ziel. Treffet es durch
das Loch der Vorrichtung mit den fünf scharfen, luftdurchschwirrenden
Pfeilen. Wer, mit edler Geburt, Schönheit und Kraft ausgestattet,
diese große Tat vollbringt, dessen Gemahlin soll meine Schwester
Krshnâ heute sein — nicht eitel
ist meine Rede.« Darauf nennt er seiner Schwester die Namen aller
anwesenden Könige, mit Duryodhana beginnend.
Alle verlieben sich sofort in die reizende Krshnâ,
einer ist auf den andern eifersüchtig und jeder einzelne hofft, sie
zu gewinnen. Einer nach dem andern versucht nun, den Bogen zu spannen,
aber keinem will es gelingen Da tritt Karna
vor: schon hat er den Bogen gespannt und ist bereit, das Ziel zu treffen,
da ruft Krshnâ mit lauter Stimme:
»Einen Wagenlenker wähle ich nicht« Mit bitterem Lachen
und einem Blick zur Sonne wirft Karna
den Bogen wieder hin. Vergeblich versuchen noch die mächtigen Könige
Shishupâla, Jarâsandha
und Shalya den Bogen zu spannen. Da
erhebt sich Arjuna aus der Mitte der Brahmanen.
Unter lautem Gemurmel des Beifalls derjenigen, die den stattlichen Jüngling
bewundern, und des Widerspruchs jener, die sich darüber ärgern,
daß ein Brahmane mit Kriegern in die Schranken zu treten wage, schreitet
er auf den Bogen zu, spannt ihn im Nu und schießt das Ziel herab.
Da Krshnâ den göttergleichen
Jüngling sieht, reicht sie ihm erfreut den Kranz, und Arjuna
verläßt, von der Königstochter gefolgt, die Halle.
Da aber die versammelten Könige
merken, daß Drupada wirklich seine Tochter
dem Brahmanen geben wolle, sehen sie dies für eine Beleidigung an;
denn eine Gattenselbstwahl sei nur für Krieger, nicht für Brahmanen
bestimmt. Sie wollen den prupada töten. Aber Bhîma
und Arjuna eilen ihm zu Hilfe. Bhîma
reißt einen mächtigen Baum aus und steht furchtbar wie der Todesgott
da. Arjuna stellt sich mit gespanntem Bogen
neben ihn. Karna kämpft mit Arjuna,
Shalya mit Bhîma.
Nach hartem Kampfe erklären sich Karna
und Shalya für besiegt. Die Könige
geben den Kampf auf und kehren in ihre Heimat zurück. Die Pândavas
aber ziehen mit Krshnâ ab
und begeben sich zum Töpferhaus, wo Kuntî
bereits besorgt auf sie wartet. Hier nun erklärt Arjuna
vor der Mutter und den Brüdern, daß er die von ihm gewonnene
Krshnâ, die Tochter des Drupada,
nicht allein heiraten werde, sondern daß sie nach altem Familienbrauch
die gemeinsame Gattin aller fünf Brüder werden müsse.
— 282
—
Unter denjenigen, welche bei der
Gattenselbstwahl zugegen waren, befand sich auch Krshna,
der Häuptling eines Clans der Yâdavas
und der Vetter der Pândavas (denn
Vasudeva, Krshnas
Vater, war der Bruder der Kuntî). Er
war der einzige, welcher die Pândavas
trotz ihrer Verkleidung erkannt hatte. Er folgte daher, begleitet
von seinem Bruder Baladeva, den Pândavas,
besuchte sie im Töpferhaus und gab sich ihnen als ihr Verwandter zu
erkennen. Die Pândavas waren
darüber sehr erfreut. Damit diese aber nicht erkannt würden,
entfernten sich Krshna und Baladeva
bald wieder.
Auch Prinz Dhrshtadyumna
war den Pândavas heimlich
gefolgt, um zu erfahren, wer denn eigentlich der Held sei, der seine Schwester
zur Gemahlin gewonnen. Er verbirgt sich im Töpferhaus und beobachtet,
wie die Brüder heimkehren und ihre Mutter ehrfurchtsvoll begrüßen,
wie Kuntî die Draupadî
1) in bezug auf die Zubereitung und Verteilung
der Speisen unterweist, wie sie sich dann nach dem Abendessen zur Ruhe
begeben, indem der jüngste der Brüder ein Lager von Kushagras
ausbreitet, auf welchem sich die fünf Brüder der Reihe nach jeder
auf seinem Antilopenfell hinstrecken, während die Mutter zu ihren
Häuptern und Draupadî zu ihren
Füßen ihr Nachtlager aufschlagen; und er hört, wie sich
die Brüder vor dem Einschlafen noch mit allerlei Gesprächen über
Waffen und Kriegstaten unterhalten. Darauf eilt Dhrshtadyumna
zu seinem Vater zurück, um ihm zu berichten, daß die
angeblichen Brahmanen, nach ihren Gesprächen zu schließen, Krieger
sein müßten, worüber der König hocherfreut ist. Am
nächsten Morgen läßt Drupada die Pândavas
in den Palast einladen, um die Hochzeit seiner Tochter in feierlicher
Weise zu begehen. Nun erst teilt ihm Yudhishthira
mit, daß sie die totgeglaubten Söhne des Pându
seien, worüber Drupada sehr froh
ist; denn es war immer sein Wunsch gewesen, den tapferen Arjuna
zum Schwiegersohn zu haben. Da er aber die feierliche Vermählung
seiner Tochter mit Arjuna vornehmen will,
ist er einigermaßen erstaunt und wenig erfreut, als ihm Yudhishthira
die Mitteilung macht, daß Krshnâ
die gemeinsame Gattin aller fünf Brüder werden müsse.
Die Bedenken, die er äußert, werden aber, durch den Hinweis
auf den alten Familienbrauch der Pândavas
beschwichtigt, und Draupadî wird
zuerst dem Yudhishthira als dem Ältesten,
dann in der Reihenfolge des Alters den vier andern Brüdern vor dem
heiligen Feuer als Gattin angetraut 2).
— 283 —
Kuntî
segnet ihre Schwiegertochter. Den Neuvermählten aber
sendet Krshna reiche und überaus
kostbare Hochzeitsgeschenke.
— 282
—
1) Krshnâ,
»die Schwarze«, wird gewöhnlich Draupadî,
d.h. »Tochter des Drupada«, genannt.
2) Das Epos hat in
dieser Fünfmännerehe unzweifelhaft einen alten Zug der Sage treu
bewahrt. Denn die Polyandrie oder vielmehr die Gruppenehe, von welcher
die Ehe der Pândavas ein Beispiel
bietet, kommt zwar in einzelnen Gegenden Indiens auch heute noch vor, ist
aber sonst im alten Indien durchaus nicht als rechtmäßige Eheform
bezeugt und widerspricht ganz und gar den brahmanischen Anschauungen. Wenn
Drupada sagt (I, 197, 27): »Das
Gesetz lehrt,
— 283
—
daß ein Mann
viele Frauen hat; aber man hat nie gehört, daß eine Frau viele
Männer zu Gatten habe«, so gibt er damit nur der allgemein indischen
Anschauung Ausdruck. Wenn trotzdem im Epos die fünf Haupthelden nur
eine Gattin haben, so ist dies ein Beweis dafür, daß dieser
Zug so enge mit der ganzen Sage und dem alten Epos verwoben war, daß
selbst in späterer Zeit, als das Mahâbhârata
mehr und mehr einen brahmanischen Charakter erhielt und zu einem
religiösen Lehrbuch wurde, nicht daran gedacht werden konnte, diesen
Zug zu beseitigen. Man bemühte sich nur, durch mehrere ziemlich ungeschickt
eingefügte Erzählungen die Fünfmännerehe zu rechtfertigen.
Einmal erzählt Vyâsa die alberne
Geschichte von einer Jungfrau, die keinen Mann bekommen konnte und den
Gott Shiva anflehte, daß er ihr einen
Gatten besorge. Weil sie nun fünfmal gerufen hatte: »Gib mir
einen Gatten«, verspricht ihr Shiva fünf
Gatten — in einer späteren Geburt. Diese Jungfrau ist als Krshnâ,
Drupadas Tochter,
wiedergeboren und erhält daher die fünf Pândavas
zu Gatten. Nicht viel geistreicher ist eine zweite Geschichte. Die,
Pândavas, die im Töpferhaus
als bettelnde Brahmanen leben, kommen mit Draupadî
nach Hause und melden ihrer Mutter, daß sie »die Almosen«,
die sie auf ihrem Bettelgang gesammelt, gebracht haben. Ohne aufzusehen,
sagt Kuntî gewohnheitsmäßig:
»Genießet es alle miteinander«. Dann erst bemerkt sie,
daß »das Almosen« eine Frau ist, und ist sehr bestürzt;
aber das Wort einer Mutter darf nicht unwahr gemacht werden, und es muß
dabei sein Bewenden haben, daß die fünf Brüder die Draupadî
gemeinsam genießen. Eine dritte Geschichte, welche wieder Vyâsa
dem Drupada erzählt, ist die shivaitische
»Fünf-Indra-Erzählung«
(pañcendropâkhyânam), ein
höchst phantastischer und verworrener Bericht, nach welchem Indra
zur Strafe dafür, weil er den Shiva beleidigt
hat, fünffach geteilt auf der Erde wiedergeboren und eine Inkarnation
der Lakshmî oder Shri
(Göttin des Glückes und der Schönheit) zu seiner
Frau bestimmt wird. Die fünf Pândavas
sind Inkarnationen des einen Indra,
Draupadî ist eine Inkarnation der Lakshmî;
so hat Draupadî eigentlich nur einen
Gemahl! Es wird nicht einmal der Versuch gemacht, diese drei Rechtfertigungsgeschichten
miteinander oder mit der Haupterzählung in Einklang zu bringen. Hingegen
wird wiederholt deutlich ausgesprochen, daß wir es mit einer alten
Familiensitte — nicht etwa mit einem allgemein indischen, sondern mit einem
speziellen Familienbrauch der Pândavas
— zu tun haben. In Erzählungen der Buddhisten und Jainas wird
die Gattenselbstwahl der Draupadî in
der Weise geschildert, daß sie nicht den Arjuna,
sondern gleich alle fünf Pândavas
auf einmal wählt. Sonderbarerweise haben auch einige europäische
Forscher die Fünfmännerehe mythologisch, allegorisch und symbolisch
zu deuten und zu rechtfertigen ge-
— 284
—
sucht, anstatt sie
als ethnologisches Faktum hinzunehmen. (Vgl. meine »Notes on the
Mahâbhârata« im JRAS, 1897,
S.733 ff.)
— 284 —
Die
Pândavas erhalten ihr Reich zurück.
Bald verbreitet sich die Nachricht,
daß die Pândavas noch am
Leben sind und daß Arjuna es war, der
die Draupadî bei der Gattenselbstwahl
gewonnen. Duryodhana und seine Genossen kehren
betrübt nach Hastinâpura zurück,
und es macht ihnen große Sorge, dals die Pândavas
jetzt durch ihre Heirat zwei mächtige Bundesgenossen — Drupada
und die Pañcâlas, Krshna
und die Yâdavas — gewonnen haben. Duryodhana
meint, man müsse nun vor den Pândavas
auf der Hut sein; und schlägt vor, sie durch Verräterei
zu beseitigen. Hingegen rät Karna zum
offenen Kampfe. Bhîshma aber,
dem auch Vidura und Drona
zustimmen, rät dem Dhrtarâshtra,
den Pândavas das halbe Königreich
abzutreten und mit ihnen in Frieden zu leben. Dhrtarâshtra
geht auf diesen Vorschlag ein und tritt den Pândavas
die Hälfte seines Reiches ab, und zwar sollen sie sich in der
Wüste Khândavaprastha niederlassen.
Yudhishthira nimmt das Anerbieten bereitwillig
an, und die Pândavas begeben
sich, von Krshna begleitet, nach Khândavaprastha.
Dort gründen sie sich als Residenz die große Stadt und Festung
Indraprastha (in der Nähe des heutigen
Delhi).
Arjunas
Verbannung und Abenteuer.
Glücklich und zufrieden lebten
die Pândavas mit ihrer gemeinsamen
Gattin in Indraprastha. Damit keine Eifersucht
zwischen ihnen entstehe, hatten sie (auf den Rat des himmlischen Weisen
Nârada) vereinbart, daß derjenige
von den Brüdern, welcher einen der andern bei einem traulichen Zusammensein
mit Draupadî überrasche, auf zwölf
Jahre in die Verbannung gehen und ein Leben der Keuschheit führen
müsse. Infolge dieser Vereinbarung leben sie stets in Frieden miteinander.
Eines Tages stehlen Räuber
einem Brahmanen sein Vieh, und dieser kommt mit heftigen Vorwürfen,
daß der König seine Untertanen nicht genügend schütze,
in den Palast gelaufen. Arjuna will ihm sofort
zu Hilfe eilen. Zufälligerweise aber hängen die Waffen in einem
Zimmer, in welchem Yudhishthira gerade
mit Draupadî beisammen ist. Arjuna
ist in einem Dilemma: Soll er die Kriegerpflicht gegenüber
dem Brahmanen üben und die Regel in bezug auf die gemeinsame Gattin
durchbrechen, oder soll er die erstere verletzen, um die letztere einzuhalten?
Er entschließt sich dafür, in die Kammer zu gehen, um die Waffen
zu holen, verfolgt die Räuber und gibt dem Brahmanen sein Vieh zurück.
Darauf kehrt er heim und erklärt dem Yudhishthira,
daß er nun der Vereinbarung gemäß auf zwölf Jahre
in die Verbannung gehen werde. Obwohl Yudhishthira
ihn zurückzuhalten sucht, da er sich gar nicht beleidigt fühle,
zieht sich doch Arjuna
— 285 —
nach dem Grundsatz, daß Recht
Recht bleiben müsse, in den Wald zurück.
Hier erlebt er nun mancherlei Abenteuer.
So badet er einmal im Ganges und will eben, nachdem er den Manen geopfert,
heraussteigen, als ihn Ulûpî,
die Tochter eines Nâgakönigs, in
das Reich der Nâgas (Schlangendämonen)
hinabzieht. Sie erklärt ihm, daß sie sich in ihn verliebt habe,
und bittet ihn, sich ihrer zu erfreuen. Arjuna antwortet,
daß er dies nicht tun könne, weil er das Gelübde der Keuschheit
auf sich genommen. Aber die Schlangenjungfrau wendet ihm ein, daß
sich dieses Gelübde doch nur auf Draupadî
beziehen könne; übrigens sei es seine Kriegerpflicht, Unglücklichen
zu helfen; wenn er ihr ihren Wunsch nicht erfülle, werde sie sich
umbringen — er müsse ihr also das Leben retten. Diesen Argumenten
kann Arjuna nichts mehr entgegensetzen, und
»seine Pflicht im Auge habend« erfüllt er den Wunsch der
schönen Ulûpî und verbringt
eine Nacht mit ihr.
Bin andermal kommt er auf seinen
Wanderungen zu Citravâhana, dem König
von Manipûra, und verliebt sich
in dessen schöne Tochter Citrângadâ.
Sie ist aber eine Sohnestochter 1), und der König:
gibt sie ihm nur unter der Bedingung, daß ein von ihr geborener Sohn
als sein (Citravâhanas) Sohn zu gelten
habe. Arjuna ist damit einverstanden und lebt
mit ihr drei Jahre in Manipûra 2). Nachdem sie
einen Sohn geboren hat, verabschiedet er sich und setzt seine Wanderung
fort.
Nachdem er verschiedene heilige
Orte besucht und noch mancherlei Abenteuer erlebt hat, kommt er mit Krshna
zusammen und besucht diesen in seiner Stadt Dvârakâ,
wo er ungemein festlich empfangen wird. Einige Tage nachher fand auf dem
Berge Raivataka ein großes Fest der
Vrshnis und Andhakas
— Clans der Yâdavas — statt.
Mit Musik, Gesang und Tanz ziehen Edle und Bürger hinaus, und es geht
recht lustig zu. Baladeva, Krshnas
Bruder, betrinkt sich mit seiner Frau Revatî;
Ugrasena, König der Vrshnis,
kommt mit seinen tausend Weibern, und zahlreiche andere Fürsten mit
ihren Frauen. Bei dieser Gelegenheit sieht Arjuna
die schöne Schwester des Krshna,
Subhadrâ, und verliebt sich in sie.
Er fragt den Krshna, wie er sie bekommen
könne, und dieser rät ihm, sie nach Kriegerart gewaltsam zu entführen,
denn eine Gattenselbstwahl sei immer eine unsichere Sache 3).
Da schickt
1) Eine putrikâ
oder »Sohnestochter« ist eine Tochter, deren Sohn nicht
dem Gatten, sondern dem Vater des Mädchens gehört. Wenn nämlich
ein Mann keinen Sohn hat, so kann er seine Tochter als putrikâ
einsetzen, wodurch ein von ihr geborener Sohn zum Fortsetzer des
Geschlechts ihresVaters wird, d.h. er ist zum Totenopfer verpflichtet und
zum Erbe berechtigt.
2) Von dem Keuschheitsgelübde
ist jetzt nicht mehr die Rede.
3) Offenbar waren
die Yâdavas ein wilder Hirtenstamm,
bei dem die Raubehe noch zu Recht bestand.
— 286 —
.Arjuna einen Boten zu Yudhishthira,
um dessen Erlaubnis zur Entführung der Subhadrâ
einzuholen. Yudhishthira gibt
seine Zustimmung, und Arjuna zieht in voller
Kriegsrüstung auf seinem Streitwagen aus, wie wenn er auf die Jagd
ginge. Subhadrâ ergeht sich auf dem
Raivâtaka, und wie sie eben nach Dvârakâ
zurückkehren will, ergreift sie Arjuna,
nimmt sie auf seinen Wagen und fährt mit ihr in der Richtung nach
Indraprastha. In Dvârakâ
herrscht große Aufregung; der betrunkene Baladeva
ist wütend, daß Arjuna das
Gastrecht verletzt habe. Aber Krshna
beruhigt seine Verwandten: Arjuna habe sie
gar nicht beleidigt. Im Gegenteil, er habe die Yâdavas
nicht für so geldgierig gehalten, daß sie ein Mädchen
wie ein Stück Vieh verkaufen würden, und auf eine unsichere Gattenselbstwahl
habe er sich nicht einlassen wollen, so sei ihm nichts übrig geblieben,
als die Subhadrâ zu rauben. Gegen die
Ehe sei ja nichts einzuwenden. Man solle nur den Arjuna
zurückbringen und sich mit ihm versöhnen. Das geschieht
denn auch, und Subhadrâ wird mit Arjuna
vermählt. Er verweilt dann noch ein Jahr in Dvârakâ,
sich mit Subhadrâ vergnügend. Den
Rest der zwölf Jahre verbringt er in dem heiligen Orte Pushkara,
worauf er nach Indraprastha zurückkehrt.
Draupadî macht ihm wegen seiner Heirat
mit Subhadrâ Vorwürfe, beruhigt
sich aber, da sich Subhadrâ ihr als
Magd unterwirft. Und Draupadî, Subhadrâ
und Kuntî leben von da an glücklich
miteinander. Subhadrâ gebar dem Arjuna
einen Sohn, Abhîmanyu, der ein
Liebling seines Vaters und seiner Onkel wurde. Draupadî
aber gebar jedem der fünf Pândavas
je einen Sohn.
Yudhishthira
wird Weltherrscher.
Gerecht und fromm regierte König
Yudhishthira in seinem Reiche, und
seine Untertanen, die ihm in Liebe zugetan waren, lebten glücklich
und zufrieden. Ein glückliches Dasein führten auch die Brüder
des Königs. Den Arjuna aber verband nun
noch innigere Freundschaft mit Krshna.
Als sich die beiden Freunde einst in den Hainen an der Jamnâ (wo
sie mit vielen schönen Frauen wahre Orgien feierten, an denen sich
selbst Draupadî und Subhadrâ
beteiligten) miteinander unterhielten, kam der Gott Agni
in Brahmanengestalt auf sie zu und ersuchte sie, ihm beim Verbrennen
des Khândavawaldes behilflich
zu sein. Der Gott hatte sich nämlich bei einem großen Opfer
durch das Verzehren der vielen Opferspeisen den Magen verdorben, und Brahman
hatte ihm gesagt, er müsse den Khândavawald
verbrennen, um wieder zu genesen. So oft er aber versucht, den Wald in
Brand zu stecken, löschen die Waldtiere das Feuer immer wieder aus.
Das sollen Arjuna und Krshna
verhindern, und zu dem Zweck verschafft ihnen Agni
himmlische Waffen: dem Arjuna den gewaltigen
Bogen Gândîva mit zwei
unerschöpflichen Köchern und einen prächtigen, mit silberweißen
Pferden bespannten und durch ein Affenbanner weithin kenntlichen Streitwagen;
dem Krshna aber eine sichertreffende
Wurfscheibe und eine unwiderstehliche Keule. Mit diesen Waffen
— 287 —
stehen sie dem Agni
zur Seite und töten alle Wesen, welche aus dem brennenden Walde
zu entfliehen suchen. Nur den Dämon Maya,
der ein großer Künstler unter den Himmlischen ist, verschonen
sie 1).
1) Hier endet das
Âdiparvan oder das erste Buch des Mahâbhârata.
Zum Dank dafür, daß ihm
das Leben geschenkt ward, baut der Dämon Maya
dem Yudhishthira einen wunderbaren
Palast mit höchst kunstvollen Einrichtungen. Nach einiger Zeit beschließt
Yudhishthira im Einvernehmen mit Krshna,
das große Königsweiheopfer (râjasûya)
darzubringen. Zur Darbringung dieses Opfers ist aber nur ein Weltherrscher,
ein großer Eroberer, berechtigt. Da aber zur zeit Jarâsandha,
König von Magadha, der mächtigste
Herrscher ist, muß erst dieser beseitigt werden. In einem Zweikampf
mit Bhîma wird er getötet. Dann
erst unternehmen Arjuna im Norden, Bhîma
im Osten, Sahadeva im Süden und Nakula
im Westen siegreiche Eroberungszüge, durch welche Yudhishthira
zum Besitzer eines Weltreiches wird. Nun kann das Königsweiheopfer
vollzogen werden, das mit großem Prunk gefeiert wird. Zahlreiche
Könige, auch die Kauravas, sind dazu
eingeladen. Zum Schluß des Opfers werden Ehrengaben verteilt. Auf
Vorschlag des Bhîshma soll Krshna
die erste Ehrengabe erhalten. Dagegen lehnt sich Shishupâla,
König von Cedi, auf. Infolgedessen kommt
es zu einem Streite, der damit endet, daß Shishupâla
von Krshna getötet wird.
Nach beendetem Opfer verabschieden
sich die fremden Könige. Auch Krshna
kehrt wieder in seine Heimat zurück. Nur Duryodhana
und sein Oheim Shakuni verweilen noch
einige Zeit im Palaste der Pândavas.
Bei der Besichtigung des wunderbaren Gebäudes widerfährt dem
Duryodhana allerlei Mißgeschick. So
hält er eine Kristallflache für einen Teich und zieht sich aus,
um zu baden, während er einen künstlichen Teich für festes
Land hält und zu einem unfreiwilligen Bad kommt, worüber Bhîma
und Arjuna in lautes Lachen ausbrechen. Dieser
Spott kränkte den ohnehin von Neid erfüllten Duryodhana
aufs tießte. Mit den bittersten Gefühlen des Neides und
des Hasses verabschiedet er sich von seinen Vettern und kehrt nach Hastinâpura
zurück.
Das
Würfelspiel.
In bitteren Worten klagt Duryodhana
dem Oheim Shakuni sein Leid. Nicht
ertragen könne er die Schmach, seine Feinde solche Triumphe feiern
zu sehen; und da er keine Mittel und Wege sehe, den Pândavas
beizukommen, werde er durch Feuer, Gift oder Wasser seinem Leben
ein Ende machen. Da macht Shakuni den Vorschlag,
es solle ein Würfelspiel veranstaltet und Yudhishthira
dazu eingeladen werden; er, Shakuni, der ein
gewandter Spieler sei, werde dem Yudhishthira
leicht sein ganzes Reich abgewinnen. Sogleich begeben sie sich zu dem alten
König Dhrtarâshtra,
um dessen Zustimmung zu dem Plane
— 288
—
zu erlangen. Dieser will zwar anfangs
nichts davon wissen und will sich jedenfalls erst mit seinem weisen Bruder
Vidura beraten; aber da Duryodhana
ihm vorhält, daß Vidura immer
nur die Partei der Pândavas ergreife,
läßt sich schließlich der alte, schwache König überreden
und ordnet das Würfelspiel an. Den Vidura selbst
schickt er als Boten zu Yudhishthira,
um diesen zum Spiele einzuladen. Vidura warnt
den König und verhehlt ihm nicht, dals er befürchte, es werde
großes Unheil aus diesem Würfelspiel entstehen. Diese Besorgnis
hat auch Dhrtarâshtra selbst,
aber er glaubt, dem Schicksal seinen Lauf lassen zu müssen. So begibt
sich denn Vidura an den Hof des Königs
Yudhishthira, um die Einladung zum
Würfelspiel zu überbringen. Auch dieser beruft sich auf die unwiderstehliche
Macht des Schicksals, indem er der Einladung, wenn auch widerwillig, Folge
leistet. Und begleitet von seinen Brüdern und Draupadî
mit den übrigen Frauen des Haushaltes, macht er sich auf den Weg nach
Hastinâpura. Im Palaste des Dhrtarâshtra
werden die Gäste von den Verwandten freundlich begrüßt
und mit großen Ehren aufgenommen.
Am nächsten Morgen begeben
sich Yudhishthira und seine Brüder
in die Spielhalle, wo bereits die Kauravas versammelt
sind. Shakuni fordert den Yudhishthira
zum Spiel heraus, dieser macht einen Einsatz — und verliert. Und nacheinander
setzt er alle seine Schätze und Reichtümer an Gold und Edelsteinen
ein, seinen Prachtwagen, seine Sklavinnen und Sklaven, Elefanten, Wagen
und Rosse — und jedesmal verliert er. Da wendet sich Vidura
an Dhrtarâshtra und
rät ihm, sich von seinem Sohn Duryodhana,
der den Untergang der ganzen Familie herbeiführen werde, loszusagen
und die Fortsetzung des Spieles zu verbieten. Nun fällt Duryodhana
mit den heftigsten Schmähungen über Vidura
her, den er einen Verräter schilt — eine Schlange, welche die
Kauravas an ihrem Busen genährt —, denn
stets spreche er nur zugunsten ihrer Feinde. Vidura
wendet sich vergebens an Dhrtarâshtra.
Shakuni aber fragt den Yudhishthira
mit Hohn, ob er noch etwas einzusetzen habe. Yudhishthira
ist nun von wilder Spielleidenschaft ergriffen und setzt seine ganze Habe,
seine Rinder und all sein Vieh ein, seine Stadt, sein Land und sein ganzes
Reich — und verspielt alles. Auch die Prinzen, dann die Brüder Nakula
und Sahadeva setzt er ein und verliert
sie. Von Shakuni gereizt, läßt
er sich auch verleiten, Arjuna und Bhîma
einzusetzen und auch diese verliert er. Endlich macht er sich selbst zum
Einsatz, und wieder gewinnt Shakuni. Höhnend
bemerkt Shakuni, Yudhishthira
habe schlecht daran getan, sich selbst zum Einsatz zu machen, er habe ja
noch einen Schatz, um den er spielen könne — Draupadî,
die Pañcâlakönigstochter.
Und zum Entsetzen aller anwesenden Alten 1) — des
Bhîshma,
1) Es ist sehr beachtenswert,
daß diese Unparteiischen und Wohlgesinnten es ruhig hinnehmen, daß
Yudhishthira seine Brüder und
sich selbst verspielt, während es ihnen als etwas Ungeheuerliches
erscheint, daß er die gemeinsame Gattin einsetzt.
— 289 —
des Drona,
des Krpa und des Vidura
— erklärt Yudhishthira,
um die schöne Draupadî als Einsatz
spielen zu wollen. Unter allgemeiner Aufregung fallen die Würfel —
und abermals hat Shakuni gewonnen.
Lachend fordert Duryodhana
den Vidura auf, die Draupadî
herbeizubringen, damit sie die Zimmer fege und sich zu den Mägden
geselle. Vidura weist ihn zurecht und warnt
ihn, daß er durch sein Benehmen nur den Untergang der Kauravas
heraufbeschwöre; Draupadî
sei auch gar nicht zur Sklavin geworden, denn Yudhishthira
habe sie erst eingesetzt, als er schon nicht mehr Herr über sich selbst
gewesen. Da sendet Duryodhana einen Sûta
als Boten zu Draupadî, um sie zu holen.
Diese läßt fragen, ob Yudhishthira
zuerst sich selbst oder sie verspielt habe. Duryodhana
sendet die Antwort: sie möge in die Spielhalle kommen und selbst
diese Frage stellen. Da sie sich weigert und den Boten immer wieder unverrichleter
Sache zurückschickt, fordert Duryodhana seinen
Bruder Dushshâsana auf, sie mit Gewalt
herbeizubringen. Dieser begibt sich in das Frauengemach, und bald bringt
er die sich sträubende Draupadî
— die unwohl und daher nur mit dürftigern Gewande bekleidet ist —
bei den Haaren in die Versammlung geschleppt. Bitter klagt sie, daß
keiner, nicht einmal Bhîshma und
Drona, sich ihrer annehme, und einen
verzweifelten Blick wirft sie auf die Pândavas.
Diesen aber bereitete der Verlust ihrer Habe und ihrer Herrschaft nicht
solchen Schmerz, wie dieser von Scham und Zorn erfüllte Blick der
Draupadî. Da kann Bhîma
nicht länger an sich halten, er macht dem Yudhishthira
heftige Vorwürfe, daß er die Draupadî
eingesetzt, und will sich schon an ihm vergreifen. Arjuna
aber weist ihn zurecht: Yudhishthira
müsse immer als der Älteste anerkannt und geachtet werden. Nun
fordert Vikarna, einer der jüngsten
Brüder des Duryodhana, die Versammelten
auf, die Frage der Draupadî, ob sie
rechtens verspielt sei, zu beantworten. Und da alle schweigen, verneint
er selbst die Frage. Karna aber erklärt
dagegen, die Kauravas hätten alles gewonnen,
und deshalb gehöre ihnen auch die Gattin der Pândavas.
Sogar die Kleider müsse man den Pândavas
sowohl als auch der Draupadî
abnehmen, denn auch diese seien ihnen abgewonnen. Und die Pândavas
legen ihre Oberkleider ab, während Dushshâsana,
dem Winke des Karna folgend,
sich daran macht, der Draupadî ihr Gewand
vom Leibe zu reißen. Sie aber betet zu Gott Vishnu,
der bewirkt, daß sie immer bekleidet bleibt, so oft ihr auch Dushshâsana
die Hülle entreißt. Bhîma
aber spricht den fürchterlichen Eid aus:
»Höret dieses mein Wort,
ihr Krieger aller Welt, ein Wort, wie es nie vorher von Männern gesprochen
worden, wie es nie wieder ein Mann sprechen wird. Nie möge ich zur
Stätte meiner Ahnen gelangen, wenn ich nicht erfülle, was ich
gesprochen, — wenn ich nicht im Kampfe aufreiße die Brust und trinke
das Blut dieses bösen, törichten Auswürflings der Bhâratas.«
Entsetzen ergreift alle Krieger und
Helden bei diesen fürchterlichen Worten. Doch vergebens mahnt Vidura
die Anwesenden an
— 290 —
ihre Pflicht, die Rechtsfrage zu
entscheiden, ob Draupadî von den Kauravas
gewonnen sei oder nicht. Vergebens jammert und weint Draupadî
und fordert ihre Verwandten auf, ihre Frage zu beantworten. Selbst der
fromme und rechtskundige Bhîshma weiß
nichts weiter zu sagen, als daß das Recht eine heikle Sache sei,
und daß in dieser Welt Macht vor Recht gehe. Yudhishthira
sei ja ein Muster von Gerechtigkeit, er möge selbst entscheiden. Höhnisch
fordert auch Duryodhana den Yudhishthira
auf, seine Meinung zu sagen, ob er Draupadî
für gewonnen erachte oder nicht. Und da Yudhishthira
wie geistesabwesend dasitzt und nichts antwortet, läßt sich
Duryodhana zu der unerhörtesten Schmähung
der Pândavas hinreißen:
er entblößt seinen linken Schenkel vor den Augen der Draupadi.
Da spricht Bhîma die schrecklichen Worte:
»Nie soll Bhîma mit seinen Vätern
vereinigt werden, wenn ich dir nicht in der Schlacht diesen Schenkel mit
der Keule zerschmettere.«
Während noch weitere Reden
gewechselt werden, hört man im Hause des Dhrtarâshtra
das laute Schreien eines Schakals und andere unheilverkündende
Vorzeichen. Durch diese erschreckt, fühlt sich endlich der alte König
Dhrtarâshtra veranlaßt,
einzugreifen. In heftigen Worten tadelt er den Duryodhana.
Dann besänftigt er die Draupadî
und stellt ihr einen Wunsch frei. Sie wählt sich die Freiheit ihres
Gatten Yudhishthira. Er gewährt
ihr einen zweiten Wunsch, und sie wählt die Freilassung der übrigen
vier Pândavas. Als er ihr aber
noch einen dritten Wunsch freistellt, sagt sie, daß sie nun nichts
mehr zu wünschen habe, denn die Pândavas
würden, sobald sie nur frei geworden, selbst gewinnen, was
sie brauchten. Karna aber spottet nun:
Draupadî sei das Boot geworden, auf
welchem die Pândavas sich aus
der Gefahr gerettet hätten. Bhîma
entbrennt in Wut und zweifelt, ob er nicht die Kauravas
auf der Stelle niederschlagen soll. Arjuna
aber besänftigt ihn, und Yudhishthira
verbietet jeden Streit. Der König Dhrtarâshtra
aber gibt dem Yudhishthira sein
Königreich zurück und ermahnt ihn, alles Vergangene vergessen
sein zu lassen. So kehren sie denn beruhigt wieder nach Indraprastha
zurück.
Das
zweite Würfelspiel und die Verbannung der Pândavas.
Kaum aber haben sich die Pândavas
entfernt, so bestürmen Duryodhana,
Dushshâsana und Shakuni
wieder den alten König, halten ihm vor, welche Gefahr den Kauravas
von Seiten der nun so schwer beleidigten Pândavas
drohe, und überreden ihn, zu einem neuen Würfelspiel seine
Zustimmung zu geben. Diesmal soll derjenige, welcher verliert, auf zwölf
Jahre in die Verbannung in den Wald gehen, sich im dreizehnten Jahre irgendwo
unter Menschen unerkannt aufhalten und erst im vierzehnten Jahre wieder
zurückkehren dürfen. Sollte er aber im dreizehnten Jahre erkannt
werden, so müßte er abermals auf zwölf Jahre in die Verbannung
gehen. Vergebens be-
— 291
—
müht sich Gândhârî,
des Königs Gattin, diesen zu überreden, dals er sich von seinem
bösen Sohne Duryodhana lossage, um nicht
an dem Untergange aller Kauravas schuldig
zu werden. Verblendet gibt er seine Zustimmung; und ein Bote wird abgeschickt,
der die Pândavas noch auf ihrem
Heimwege trifft Vom Schicksal verwirrt, leistet Yudhishthira
der Aufforderung zum abermaligen Würfelspiel Folge. Alle kehren sie
wieder zurück, das Spiel beginnt von neuem, und er verliert wieder.
Nun müssen sie auf dreizehn Jahre in die Verbannung ziehen.
In Antilopenfelle gekleidet, schicken
sich die Pândavas an, in den
Wald zu gehen. Duryodhana und Dushshâsana
triumphieren und machen sich über sie lustig. Bhîma
aber schleudert ihnen beiden furchtbare Drohworte zu. Wie Duryodhana
ihre Herzen mit spitzen Worten durchbohre, so werde er dessen Herz
in der Schlacht durchbohren. Und noch einmal schwört er, das Blut
des Dushshâsana zu trinken. Arjuna
verspricht den Karna, Sahadeva,
den Shakuni, und Nakula,
die übrigen Söhne des Dhrtarâshtra
zu töten, Yudhishthira
aber nimmt von Dhrtarâshtra,
Bhîshma,und den übrigen
Kauravas, am herzlichsten aber von dem weisen
und guten Vidura Abschied. Die Mutter der
Pândavas, Kuntî,
bleibt im Hause des Vidura zurück. Draupadî
aber folgt den Gatten in die Verbannung, und rührend ist der
Abschied, den sie von ihrer Schwiegermutter nimmt. Mit tränenvollen
Klagen sieht Kuntî ihre Kinder in die
Verbannung ziehen. Diese aber, mit Ausnahme des sanften Yudhishthira,
geloben alle, im vierzehnten Jahre blutige Rache an den Kauravas
zu nehmen. Unglück bedeutende Vorzeichen und die prophetischen
Worte des Himmelsboten Nârada künden
dem König Dhrtarâshtra den
Untergang seines Geschlechtes an, und er empfindet bittere Reue darüber,
daß er seine Zustimmung zum Würfelspiel und zur Verbannung gegeben
1).
Das
zwölfjährige Waldleben der Pândavas
2).
Zahlreiche Bürger von Hastinâpura
gaben den Pândavas das
Geleite in den Wald, und es kostete dem Yudhishthira
einige Mühe, sie zur Rückkehr zu bewegen. Mehrere Brahmanen aber
blieben längere Zeit bei ihm. Um sie ernähren zu können,
übte er Askese und betete zu dem Sonnengott, worauf er von diesem
einen kupfernen Kochtopf erhielt, der sich auf Wunsch von selbst füllte.
Damit speiste er die Brahmanen und zog dann weiter nach Norden zu in den
Kâmyakawald. Dem menschenfressenden
Râkshasa Kirmîra, einem
Bruder Bakas und Freund Hidimbas,
der diesen Wald unsicher machte, wurde von Bhîma
bald der Garaus gemacht.
Mittlerweile hatte Dhrtarâshtra
eine Unterredung mit Vidura. Dieser
1) Hier endet das
Sabhâparvan, das zweite Buch.
2) Dieses bildet
den Inhalt des umfangreichen dritten Buches, Vanaparvan
(»Waldabschnitt«) genannt.
— 292 —
rät dem König, die Pândavas
aus der Verbannung zurückzurufen und sich mit ihnen zu versöhnen.
Dhrtarâshtra ist erzürnt
darüber, daß Vidura stets die Partei
der Pândavas ergreife, und entläßt
ihn ungnädig mit den Worten, er möge hingehen, wohin er wolle.
Vidura begibt sich zu den Pândavas
in den Kâmyakawald und erzählt
ihnen das Vorgefallene. Sehr bald aber bereut der alte König seine
Heftigkeit, und er sendet den Wagenlenker Sañjaya,
um seinen Bruder Vidura wieder zurückrufen
zu lassen. Dieser kehrt denn auch alsbald zurück, und es findet wieder
eine völlige Versöhnung zwischen den beiden Brüdern statt.
Als die Freunde und Verwandten der
Pândavas von deren Verbannung
hörten, kamen sie zu ihnen in den Wald, um sie zu besuchen. Einer
der ersten war natürlich Krshna.
Als das Würfelspiel stattfand, war er gerade in einen Krieg verwickelt
gewesen, weshalb er seinen Freunden nicht beistehen konnte. Wäre er
bei ihnen gewesen, so hätte er das Spiel gewiß verhindert. Auf
den Vorschlag des Krshna aber, den
Duryodhana zu bekriegen und den Yudhishthira
wieder in die Herrschaft einzusetzen, will Yudhishthira
nicht eingehen, trotzdem Draupadî in
bitteren Worten über die ihr von den Kauravas
angetane Schmach klagt. Wiederholt bestürmen auch später
Draupadî und Pândavas
den Yudhishthira, er möge
sich aufraffen und sich mit Gewalt seines Thrones wieder bemächtigen.
Yudhishthira erklärt aber immer
wieder, er müsse seinem gegebenen Worte treu bleiben und zwölf
Jahre im Walde zubringen. Bhîma wirft
ihm Unmännlichkeit vor; des Kriegers erste Pflicht sei der Kampf.
Dreizehn Monate seien bereits verflossen, Yudhishthira
möge sie für dreizehn Jahre ansehen, oder er könne den Wortbruch
auch durch ein Sühneopfer wieder gut machen. Da wendet Yudhishthira
auch ein, daß Duryodhana an Bhîshma,
Drona, Krpa
und Karna mächtige und
unüberwindliche Bundesgenossen habe. In dem Augenblicke erscheint
wieder einmal der alte Rshi Vyâsa und
verleiht dem Yudhishthira einen Zauber,
mit Hilfe dessen Arjuna von den Göttern
himmlische Waffen erlangen werde, die ihnen zum Sieg über die Kauravas
helfen würden. So sendet denn bald darauf Yudhishthira
den Arjuna zu Indra,
damit er sich die himmlischen Waffen verschaffe. Arjuna
wandert in den Himâlaya, wo ihm
Indra in Gestalt eines Asketen begegnet. Dieser
schickt ihn zu Shiva, der erst die Erlaubnis
zur Ausfolgung der Waffen an Arjuna geben
müsse. Da übt Arjuna große
Askese, worauf ihm Shiva in Gestalt eines
Kirâta, eines wilden Bergbewohners,
erscheint. Arjuna läßt sich in
einen heftigen Kampf mit dem vermeintlichen Kirâta
ein, bis dieser sich als Gott Shiva entpuppt
und ihn mit unwiderstehlichen Waffen beschenkt. Auch die Welthüter
Yama, Varuna
und Kubera erscheinen alsbald und verleihen
ihm ihre Waffen. Mâtali aber, Indras
Wagenlenker, führt ihn in die himmlische Stadt des Indra,
wo er noch mehr Waffen erhält. In Indras Himmel
lebt er fünf Jahre lang sehr vergnügt. Ein Gandharva
gibt ihm hier auf Indras Befehl Unterricht
in Gesang und Tanz.
— 293 —
Unterdessen leben die übrigen
Pândavas im Walde von der Jagd
und ernähren sich kümmerlich von wilden Tieren,Wurzeln und Früchten.
Da Arjuna so lange fern bleibt, sind sie sehr
besorgt um ihn. Wohl kommt der Rshi Lomasha,
der zufällig in Indras Himmel einen Besuch
gemacht hat, zu ihnen und tröstet sie, daß Arjuna
wohlbehalten bei Indra weile. Aber
sie sind doch nicht beruhigt und machen sich auf, Arjuna
zu suchen. Sie wandern in das Gandhamâdanagebirge,
wo sie durch einen furchtbaren Sturm und ein gewaltiges Gewitter sehr erschreckt
werden. Draupadî wird vor Schrecken
und Müdigkeit ohnmächtig. Da denkt Bhîma
an seinen Sohn Ghatotkaca, den er mit
der Riesin Hidimbâ gezeugt; und
dieser Râkshasa erscheint sofort
und nimmt Draupadî auf den Rücken;
er ruft auch andere Râkshasas herbei,
welche die Pândavas auf den Rücken
nehmen, und so werden sie alle bis zu einer Einsiedelei an dem Ganges in
der Nähe des Götterberges Kailâsa
getragen, wo sie unter einem mächtigen Badarîbaum
Aufenthalt nehmen.
Da Draupadî
ein Verlangen nach himmlischen Lotusblumen hat, durchstreift Bhîma
die Bergeswildnis — zum Schrecken der wilden Tiere. Denn er erschlägt
einen wilden Elefanten mit dem andern, einen Löwen mit dem andern,
wenn er sie nicht einfach mit einem Schlage seiner Faust tötet. Hier
trifft er auch den Affenkönig Hanumat,
der ihm den Weg versperrt und ihn warnt, nicht weiter zu gehen, wo nur
die Unsterblichen gehen könnten. Bhîma
aber sagt ihm, mit wem er es zu tun habe, und heißt ihn aus dem Wege
gehen. Der Affe rührt sich nicht, gibt vor, krank zu sein und sagt,
Bhîma möge: nur seinen Schwanz
beiseite schieben, um vorbeizukommen. Vergebens versucht nun Bhîma,
den Schwanz des Affen aufzuheben. Da gibt sich ihm dieser lächelnd
als der »aus dem Râmâyana
rühmlichst bekannte« 1) Hanumat
zu erkennen. Bhîma ist nun sehr
erfreut, seinen Bruder — beide sind nämlich Söhne des Windgottes
— zu sehen und läßt sich mit ihm in eine Unterhaltung ein. Schließlich
zeigt Hanumat dem Bhîma
den Weg zu Kuberas Garten, warnt ihn aber,
dort Blumen zu pflücken, worauf sie herzlichen Abschied voneinander
nehmen. Bald darauf kommt Bhîma zum
Lotusteiche und Garten des Kubera,
wo die Himmlischen Lotusse wachsen. Râkshasas
stellen sich ihm entgegen und verbieten ihm,
Blumen zu nehmen; er müsse jedenfalls den Kubera erst um Erlaubnis
bitten. Bhîma erwidert:
Ein Krieger bittet nicht, sondern nimmt sich, was er will. Er kämpft
mit den Râkshasas,
schlägt sie in die Flucht und pflückt die Blumen.
Unter verschiedenen
Abenteuern und Kämpfen mit Râkshasas
kommt das fünfte jahr heran, in welchem
Arjuna vom Himmel
zurückkehren soll. Um ihn zu treffen, begeben sich die Brüder
auf den »weißen Berg« (den Götterberg Kailâsa).
Wieder gerät Bhîma in einen Kampf
mit Yakshas und Râkshasas,
Wächtern von Kuberas Garten, und er-
1) So spricht von
ihm Bhîma Mahâbh.III,147,11.
Hanumat gibt hier einen kurzen Auszug aus
dem Râmâyana.
— 294 —
schlägt viele von ihnen, unter
anderen auch den Manimat, der einmal
dem heiligen Rshi Agastya auf den Kopf
gespuckt hatte, wofür Kubera von dem
Rshi verflucht wurde. Durch die Tat
des Bhîma ist nun Kubera
von dem Fluche befreit. Darum ist er dem Bhîma
wegen des unter den Dämonen angerichteten Blutbades auch gar
nicht böse, sondern begrüßt ihn und seine Brüder sehr
freundlich.
Auf dem herrlichen Berge treffen
sie endlich wieder mit Arjuna zusammen, der
in Indras Wagen, den Mâtali
lenkt, herangefahren kommt. Nach herzlichster Begrüßung
erzählt ihnen Arjuna alle seine Erlebnisse
und Abenteuer, insbesondere auch, wie er mit den am Meere wohnenden Nivâtakavaca-Dämonen
und den Bewohnern der durch die Luft fliegenden Stadt Hiranyapura
siegreich gekämpft hat.
Die Pândavas
leben nun vergnügt in den Lusthainen des Kubera
und verbringen vier Jahre wie eine einzige Nacht. Um aber nicht
von ihren irdischen Sorgen und Kämpfen abgelenkt zu werden, beschließen
sie, die himmlischen Regionen zu verlassen. Nachdem sie vom Kailâsa
herabgestiegen, begeben sie sich in die Berge und Wälder an
der Jamnâ.
Hier erlebte Bhîma
ein unangenehmes Abenteuer, wobei ihm Yudhishthira
das Leben rettete. Im Walde herumstreifend, erblickt er eine ungeheuere
Schlange, welche sich wütend auf ihn stürzt und ihn fest umschlingt,
so daß er sich nicht losmachen kann. So findet ihn sein Bruder Yudhishthira..
Die Schlange aber ist niemand anders als der berühmte alte König
Nahusha, der infolge eines Fluches
des Agastya aus dem Himmel hinausgeworfen
und in eine Schlange verwandelt worden ist. Von dem Fluche aber soll er
nicht früher befreit werden, bis er jemand findet, der alle von ihm
gestellten Fragen beantwortet. Yudhishthira
beantwortet ihm seine philosophischen Fragen zur Zufriedenheit, worauf
er den Bhîma losläßt und
selbst, vom Schlangenzustand befreit, wieder in den Himmel zurückkehrt.
Bald darauf begeben sie sich wieder
in den Kâmyakawald. Hier empfangen sie
abermals den Besuch des Krshna. Er
bringt der Draupadî erwünschte
Nachricht über ihre Kinder und fordert den Yudhishthira
auf, sich Bundesgenossen für den Kampf mit den Kauravas
zu sichern und sonstige Vorbereitungen für den Krieg zu treffen.
Yudhishthira aber versichert wie immer,
daß er seinem gegebenen Wort treu bleiben und vor Ablauf des dreizehnten
Jahres nicht an Kampf denken wolle.
Häufig erhalten die Pândavas
im Walde auch Besuche von frommen Brahmanen. Einer von diesen begibt
sich von den Pândavas an den
Hof des Königs Dhrtarâshtra
und erzählt dort, wie sehr schlecht es den Pândavas
und besonders der Draupadî im
Kampfe mit Wind und Wetter in der Wildnis ergehe. Während der alte
König darüber voll Reue jammert, freut sich sein Sohn Duryodhana
herzlich. Und von Shakuni und Karna
angestachelt, beschließt er, die Pândavas
im Walde zu besuchen, um sich an ihrem Elend zu weiden. Dem Dhrtarâshtra
gegenüber wird die Ausrede gebraucht, daß sie die in
— 295 —
der Nähe des Waldes befindlichen
Viehstationen besuchen müßten, um die Herden zu besichtigen,
das Vieh zu zählen und die jungen Kälber zu bezeichnen. Mit großem
Troß ziehen sie aus, besorgen die Besichtigung der Rinder und ergeben
sich dem Vergnügen der Jagd. Wie sie aber in die Nähe des Aufenthaltsortes
der Pândavas gelangen wollen,
werden sie von Gandharvas aufgehalten. Es
kommt zu einem Kampfe, in welchem Duryodhana vom
Gandharvakönig schmählich gefangen
genommen wird. Die Kauravas eilen zu den Pândavas
um Hilfe, die der edle Yudhishthira
nicht versagt. Nach heftigem Kampfe wird Duryodhana
durch die Pândavas aus
der Gefangenschaft des Gandharvakönigs
befreit. Voll Scham und Schmerz über diese Demütigung will sich
Duryodhana das Leben nehmen. Nur mit Mühe
gelingt es seinen Freunden, ihn von seinen Selbstmordgedanken abzubringen.
Karna
hat nun einen neuen Plan, um die Pândavas
zu ärgern. Er unternimmt einen großen Eroberungszug in alle
vier Weltgegenden, um für Duryodhana
die Weltherrschaft zu erringen, damit auch
er ein großes Königsopfer feiern könne. Nach dem siegreich
vollendeten Eroberungszug wird in der Tat ein großes Opfer gefeiert;
da aber ein Râjasûyaopfer
in einer und derselben Familie nur einmal dargebracht werden kann und Yudhishthira
schon ein solches vollzogen hat, ist es ein
anderes Opfer, Vaishnava genannt,
welches nur der Gott Vishnu selbst
dargebracht haben soll. Um die Pândavas
zu kränken, lädt Duryodhana
sie zu diesem großen Opferfeste ein. Yudhishthira
lehnt höflich ab, während Bhîma
durch den Boten sagen läßt, die
Pândavas würden
nach dem dreizehnten Jahre im Opfer der Schlacht das Opferschmalz ihres
Zornes über die Kauravas ausgießen.
Im letzten Jahre ihres Waldaufenthaltes
drohte den Pândavas noch ein
großer Verlust. Als eines Tages sämtliche Brüder auf der
Jagd waren, wurde ihre Gattin Draupadî,
die allein zurückgeblieben war, von dem vorüberkommenden König
der Sindhus, Jayadratha,
geraubt. Die Pândavas verfolgen
ihn alsbald, er wird besiegt und von Arjuna und
Bhîma gezüchtigt und gedemütigt.
Bhîma hätte ihn gerne getötet,
aber Yudhishthira schenkt ihm, da er
ein Schwiegersohn des Dhrtarâshtra
ist, das Leben.
Über den Raub der Draupadî
sind die Pândavas sehr betrübt.
Sie fühlen sich, trotzdem Jayadratha bestraft
worden ist, doch gedemütigt. Yudhishthira
namentlich ist oft in trüber Stimmung, macht sich wohl auch Vorwürfe
wegen des von ihm verschuldeten Unglücks und beklagt insbesondere
das traurige Los der Draupadî. Von den
Kauravas aber fürchtet Yudhishthira
keinen so sehr als den Karna, der mit
einem natürlichen Panzer und mit Ohrringen, die ihn unverletzlich
machen, auf die Welt gekommen ist. Um den Yudhishthira
von seiner Angst vor Karna zu befreien,
erscheint Indra in Gestalt eines Brahmanen
vor Karna und bettelt ihm den Panzer
und die Ohrringe ab. Karna, der einem
Brahmanen nichts abschlagen kann, gibt ihm Panzer und Ohrringe, die er
sich, ohne mit einer Wimper zu
— 296 —
zucken, vom Leibe schneidet. Als
Gegengabe schenkt ihm Indra einen nie fehlenden
Speer, den er aber nur gegen einen einzigen Feind und nur bei höchster
Gefahr gebrauchen darf.
Mißmutig wegen des Raubes
der Draupadî verließen die Pândavas
den Kâmyakawald und begaben sich
in den Dvaitavana. Dort erlebten sie ihr letztes
Waldabenteuer. Eine im Walde herumstreifende Antilope
fängt zufällig mit ihrem Geweih die Feuerreibhölzer
eines Brahmanen auf und eilt davon. Der Brahmane, der die Hölzer zum
Opfer braucht, bittet die Pândavas,
sie ihm zu verschaffen, und diese verfolgen das Tier in heißer Jagd,
können es aber nicht erjagen, und zuletzt verschwindet es. Sie klagen
über ihr Mißgeschick. Matt von der erfolglosen Jagd und vom
Durst gequält, sehen sie sich nach Wasser um. Nakula
steigt auf einen Baum und sieht einen Teich in der Ferne. Von Yudhishthira
aufgefordert, begibt er sich dahin, um in den Köchern Wasser zu holen.
Er kommt zu einem lieblichen, von Kranichen umgebenen Teich mit schönem,
klarem Wasser. Wie er aber trinken will, spricht ein unsichtbarer Geist
(Yaksha) aus den Lüften: »Verübe
keine Gewalttat, Freund, dies ist mein Besitz; erst beantworte meine Fragen,
dann trink und nimm Wasser!« Nakula aber kehrt sich nicht an diese
Worte, trinkt und sinkt leblos zu Boden. Da er so lange nicht zurückkommt,
geht Sahadeva, ihn zu suchen; ihm aber ergeht
es ebenso. Nun schickt Yudhishthira
den Arjuna, dem es nicht besser ergeht, und
schließlich den Bhîma, der vergebens
mit dem unsichtbaren Yaksha kämpfen
will. Auch er trinkt aus dem Teiche und fällt leblos hin. Nichts Gutes
ahnend, geht endlich Yudhishthira hin,
um nach den Brüdern zu sehen. Entsetzt sieht er sie alle tot daliegen
und bricht in Klagen und Jammern aus. Wie er aber auf den Teich zugeht,
hört er auch schon die Stimme des Geistes, der ihn warnt zu trinken,
bevor er seine Fragen beantwortet. Yudhishthira
erklärt sich bereit, die Fragen zu beantworten, und es folgt nun ein
höchst interessantes Frage- und Antwortspiel, in welchem — von einigen
Rätseln im Stile der alten vedischen Brahmodyas
1) abgesehen — fast die ganze indische Sittenlehre
vorgetragen wird. Nur ein paar Proben seien hier angeführt:
»Der Yaksha:
Was wiegt mehr als die Erde? Was ist höher als der Himmel?
Was ist schneller als der Wind?
Was ist zahlreicher als das Gras?
Yudhishthira:
Die Mutter wiegt mehr als die Erde. Der Vater ist höher als der Himmel.
Der Geist ist schneller als der
Wind. Die Gedanken sind zahlreicher als das Gras.«
»Der Yaksha:
Wer ist des Reisenden Freund? Wer ist der Freund des zu Hause Weilenden?
Wer ist der Freund des Kranken?
Wer ist des Sterbenden Freund?
1) Vgl. oben S.160
f. Das dort aus Vâjasaneyi-Samhita XXIII, 45 f. zitierte
Rätsel kehrt hier (Mahâbh.III,313,65 f.) wieder.
— 297 —
Yudhishthira:
Eine Karawane ist der Freund des Reisenden. Die Gattin
ist der Freund des zu Hause Weilenden.
Der Arzt ist der Freund des
Kranken. Mildtätigkeit ist der Freund des Sterbenden.«
»Der Yaksha:
Wer ist der schwer zu besiegende Feind und welches
die endlose Krankheit?
Welcher Mensch gilt für gut,
und welcher für schlecht?
Yudhishthira:
Der Zorn ist der schwer zu besiegende Feind. Gier ist die endlose Krankheit.
Wer gegen alle Wesen freundlich
ist, der gilt als gut; als böse, wer kein Erbarmen kennt.«
»Der Yaksha:
Was wird, o König, Verblendung genannt, und was heißt Stolz?
Was versteht man unter Trägheit,
und was heißt Leid?
Yudhishthira:
Verblendetsein in bezug auf Moral 1) ist Verblendung;
das Stolzsein auf sich selbst heißt Stolz.
Untätigkeit in bezug auf Moral
ist Trägheit, und wahres Leid ist die Unwissenheit.«
»Der Yaksha:
Was wird von den Rshis Festigkeit genannt,
und was wird als Tapferkeit bezeichnet?
Was nennt man das beste Bad?
Was heißt Mildtätigkeit?
Yudhishthira:
Festsein in der Erfüllung seiner Pflicht ist Festigkeit; Tapferkeit
heißt Bezähmung der Sinne.
Das beste Bad ist Befreiung vom
Geistesschmutz; Mildtätigkeit aber besteht darin, daß man allen
Wesen Schutz gewährt.«
»Der Yaksha:
Sage mir, o König, worin, wenn man's recht bedenkt, besteht die Brahmanenschaft,
in der Abstammung, im Lebenswandel,
im Vedalesen oder in der Gelehrsamkeit?
Yudhishthira:
Höre, mein lieber Yaksha!
Weder die Abstammung, noch das Vedalesen,
noch die Gelehrsamkeit sind der
Grund der Brahmanenschaft,
sondern nur ein guter Lebenswandel
— darüber kann kein Zweifel sein.
Mehr als auf alles andere muß
der Brahmane streng auf seinen Lebenswandel achten;
solange sein guter Lebenswandel
ungeschwächt ist, ist er selber ungeschwächt;
ist es mit seinem guten Lebenswandel
aus, so ist es mit ihm aus.
Die da lernen und die da lehren
und die über die Wissenschaften nachsinnen —
Toren sind sie alle, wenn sie den
Leidenschaften frönen.
Wer seine Pflicht tut, der ist ein
Weiser.
Ein Bösewicht, wenn er auch
alle vier Vedas kennt, überragt einen
Shûdra nicht.
Wer auch nur das Feueropfer darbringt,
aber seine Sinne bezähmt,
der gilt als ein Brahmane«
2).
1) Es gibt im Deutschen
kein Wort, welches sich mit dem Sanskritwort Dharma
ganz decken würde. Dharma bedeutet
»die Norm des Handelns«, und schließt die Begriffe »Recht
und Sitte; Moral und Religion, Pflicht und Tugend« ein. Es ist daher
unmöglich, das Wort überall in gleicherweise zu übersetzen.
Vgl. oben S. 272.
2) III, 313. Ähnliche
Definitionen des »Brahmanen« sind in buddhistischen Texten
häufig. Vgl. z.B. Vinayapitaka,
Mahâvagga I,2,2 f. Suttanipâta,
Vâsetthasutta und Milindapañha
IV,5,26.
— 298 —
Der Yaksha
ist von den Antworten des Yudhishthira
so befriedigt,, dals er einen von seinen Brüdern wieder zum Leben
zurückrufen will. Yudhishthira
möge sich wählen, welcher von den vier Brüdern wieder lebendig
werden solle. Er wählt den Nakula und
begründet dies damit, daß sein Vater zwei Frauen gehabt habe
und es nur recht und billig sei, daß auch ein Sohn der Mâdrî,
der zweiten Frau, lebe. Die Antwort befriedigt den Yaksha
so sehr, daß er ihm alle seine Brüder wieder lebendig
macht. Der Yaksha ist aber in Wirklichkeit
niemand anders als Gott Dharma selbst, der
»Vater« 1) des Yudhishthira,
der Gott des Rechts und der Moral. Bevor er verschwindet, gewährt
er den Pândavas noch die Gnade,
daß sie im dreizehnten Jahre unerkannt bleiben sollen. Denn die zwölf
Jahre des Waldlebens sind jetzt vorüber; und sie müssen nun noch
der Verabredung gemäß das dreizehnte Jahr unerkannt unter Menschen
verleben.
Die
Pândavas am Hofe des Königs
Virâta 2).
Die Pândavas
beschließen, an den Hof des Virâta,
des Königs der Matsyas, zu gehen und
sich dort unter falschen Namen in angemessenen Verkleidungen einzuführen.
Ihre Waffen verbergen sie in der Nähe des Friedhofes vor der Stadt
auf einem Baum, auf welchen sie einen Leichnam hängen, damit niemand
sich in die Nähe wage; den Hirten, welche ihnen dabei zusehen, sagen
sie, das sei ihre hundertachtzig Jahre alte Mutter, welche sie nach Vätersitte
in der Weise bestatteten. Yudhishthira
geht nun zuerst zu Virâta, gibt sich
für einen ausgezeichneten Würfelspieler aus und wird von diesem
zu seinem Gesellschafter und Vertrauten gemacht. Dann kommen der Reihe
nach die andern. Bhîma verdingt sich
als Koch. Arjuna unter dem weiblichen Namen
Brhannalâ, gibt sich als. Eunuch
aus und wird als Tanzmeister der Königstochter Uttarâ
angestellt. Nakula wird als Rossezähmer,
Sahadeva als Rinderaufseher aufgenommen, während
Draupadî von der Königin zu ihrer
Kammerzofe gemacht wird.
Die Pândavas
machen sich bald bei Virâta sehr
beliebt, namentlich da sich Pândavas
einmal durch Tötung des weitberühmten Athleten Jimûta
in einem zu Ehren des Gottes Brahman veranstalteten
Ringkampfe ausgezeichnet hat.
Ein unliebsames Abenteuer erlebte
aber Draupadî. Der Feldherr Kîcaka,
ein Schwager des Königs, verliebt sich in die schöne Kammerzofe
und stellt ihr nach. Draupadî hatte
aber gleich, als sie von der Königin aufgenommen wurde, vorgegeben,
sie sei die Gemahlin von fünf Gandharvas,
welche sie im Notfalle beschützen würden. Durch das Versprechen
eines Stelldicheins lockt nun Draupadî
ihren Verfolger in finsterer Nacht in den Tanzsaal, wo Bhîma
auf ihn lauert
1) Siehe oben S. 276.
2) Die Erlebnisse
am Hofe des Virâta bilden den Inhalt
des vierten Buches, Virâtaparvan genannt.
— 299
—
und ihn nach gewaltigem Ringen erwürgt.
Darauf ruft Draupadî die Wächter
herbei und erzählt, daß einer ihrer Gandharvas
den Kîcaka, weil er sie mit Liebesanträgen
verfolgt, getötet habe. Die mächtigen Verwandten des Kîcaka
wollen mit dem Leichnam desselben die Zofe verbrennen; aber wieder
kommt Bhîma zu Hilfe, tötet, für
einen Gandharva gehalten, 105 Sûtas
(Kîcaka ist nämlich ein Sûta)
und befreit Draupadî. Da verlangen die
Bürger der Stadt, daß die durch ihre Gandharvas
so gefährliche Kammerzofe weggeschickt werde, wozu denn auch
der König den Auftrag gibt. Draupadî aber
bittet die Königin, noch dreizehn Tage bleiben zu dürfen, dann
würden die Gandharvas sie abholen. (In
dreizehn Tagen ist nämlich das dreizehnte Jahr abgelaufen.)
Vergebens hat Duryodhana
Spione ausgeschickt, um den Aufenthaltsort der Pândavas
ausfindig zu machen. Die Spione bringen nur die Nachricht, daß
Kîcaka von Gandharvas
erschlagen worden sei, was dem Duryodhana
immerhin ganz angenehm ist, da die Matsyas
ein feindliches Volk sind. Kîcaka hatte
auch oft den König der Trigartas, Susharman,
bedrängt. Nun verabreden sich die Trigartas
mit den Kauravas, gemeinsam.einen Einfall
in das Land der Matsyas zu unternehmen. Gerade
wie das dreizehnte Jahr der Verbannung zu Ende geht, kommt die Nachricht,
daß die Trigartas eingefallen sind und
das Vieh des Königs Virâta geraubt
haben. Virâta rüstet zum Kampfe,
stattet auch Yudhishthira, Bhîma,
Nakula und Sahadeva
mit Waffen aus und zieht gegen die Trigartas
zu Felde. Es kommt zu einer gewaltigen Schlacht. Virâta
wird gefangen genommen, aber alsbald von Bhîma
befreit, und schließlich werden die Trigartas
— dank der Beihilfe der Pândavas,
die trotzdem unerkannt bleiben — geschlagen.
Während Virâta
mit den Trigartas kämpft, machen
die Kauravas von einer andern Seite her einen
Einfall ins Matsyaland und rauben viel Vieh.
Die Kuhhirten kommen zu dem jungen Prinzen Uttara,
der in der Stadt zurückgeblieben ist, und fordern ihn auf, gegen die
Kauravas zu Felde zu ziehen. Er hat aber keinen
Wagenlenker. Da veranlaßt ihn Draupadî
durch Vermittlung der Prinzessin, den Arjuna
zum Wagenlenker zu nehmen. Er bekommt eine Rüstung, und sie
ziehen in den Kampf. Als Uttara die gewaltigen
Scharen der Kauravas sieht, bekommt er Angst,
springt vom Wagen und will fliehen. Arjuna aber
fängt ihn wieder ein, schleppt ihn bei den Haaren auf den Wagen und
spricht ihm Mut zu. Dann fahren sie zu dem Baum, auf welchem die Waffen
verborgen sind, und Arjuna holt sich seine
Waffen. Da er sich dem Uttara schließlich
als der gewaltige Held Arjuna zu erkennen
gibt, faßt dieser wieder Mut. Uttara wird
jetzt der Wagenlenker des Arjuna. Nun kommt
es zu einer gewaltigen Schlacht, in welcher Arjuna
mit Duryodhana, Karna,
Bhîshma und den übrigen
Helden der Kauravas kämpft und natürlich
einen glänzenden Sieg davonträgt. Die Kauravas
schöpften zwar Verdacht, daß sie es mit Arjuna
zu tun hätten, haben ihn aber doch nicht erkannt.
Nach gewonnenem Sieg schafft
Arjuna die Waffen wieder zu
— 300 —
dem Baum zurück und kommt als
Tanzmeister Brhannalâ und Uttaras
Wagenlenker in die Stadt, nachdem er dem Uttara
eingeschärft hat, daß er ihn nicht verraten dürfe.
Mittlerweile sind Virâta und die Pândavas
nach Besiegung der Trigartas zurückgekehrt.
Der König ist sehr besorgt, da er hört, sein Sohn sei gegen die
Kauravas gezogen. Aber bald kommt die Nachricht
von dem Siege. Im Triumph wird Uttara empfangen.
Dieser erzählt, nicht er habe die Kauravas geschlagen,
sondern ein Gott in Gestalt eines schönen Jünglings habe ihm
geholfen. Drei Tage später ist das dreizehnte Jahr zu Ende. Zur Überraschung
des Königs erscheinen die fünf Pândavas
in ihrer wahren Gestalt in der Halle und geben sich zu erkennen.
Virâta ist sehr erfreut und bietet sogleich
dem Arjuna seine Tochter als Gemahlin an.
Dieser aber nimmt sie nicht für sich, sondern für seinen Sohn
Abhîmanyu an. Denn dadurch, daß
er sie zu seiner Schwiegertochter mache, bezeuge er, daß sie,
trotzdem er ein Jahr lang mit -ihr_. in so naher Berührung gelebt
habe, rein geblieben sei. Mit großem Pomp wird bald auch die Hochzeit
des Abhimanyu mit der Uttara
gefeiert, zu welcher zahlreiche Könige, selbstverständlich
auch Drupada und Krshna,
mit reichen Geschenken herbeikommen.
Friedensverhandlungen
und Kriegsvorbereitungen 1).
Bei diesem Hochzeitsfeste beraten
die Pândavas und ihre Freunde
darüber, wie man sich nun gegenüber den Kauravas
verhalten solle. Krshna macht
den Vorschlag, man möge einen Gesandten zu Duryodhana
schicken, um ihn aufzufordern, daß er den Pândavas
wieder ihr halbes Königreich zurückgebe. In längerer
Beratung wird denn auch beschlossen, den alten Familienpriester des Königs
Drupada als Gesandten zu den Kauravas
zu senden.
Ehe aber noch die Verhandlungen
beginnen, trachten sowohl die Pândavas
als auch die Kauravas möglichst
viele Bundesgenossen zu werben. Und um einige mächtige Könige
bemühen sich beide Parteien zugleich. So sucht Duryodhana
selbst den Krshna, den wir bisher
nur als intimen Freund der Pândavas
kennen gelernt haben, auf seine Seite zu bringen. Ein Zufall fügt
es, daß Duryodhana zu Krshna
kommt, während dieser gerade schläft, und daß unmittelbar
nach ihm Arjuna eintrifft. Als Krshna
erwacht, fällt sein Blick zuerst auf Arjuna.
Da also Duryodhana zuerst gekommen, Arjuna
aber zuerst von ihm erblickt worden ist, glaubt Krshna,
keinen von beiden abschlägig bescheiden zu dürfen, und er erklärt,
daß er dem einen von ihnen mit seinem Rat beistehen, dem andern eine
Armee von Hirten zur Verfügung stellen wolle. Duryodhana
wählt das letztere, Arjuna das
erstere. Darum verspricht Krshna, sich
am Kampfe nicht direkt zu beteiligen, sondern nur als Wagenlenker des Arjuna
den Pândavas als Berater
zur Seite
1) Diese bilden den
Inhalt des fünften Buches (Udyogaparvan).
— 301
—
zu stehen. Auch Shalya,
der König der Madras, der sich, von einer
Kriegerschar begleitet, schon auf dem Wege zu Yudhishthira
befindet, um sich ihm anzuschließen, wird von Duryodhana
aufgefordert, sich auf die Seite der Kauravas
zu schlagen. Shalya geht darauf ein,
begibt sich aber dennoch zu Yudhishthira.
Und dieser, der sonst stets als ein wahrer Tugendbold dargestellt wird,
verabredet mit Shalya eine schändliche
Verräterei. Shalya soll nämlich
auf Seiten der Kauravas kämpfen, aber
als Wagenlenker des Karna, wenn es
zum Zweikampf zwischen diesem und Arjuna kommt,
den Wagen schlecht lenken und den Karna dadurch
zu Falle bringen.
Während so auf beiden Seiten
schon an den Krieg gedacht wird, kommt Drupadas hochbetagter
Priester als Gesandter zum König Dhrtarâshtra,
dem er die Friedensbedingungen der Pândavas
überbringt. Der König empfängt ihn sehr würdig,
gibt ihm aber keine entscheidende Antwort, sondern sagt, er werde selbst
seinen Wagenlenker Sañjaya als Gesandten
zu Yudhishthira senden. Das tut er
in einigen Tagen; doch bringt Sañjaya nur
die Botschaft, daß Dhrtarâshtra
den Frieden wolle, ohne den Pândavas
etwas anzubieten. Darauf sendet Yudhishthira
die Antwort zurück: Entweder müsse er Indraprastha
und das halbe Königreich zurückbekommen, oder es solle
der Kampf beginnen. Ja, er erklärt sich sogar bereit, um nur das Blutvergießen
zwischen Verwandten zu vermeiden, den Frieden anzunehmen, wenn ihm Duryodhana
nur fünf Dörfer zur Verfügung stelle. Über diese
von Sañjaya überbrachte Antwort
verhandeln nun die Kauravas. Bhîshma,
Drona und Vidura
bemühen sich vergebens, den Duryodhana
zur Nachgiebigkeit und zum Frieden zu überreden. Da Dhrtarâshtra
sich ganz schwach und machtlos zeigt, wird auch diese Beratung resultatlos
abgebrochen.
Auch die Pândavas
beraten noch einmal über den Frieden, und Krshna
macht sich erbötig, noch einen Versuch zu machen und selbst als Friedensbote
zu den Kauravas zu gehen. Die Pândavas
nehmen dieses Anerbieten dankbar an. Selbst der trotzige Bhîma
spricht in Worten, deren Milde so überraschend ist, »wie wenn
die Berge leicht und das Feuer kalt geworden wäre«, für
den Frieden, so daß selbst Krshna
erstaunt ist. Hingegen wollen einige der Helden, insbesondere aber die
Heldengattin Draupadî, von Friedensverhandlungen
nichts wissen, sondern möchten am liebsten sofort den Krieg ankündigen.
Yudhishthira aber besteht auf der Friedenssendung.
Er gedenkt in zärtlichen Worten der Mutter Kuntî
und bittet den Krshna, sie,
die ja bei Vidura am Hofe der Kauravas
wohnt, zu besuchen und nach ihrem Wohlergehen zu befragen.
Von Segenswünschen begleitet,
begibt sich Krshna zu den Kauravas.
Er wird von Dhrtarâshtra glänzend
empfangen, nimmt aber nur die Gastfreundschaft des Vidura
an. Er besucht auch sogleich Kuntî und
bestellt die Grüße von Yudhishthira.
In bitteren Worten klagt die Heldenmutter über die Trennung von ihren
Söhnen. Aber noch schmerzlicher empfindet sie die Schmach, die man
der Draupadî an-
— 302
getan, und sie wirft dem Yudhishthira
Schwäche vor. Sie trägt dem Krshna
auf, ihren Söhnen zu sagen, daß sie ihrer Kriegerpflicht nicht
vergessen und nicht zögern sollten, ihr Leben aufs Spiel zu setzen.
Der Zeitpunkt sei jetzt gekommen, »um dessen willen eine Kriegerfrau
Kinder zur Welt bringt«. Am nächsten Morgen geht nun Krshna
in festlichem Aufzuge in die Versammlung der Kauravafürsten
und hält dort eine Friedensrede. Dhrtarâshtra
erklärt, daß er selber zwar nur den Frieden wolle, aber
gegen seinen Sohn Duryodhana nichts auszurichten
vermöge. Da richtet Krshna seine
Friedensmahnungen an Duryodhana, und auch
Bhîshma, Drona
und Vidura tun ihr möglichstes,
um Duryodhana zur Annahme der Friedensbedingungen
zu bewegen. Dieser erklärt aber, nicht einmal so viel Land, als einer
Nadel Spitze bedeckt, den Pândavas abtreten
zu wollen. Nachdem er zornig die Versammlung verlassen, macht Krshna
den Vorschlag, die Wohlgesinnten unter den Kauravas
sollten Duryodhana und seine Genossen
den Pândavas gefangen ausliefern.
Darauf geht Dhrtarâshtra gar
nicht ein; aber er schickt um seine Frau Gândhârî,
damit diese den Versuch mache, den widerspenstigen Sohn zum Frieden zu
bewegen. Gândhârî kommt
und macht dem alten König heftige Vorwürfe, daß er die
Herrschaft seinem Sohne abgetreten. Die Ermahnungen aber, die sie an Duryodhana
richtet, sind ebenso fruchtlos wie die der andern. Im Gegenteile,
Duryodhana und seine Genossen hecken den Plan
aus, den Krshna gefangen zu nehmen,
um sich so eines mächtigen Feindes zu entledigen. Der Plan bleibt
aber nicht verborgen, und Duryodhana wird
von Dhrtarâshtra und Vidura
wegen dieser geplanten Verletzung des Gesandtenrechts scharf zurechtgewiesen.
Nachdem noch Bhîshma und Drona
vergebens zum Frieden gemahnt, muß auch diese Friedensgesandtschaft
des Krshna als mißglückt
angesehen werden.
Ehe Krshna
abreist, hat er noch eine geheime Unterredung mit Karna.
Dieser tapfere Held gilt allgemein als der Sohn eines Wagenlenkers (Sûta).
Es wird aber erzählt, daß er in Wirklichkeit von Sûrya,
dem Sonnengott, mit der Kunti, als diese noch
eine Jungfrau war, auf wunderbare Weise, ohne daß ihre Jungfernschaft
dabei zu Schaden gekommen wäre, gezeugt worden sei. Nachdem sie aber
den Karna geboren, schämte sie
sich und setzte den Knaben in einem wasserdichten Körbchen im Flusse
aus. Dort fand ihn ein Wagenlenker und zog ihn auf. So ist Karna
eigentlich ein älterer Bruder der Pândavas.
Darauf weist Krshna hin und sucht ihn
zu überreden, daß er sich des Thrones bemächtige und den
Yudhishthira als jüngeren Bruder
zum Thronfolger einsetze, womit die Pândavas
einverstanden sein würden. Karna
will aber von einem solchen Verrat an seinem Freund Duryodhana
nichts wissen. Auch als Kunti, unterstützt
von Sûrya selbst, ihm in ähnlicher
Weise zuredet, zu den Pândavas überzugehen,
antwortet ihr Karna nur mit harten
Worten: sie sei ihm nie eine gute Mutter gewesen, so wolle er auch jetzt
nicht ihr Sohn sein.
Unverrichteter Sache kehrt also
Krshna wieder zu den Pândavas
zurück und berichtet über seine vergeblichen Versuche,
den Frieden
— 303 —
herzustellen. Wildes Kampfgeschrei
ertönt, da Krshna erzählt,
daß man ihn sogar gefangen nehmen wollte. Auf beiden Seiten werden
nun eifrig Kriegsvorbereitungen getroffen. Die Pândavas
wählen den Dhrstadyumna,
Sohn des Königs Drupada, die Kauravas
den Bhîshma zum Oberfeldherrn.
Die Schlachtreihen werden aufgestellt und geordnet. Bhîshma
zählt dem Duryodhana die Helden
nach ihrem Range als Wagenkämpfer auf, wobei er den Karna
niedriger stellt als alle andern Helden und ihn dadurch tödlich
beleidigt. Karna schwört, er werde
an dem Kampfe nicht früher teilnehmen, als bis Bhîshma
gefallen sei. Darauf zählt Bhîshma
die Haupthelden der Pândavas
auf und erklärt, daß er mit allen kämpfen wolle,
nur nicht mit Sikhandin. Dieser ist nämlich
als Mädchen, als Tochter des Drupada,
zur Welt gekommen und erst später dadurch, daß ein Yaksha
sein Geschlecht mit ihr tauschte, in einen Mann verwandelt worden
1). Bhîshma sieht
aber in diesem Krieger noch immer das Weib, und mit einem Weibe kämpft
er nicht.
Nach Beendigung der Kriegsvorbereitungen
wird Ulûka, der Sohn eines Spielers,
von den Kauravas mit einer Kriegserklärung
in Form von Schmähreden in das Lager der Pândavas
geschickt, welche ihn mit nicht minder schmähenden und trotzigen
Worten zurücksenden. Darauf marschieren die beiden Heere nach Kurukshetra.
Die
große achtzehntägige Schlacht 2).
In unendlichen Reihen scharen sich
die beiden Heere mit ihren Hilfstruppen zu beiden Seiten des großen
Kurufeldes. Losungsworte und Abzeichen werden
festgesetzt, durch welche der Freund vom Feind unterschieden werden kann.
Sodann werden zwischen den Kämpfenden völkerrechtliche Vereinbarungen
getroffen: Nur ebenbürtige Gegner und solche von derselben Waffengattung
sollen miteinander kämpfen; Wagenkämpfer nur mit Wagenkämpfern,
Elefantenkämpfer mit Elefantenkämpfern, Reiter mit Reitern, Fußsoldaten
mit Fußsoldaten; niemand soll kämpfen, ohne den Gegner vorher
zum Kampfe herausgefordert zu haben; diejenigen, welche sich ergeben haben
oder kampfunfähig sind, ebenso die Flüchtlinge sollen nicht getötet
werden; Kutscher, Lasttiere, Waffenträger und Musikanten sollen ebenfalls
verschont werden.
Vor Beginn der Schlacht erscheint
noch der heilige Vyâsa und verleiht
Sañjaya, dem Wagenlenker des Königs
Dhrtarâshtra, die Gabe,
alle Vorgänge auf dem Schlachtfelde zu schauen. Er macht ihn auch
unverwundbar, so daß er dem alten blinden Könige täglich
Bericht erstatten könne. Und dadurch, daß die nun
folgenden Kampf-
1) Über diese
und ähnliche Geschlechtsverwandlungen in der Märchenlitteratur
vgl. Th. Benfey, Das Pantschatantra, I,S.41 ff.
2) Das sechste Buch
(Bhîshmaparvan) beginnt hier
und endet mit dem Fall des Feldherrn Bhîshma.
— 304 —
schilderungen dem Sañjaya
den Mund gelegt werden, der sie wie ein Augenzeuge berichtet, erhalten
sie etwas ungemein Lebendiges.
Der greise Bhîshma,
der Großonkel sowohl der Kauravas als
der Pândavas, befehligt die Heere
der Kauravas an den ersten zehn Schlachttagen.
In feuriger Rede fordert er die Krieger zum tapferen Kampfe auf: »Das
große Tor zum Himmel steht heute weit offen, ihr Krieger! Zieht ein
durch dieses Tor zur Welt des Indra und des
Brahman! . . . Unrecht ist es für den
Krieger, zu Hause an einer Krankheit zu sterben; in der Schlacht den Tod
zu finden, das ist des Kriegers ewige Pflicht.« 1)
So ziehen sie mutig in die Schlacht, und in glänzendem Schmuck der
Waffen und der Rüstungen stehen die beiden Heere einander gegenüber.
Donnerndes Kriegsgeschrei und dröhnende
Schlachtmusik geben das Zeichen zum Beginn des Kampfes. Und in furchtbarem
Ringen begegnen sich Kauravas und Pândavas
— ohne jede Rücksicht auf Verwandtschaft: Der Vater kennt nicht
den Sohn, der Bruder nicht den Bruder, der Oheim nicht den Schwestersohn,
der Freund nicht den Freund. Elefanten richten schreckliche Verheerungen
an und ein blutiges Gemetzel findet statt. Bald dieser, bald jener Held
tut sich im Einzelkampf hervor; bald ist der Sieg auf Seite der Pândavas,
bald auf der der Kauravas. Wenn aber die Nacht
hereinbricht, ziehen sich die Kämpfenden zurück, und erst am
folgenden Morgen werden die Heere in neuer Schlachtordnung aufgestellt,
und der Kampf beginnt von neuem. Wiederholt stoßen Bhîshma
und Arjuna aufeinander, und beide kämpfen
so tapfer, daß Götter und Dämonen verwundert dem Kampfe
zusehen. So oft es aber den Kauravas schlecht
geht, macht Duryodhana dem Bhîshma
Vorwürfe, daß er zu rücksichtsvoll gegen die Pândavas
kämpfe; und wenn die Pândavas
Verluste erleiden, wirft Krshna
dem Arjuna vor, daß er sein Geschoß
nicht gegen Bhîshma richte. Zahlreiche
Brüder des Duryodhana sind schon im Kampfe
gefallen. Da erhebt wieder Duryodhana gegen
Bhîshma den Vorwurf, daß
er den Pândavas gegenüber
zu viel Erbarmen zeige. Er solle die Feinde besiegen oder den Oberbefehl
an Karna abtreten. Von Schmerz und
Zorn übermannt, verspricht Bhîshma,
am nächsten Tage schonungslos gegen alle — Sikhandin,
der ein Weib gewesen, ausgenommen — zu kämpfen. »Schlaf ruhig,
Sohn der Gândhârî«,
sagt er 2), »morgen werde ich eine große
Schlacht schlagen, von der die Menschen erzählen werden, solange die
Erde steht.« Und in der Tat erleiden am neunten Tage der Schlacht
die Pândavas große Verluste.
Bhîshma wütet wie der Todesgott
im Heere der Feinde, während Arjuna,
der den Bhîshma immer noch als
»Großvater« 3) verehrt, allzu rücksichtsvoll
kämpft. Da Krshna
1) VI,17,8 ff.
2) VI,99,23.
3) So wird der Großonkel
Bhîshma von den Pândusöhnen
meistens genannt.
— 305 —
dies bemerkt, stürzt er sich
selbst auf Bhîshma, um ihn zu
töten, aber Arjuna hält ihn gewaltsam
zurück, indem er ihn an sein Gelöbnis, nicht kämpfen zu
wollen, erinnert. Von Bhîshma in
wilde Flucht geschlagen, kehren die Krieger der Pândavas
bei hereinbrechender Nacht ins Lager zurück.
Die Nacht benutzen die Pândavas
zu einer Beratung. Da sie wissen, daß Bhîshma
gegen Sikhandin nicht kämpfen
wolle, beschließen sie 1), am nächsten
Tage diesen dem Bhîshma gegenüberzustellen;
hinter dem Sikhandin verborgen, solle aber
Arjuna auf Bhîshma
seine Pfeile richten. Nur ungern entschließt sich Arjuna
zu diesem Verrat, und mit Schmerz und Scham denkt er daran, daß
er als Knabe auf dem Schoße des Bhîshma
gespielt und ihn »Väterchen« geheißen. Aber
Krshna weiß ihn zu überreden,
daß nur er allein den Bhîshma
überwinden könne, und daß er nur seine Kriegerpflicht
erfülle, wenn er den mächtigen Gegner töte.
So bricht der Morgen des zehnten
Schlachttages heran, und Sikhandin wird von
den Pândavas
ins Vordertreffen gestellt, während die Kauravas
mit Bhîshma an der Spitze
heranrücken. Den ganzen Tag wogt um Bhîshma
herum der Kampf zwischen Pândavas
und Kauravas. Tausende und Tausende
sinken auf beiden Seiten in den Staub. Endlich gelingt es Sikhandin,
hinter dem Arjuna sich verborgen hält,
an Bhîshma heranzukommen. Lächelnd
erwartet dieser die Pfeile des Sikhandin,
ohne sich gegen ihn zu verteidigen. So wütend aber auch der letztere
seine Geschosse auf Bhîshma richtet
— sie können diesem nichts anhaben. Bald aber beginnt Arjuna,
hinter Sikhandin verborgen, Pfeil auf Pfeil
gegen den Heldengreis zu schießen. Und zu dem neben ihm kämpfenden
Dushshâsana gewandt, sagt Bhîshma:
»Diese Pfeile, die wie Yamas Boten meine
Lebensgeister schier vernichten, sind nicht Sikhandins
Pfeile; diese Pfeile, die wie wütende, giftstrotzende Schlangen
züngelnd in meine Glieder fahren — sind nicht Sikhandins
Pfeile, sie sind Arjunas Geschoß«
2). Noch rafft er sich auf und sendet einen Pfeil
gegen Arjuna, den dieser
1) Im alten Gedicht
ist es wahrscheinlich Krshna gewesen,
der diesen Rat gegeben hat. Die Darstellung in unserem jetzigen Mahâbhârata
ist geradezu absurd. Die Pândusöhne
begeben sich nämlich in nachtschlafender Zeit ins feindliche Lager
zu Bhîshma und fragen ihn ganz
naiv, wie sie ihn am besten umbringen könnten. Bhîshma
gibt ihnen dann selbst den Rat, ihm den Sikhandin,
hinter dem Arjuna kämpfen soll, gegenüberzustellen.
So wird am Anfang des Gesanges VI,107 erzählt; in der Mitte desselben
Gesanges stehen die schönen Reden, in denen Arjuna
voll Zärtlichkeit seines »Großvaters« Bhîshma
gedenkt, der ihn als Kind auf den Knien geschaukelt; und am Ende
desselben Gesanges ist es derselbe Arjuna,
der mit dem Plane hervortritt, den Bhîshma
auf so unehrliche Weise zu töten. Vgl, Ad. Holtzmann, Das Mahâbhârata
II,172 f.
2) VI,119,63 f.
— 306 —
aber auffängt und in drei Stücke
zersplittert. Dann nimmt er Schwert und Schild, um sich zu wehren. Arjuna
aber zerschmettert ihm den: Schild in hundert Stücke. Da gibt
Yudhishthira den Seinen Befehl, gegen
Bhîshma loszugehen, und von allen
Seiten stürzen sich die Pândavas
auf den allein stehenden Krieger, bis er endlich, aus unzähligen
Wunden blutend — kurz vor Sonnenuntergang — vom Wagen stürzt 1).
So viele Pfeile aber stecken von allen Seiten in seinem Körper, daß
er im Falle den Boden nicht berührt, sondern auf einem Bett von Pfeilen
ruht.
Laut ist der Jubel unter den Pândavas,
grenzenlos der Jammer im Lager der Kauravas.
Zu Ehren des gefallenen Helden, der beiden kämpfenden Parteien so
nahe gestanden, wird aber ein Waffenstillstand vereinbart. Und sowohl Pândavas
als Kauravas stehen, von Bewunderung
und Trauer erfüllt, um den sterbenden Helden. Er begrüßt
die Krieger und will zu ihnen sprechen. Matt hängt das Haupt des Sterbenden
herunter. Er bittet um ein Polster. Man eilt, feine Polster herbeizuholen.
Lächelnd weist er sie zurück. Da nimmt Arjuna
drei Pfeile aus seinem Köcher und stützt mit ihnen das
Haupt des Bhîshma, der zufrieden
erklärt, das habe er gewollt, das sei ein rechtes Heldenlager. Der
Sterbende richtet in eindringlichen Worten an Duryodhana
die Mahnung, Frieden zu schließen: »Laß diese
Schlacht mit meinem Tode enden, mein Sohn,« mahnt er, »mache
Frieden mit den Pândavas.«
Aber gleich einem Todkranken, der die Medizin verweigert, weist Duryodhana
des Bhîshma weisen Rat
zurück.
Auch der trotzige, aber edle Karna
kommt herbei, um dem sterbenden Helden seine Verehrung zu bezeigen. Mit
brechendem Auge umarmt ihn der Greis mit einer Hand und mahnt auch ihn
zum Frieden mit den Pândavas,
um so mehr, da er ja als Sohn der Kuntî deren
Bruder sei. Aber Karna erklärt,
dem Duryodhana die Treue wahren und seiner
Kriegerpflicht im Kampfe gegen die Pândavas
genügen zu müssen. Er könne nicht anders. Und versöhnt
gibt Bhîshma dem tapferen Krieger
die Erlaubnis zu kämpfen, so schmerzlich es ihm auch ist, daß
all sein Bemühen um den Frieden vergebens gewesen 2).
1) Mit dieser Schilderung
(VI, 120, 58 ff.) steht die alberne Erzählung (VI,116), wo Bhîshma
dem Yudhishthira mitten in der
Schlacht erklärt, er sei lebensmüde, worauf dieser — mit billigem
Mut — die Seinen zum Kampf gegen den Helden auffordert, ebenso in Widerspruch
wie das kindische Märchen (VI,120,32 ff.), welches erzählt, wie
Vasus (göttliche Wesen) und Rshis
am Himmel erscheinen und Bhîshmas Entschluß,
zu sterben, gutheißen. Das sind spätere Einfügungen, die
den doppelten Zweck verfolgen, die Pândavas
reinzuwaschen und den Bhîshma
selbst zu einem Halbgott zu machen. Im alten Gedicht war Bhîshma
gewiß nur ein gewaltiger Held, den die Pândavas
auf wenig ritterliche Art zu Falle gebracht haben.
2) Im alten Gedicht
hat Bhîshma; nach seinem Fall
gewiß nicht länger gelebt, als nötig war, um noch einige
Worte an Duryodhana
— 307
—
und Karna
zu richten. Unser Mahâbhârata
erzählt die wunderliche Geschichte, daß Bhîshma
beim südlichen Gang der Sonne, d.h. im Halbjahr vor dem Wintersolstitium,
gefallen sei, aber seinen Tod bis zum nördlichen Gang der Sonne (uttarâyana),
d.h. zum Halbjahr vor dem Sommersolstitium, verschoben habe. Die Upanishads
lehren nämlich, daß die Seele, welche auf dem Götterpfad,.
zur Brahmanwelt geht, das uttarâyana
passieren muß (Chând.Up.V,10,1;
Brh.Up.VI,2,15). Daraus haben die
Theologen heräusgeklügelt, daß ein Heiliger oder Yogin,
der mit Brahman vereint sein will, im uttarâyana
sterben müsse. (So Bhagavadgîtâ
VIII,24.) Der Philosoph Shankara (zu Vedânta-sûtra
IV,2,20 f.) spricht bereits davon, daß Bhîshma
sich das uttarâyana zum
Sterben ausgewählt habe. Damals (8.Jahrh.n.Chr.) muß also bereits
die Geschichte von Bhîshmas Tod
so wie in unserem jetzigen Mahâbhârata
erzählt worden sein.
— 307 —
Nun da Bhîshma
gefallen ist, nimmt Karna wieder
an dem Kampfe teil, und auf seinen Vorschlag wird der alte Lehrer Drona
zum Oberfeldherrn geweiht 1). Unter seiner
Feldherrnschaft wird vom elften bis zum fünfzehnten Tage gekämpft.
Der dreizehnte Schlachttag bringt
ein trauriges Ereignis für die Pândavas.
Der jugendliche, aber tapfere Sohn des Arjuna,
Abhimanyu, wagt sich zu weit in die Reihen
der Feinde vor, wird durch den Sindhukönig
Jayadratha von seinen Beschützern getrennt
und von Dushshâsanas Sohn getötet.
Arjuna schwört, furchtbare Rache an dem
Mörder seines Sohnes, als den er den Jayadratha
bezeichnet, zu nehmen. Das Hauptereignis des vierzehnten Schlachttages
ist denn auch der Kampf des Arjuna mit Jayadratha,
der sich den ganzen Tag hinzieht und mit des letzteren Tod endet. Er fällt,
wie es Arjuna geschworen, bevor die Sonne
untergegangen ist. Zu gleicher Zeit hat Bhîma
im Heere der Kauravas gewütet
und zahlreiche Söhne des Dhrtarâshtra
getötet.
Aber nicht wie sonst wird an diesem
Tage mit dem Untergange der Sonne der Kampf unterbrochen. So erbittert
sind die Kämpfenden auf beiden Seiten, daß sie trotz der hereinbrechenden
Finsternis keine Pause eintreten lassen. Beim Scheine von Fackeln und Lampen
wird weiter gekämpft. Erstaunliche Kämpfe werden von einzelnen
Helden ausgefochten. Karna aber bedrängt
die Pândavas besonders hart,
und auf Anraten des Krshna wird der
Râkshasa Ghatotkaca gegen
Karna ausgesandt. Gewaltig ringt der
Held mit dem Riesenungetüm, und furchtbaren Schaden richtet der Râkshasa
im Heere der Kauravas an, bis er endlich
von Karna getötet wird. Noch im
Falle reißt aber der Riese Ghatotkaca
eine ganze Armee der Kauravas zu Boden
und erdrückt sie. Die Pândavas
sind über den Tod von Bhîmas Sohn
Ghatotkaca sehr betrübt — nur
Krshna jubelt. Karna
hat nämlich den ihm
1) Der Kampf unter
der Feldherrnschaft des Drona bildet
den Inhalt des siebenten Buches (Dronaparvan).
— 308
—
von Indra geschenkten Speer, den
er für Arjuna aufbewahrt hatte1),
gegen den Râkshasa verwendet.
Das hatte eben Krshna beabsichtigt.
Fort wütet der Kampf, bis die
Krieger beider Heere vom Schlaf übermannt werden. Nur mit Mühe
halten sich die pflichtgetreuesten Krieger aufrecht. Gar manche sinken
aber müde und schlaftrunken auf ihren Elefanten, Wagen und Pferden
hin, während andere gar blind vor Schlaf herumtaumeln und ihre eigenen
Freunde erschlagen. Da erbarmt sich Arjuna der
Krieger und gibt mit weithin schallender Stimme die Erlaubnis, eine Weile
dem Schlafe zu widmen. Freudig begrüßen auch die Feinde den
Vorschlag, und Götter und Menschen segnen Arjuna
für dieses Wort. Und mitten auf dem Schlachtfelde legen sich
Rosse, Elefanten und Krieger zum Schlummer nieder.
Von der dichterischen Schönheit
der hier geschilderten Nachtszene — der Stil erinnert zuweilen an die Lyrik
eines Kâlidâsa 2) — kann die folgende
wörtliche Prosaübersetzung einiger Verse nur eine schwache Vorstellung
geben.
»Von Schlaf übermannt,
verstummten da alle die großen Wagenkämpfer. Und sie legten
sich hin — die einen auf dem Rücken ihrer Pferde, andere im Wagenkasten,
wieder andere auf dem Nacken ihrer Elefanten, und viele auch streckten
sich auf den Erdboden hin. Mit ihren Waffen, mit Keulen, Schwertern, Streitäxten
und Lanzen, in voller Rüstung legten sie sich hin zum Schlaf, die
einen hier, die andern dort . . . Die Elefanten, die schwer atmend auf
der Erde lagen, sahen aus wie Bergeshügel, über welche Riesenschlangen
dahinzischten . . . Und dieses schlummernde Heer, wie es in Schlaf versenkt
bewußtlos dalag, glich einem wunderbaren Bilde, von einem geschickten
Künstler auf die Leinwand gemalt . . . Da ließ plötzlich
im Osten der erhabene Mond sein rötliches Licht erstrahlen . . . Im
Nu war die Erde von Licht erfüllt, und hinweg floh rasch die tiefe,
unergründliche Finsternis . . . Vor den Strahlen des Mondes aber erwachte
dieses Kriegerheer, wie ein Hain von hundertblättrigen Taglotosblumen
vor der Sonne Strahlen. Und wie die Meeresflut sich erhebt beim Leuchten
des Mondes, also erwachte diese See von Truppen beim Aufgang des Gestirns
der Nacht. Dann aber, o König, begann von neuem der Kampf zur Vernichtung
der Welt unter diesen Menschen, welche die höchste Himmelswelt ersehnten.«
3)
Und das blutige Ringen dauert ununterbrochen
fort bis zum Morgengrauen. Der fünfzehnte Schlachttag bricht heran. Die
Sonne zieht vom Osten herauf, und die Krieger beider Heere steigen von
ihren Rossen, Elefanten und Wagen: zum Sonnengott emporblickend,
1) Er durfte ihn nur
einmal anwenden, oben S.296.
2) Auch abgesehen
von einigen von einem späteren Kunstdichter eingefügten
Versen.
3) VII,185,37 ff.
— 309 —
verrichten
sie mit gefalteten Händen ihre Morgenandacht. Doch nur einen Augenblick
währt diese Unterbrechung, und weiter wütet der Kampf. Zwei
der hervorragendsten Helden, die Könige Drupada
und Virâta, fallen von Dronas
Hand. Vergebens bemühen sich die Pândavahelden,
diesen Recken zu Falle zu bringen. Ein erstaunlicher Zweikampf zwischen
Drona und Arjuna
— Lehrer und Schüler —, dem die Himmlischen selbst bewundernd
zusehen, führt zu keinem Ergebnis, da der Schüler dem Lehrer
in keiner seiner Waffenkünste nachsteht. Da ist es wieder Krshna,
der eine teuflische List ersinnt. Von ihm angestiftet, tötet Bhîma
einen Elefanten, der zufällig auf den Namen Ashvatthâman
hört, und ruft dann laut, auf Drona
zugehend, daß Ashvatthâman
— so heißt auch der Sohn des Drona
— getötet sei. Drona erschrickt,
glaubt aber die Nachricht noch nicht. Erst, da auch der durch seine Wahrheitsliebe
berühmte Yudhishthira, von Krshna
überredet, die Lüge wiederholt, muß Drona
sie glauben. Von Schmerz überwältigt, legt er die Waffen
beiseite und bleibt in tiefes Sinnen versunken stehen. Diesen Augenblick
benutzt Drupadas Sohn Dhrshtadyumna,
um dem fünfundachtzigjährigen Drona
den Kopf abzuschneiden. Umsonst ruft Arjuna,
der greise Lehrer dürfe nicht getötet werden. Dhrshtadyumna
hat die Tat vollbracht und den Kopf des Feldherrn unter die Kauravas
geworfen, die entsetzt die Flucht ergreifen. Nun erst erfährt
Ashvatthâman die Nachricht vom Tode
seines Vaters, und er schwört den Pañcâlas
und den Pândavas blutige
Rache.
Nach dem Falle des Drona
wird Karna zum Oberfeldherrn
der Kauravas gewählt. Unter ihm wird
nur zwei Tage gekämpft 1). Am sechzehnten Tage
der Schlacht verrichten Bhîma und Ashvatthâman,
Arjuna und Karna
Wunder der Tapferkeit, aber es kommt zu keiner Entscheidung. Am Morgen
des siebzehnten Schlachttages verlangt Karna,
daß ihm Shalya, der König der Madras,
als Wagenlenker gegeben werde, denn nur dann würde er dem Arjuna,
der an Krshna einen so vortrefflichen
Wagenlenker habe, gewachsen sein. Shalya sträubt
sich anfangs dagegen, daß er einem Niedrigeren Dienste leisten solle,
willigt aber schließlich unter der Bedingung ein, daß es ihm
gestattet sein müsse, vor Karna
zu reden, was er wolle. Von dieser Bedingung macht er nun weidlich Gebrauch.
Während er den Wagen des Karna
lenkt, überschüttet er diesen mit Spott und Hohn. Karna
bleibt ihm allerdings nichts schuldig, sondern zieht in beißenden
Worten gegen die Madras, das Volk des Shalya,
los, die er als falsch, heuchlerisch, trunksüchtig, der Unzucht und
der Blutschande ergeben schildert. Shalya wirft
dagegen dem Karna vor, daß die
Angas, über welche er herrsche,
ihre Weiber und Kinder ver-
1) Dieser Kampf bildet
den Inhalt des achten Buches (Karnaparvan).
— 310 —
kauften 1).
Endlich stellt Duryodhana den Frieden zwischen
den beiden wieder her, und sie ziehen in die Schlacht.
Während Arjuna
an Karna heranzukommen sucht,
richtet Bhîma ein furchtbares Blutbad
unter den Söhnen des Dhrtarâshtra
an, von denen er wieder viele tötet. Mit seiner wuchtigen Keule
schleudert er den Dushshâsana vom Wagen
herab, stürzt sich auf ihn, reißt ihm die Brust auf und trinkt
sein warmes Herzblut — wie er es einst geschworen 2).
Schaudernd weichen bei diesem Anblick die Feinde zurück. Mittlerweile
sind Arjuna und Karna
aneinander geraten, und es kommt zu einem furchtbaren Zweikampf, bei welchem
auch die Götter Partei ergreifen: Indra für
Arjuna, Sûrya
für Karna. Wie zwei wilde
Elefanten, die einander mit ihren Hauzähnen bearbeiten, überschütten
die beiden Helden einander mit ihren Pfeilen. Vergeblich bemüht sich
Arjuna, den Karna
zu Falle zu bringen. Da beginnt der Streitwagen des Karna
mit einem Rade in die Erde zu sinken 3). Karna
bemüht sich nun, den Wagen wieder herauszuziehen, und fordert den
Arjuna auf, mit Rücksicht auf das Kriegsrecht
den Kampf zu unterbrechen. Krshna aber
überredet den Arjuna, keine Rücksicht
zu nehmen. Und Arjuna, sonst das Muster der
Ritterlichkeit, tötet den Karna
meuchlings, während dieser noch mit seinem Wagen beschäftigt
ist. Vom Körper des Gefallenen strahlt ein Licht aus, und er behält
auch im Tode seine Schönheit.
Großer Jubel herrscht im Lager
der Pândavas, die Kauravas
aber fliehen voll Angst.
Nur mit Mühe gelingt es dem
Duryodhana, seine Truppen zu neuem Kampfe
zu sammeln und aufzumuntern. Shalya ist der
Oberfeldherr am achtzehnten Tage der Schlacht 4).
Yudhishthira ist dazu ausersehen, den
Zweikampf mit Shalya aufzunehmen. Nach langem
und heftigem Ringen wird um die Mittagzeit Shalya
von Yudhishthira getötet.
Die Kauravas fliehen. Nur Duryodhana
und Shakuni mit einer kleinen Schar
leisten noch verzweifelten Widerstand. Sahadeva tötet
den Shakuni. Arjuna
und Bhîma richten ein furchtbares
Gemetzel an. Das Heer der Kauravas ist nun
gänzlich vernichtet.
Duryodhana
flieht allein zu einem Teich, wo er sich verbirgt. Außer ihm
leben nur noch drei Helden: Krtavarman,
Krpa und Ashvatthâman.
Die Sonne ist bereits untergegangen. Öde und leer
1) Der ganze sehr
merkwürdige Abschnitt (VIII, 33—45) ist kulturgeschichtlich und ethnographisch
äußerst interessant.
2) Oben S.289.
3) Obwohl wir bereits
wissen (oben S.301), daß dies infolge einer Verräterei
des Shalya geschieht, wird die Sache hier
so dargestellt, als ob dem Karna
dieser Unfall infolge des Fluches eines von ihm beleidigten Brahmanen
zugestoßen wäre (VIII,42,41 und 90,81).
4) Dieser Schlachttag
bildet den Inhalt des neunten Buches (Shalyaparvan).
— 311
—
liegt das Lager der Kauravas
da. Die Pândavas suchen
den entflohenen Duryodhana und finden ihn
endlich. Yudhishthira fordert ihn zum
Zweikampf heraus. Duryodhana erklärt,
erst am nächsten Morgen kämpfen zu wollen: aus Müdigkeit,
nicht aus Furcht sei er zum Teiche geflohen. Yudhishthira
aber besteht darauf, daß sogleich gekämpft werden müsse,
und verspricht ihm, daß er König bleiben solle, wenn er auch
nur einen von ihnen töte. Bhîma
ist es, mit dem Duryodhana den Zweikampf aufnehmen
soll. Mit dem üblichen Wortgefecht wird der Keulenkampf eingeleitet.
Aus weiter Ferne kommt Baladeva, der Bruder
des Krshna, der sich an dem Kampfe
nicht beteiligt hatte, herbei, um dem Keulenkampf als Zuschauer beizuwohnen.
Auch die Götter blicken dem Schauspiel staunend und bewundernd zu.
Wie zwei Stiere mit ihren Hörnern aufeinander losgehen, so schlagen
die beiden Helden mit ihren Keulen aufeinander los. Blutüberströmt
kämpfen sie beide immer noch fort. Sie zerfleischen einander mit ihren
Keulen, wie zwei Katzen, die sich um ein Stück Fleisch balgen. Beide
vorrichten Wunder der Tapferkeit, und der Kampf bleibt unentschieden. Da
sagt Krshna zu Arjuna,
Bhîma werde, nie imstande sein, den
Duryodhana im ehrlichen Kampfe zu besiegen;
denn Bhîma sei zwar der stärkere,
Duryodhana aber der geschicktere Kämpfer.
Er erinnert ihn aber an die Worte des Bhîma,
wie dieser damals, als Draupadî beschimpft
wurde 1), gelobt habe, des Duryodhana
Schenkel zu zertrümmern. Da schlägt sich Arjuna
vor den Augen des Bhîma mit den
Händen auf den Schenkel. Bhîma versteht
diesen Wink — und während der Gegner einen Sprung macht, um zum Streiche
auszuholen, zerschmettert ihm Bhîma die
Schenkel, dals er zusammenbricht wie ein vom Sturm entwurzelter Baum. Baladeva
aber, der dem Kampfe zugesehen, schleudert zornige Worte gegen Bhîma,
da er unehrlich gekämpft, denn im ehrlichen Keulenkampfe sei es verboten,
den Gegner unterhalb des Nabels zu treffen. Mit Mühe hält ihn
sein Bruder Krshna davon ab, den Bhîma
zu züchtigen. Vergebens sucht aber Krshna
durch seine Sophistereien den Bruder zu überzeugen, daß Bhîma
recht gehandelt habe. Der ehrliche Baladeva besteigt
erzürnt seinen Wagen und fährt hinweg, indem er verheißt,
daß Bhîma stets als unehrlicher,
Duryodhana als ehrlicher Kämpfer in der
Welt bekannt sein werde.
Yudhishthira
sendet hierauf den Krshna nach Hastinâpura,
damit er den Dhrtarâshtra und
die Gândhârî tröste
und besänftige, was dieser so gut als möglich besorgt. Die Pândavas
beschließen, die Nacht außerhalb des Lagers am Ufer
eines Flusses zuzubringen.
Sobald Ashvatthâman
und seine beiden Genossen die Nachricht vom Falle des Duryodhana
gehört haben, eilen sie zum Kampfplatz und beklagen den Helden,
der mit zerschmetterten Schenkeln daliegt. Ashvatthâman
aber schwört, daß er alle Pañcâlas
vernichten werde,
1) Oben S.290.
— 312
—
worauf ihn der sterbende Duryodhana
noch feierlich zum Oberfeldherrn (man weiß nicht recht, wovon)
weiht.
Das
nächtliche Blutbad im Pândavalager
1).
Die drei überlebenden Helden
der Kauravas haben sich, nachdem sie von Duryodhana
Abschied genommen, in einiger Entfernung vom Schlachtfeld unter
einen Baum begeben, um die Nacht hier zuzubringen. Krpa
und Krtavarman sind eingeschlafen,
Ashvatthâman aber wird vom Zorn und
Rachedurst wachgehalten. Da sieht er, wie in den Zweigen des Baumes, unter
dem sie ruhen, eine Schar von Krähen nistet, und wie plötzlich
mitten in der Nacht eine fürchterlich aussehende Eule daherkommt und
alle die schlafenden Vögel tötet 2). Dieser
Anblick bringt ihn auf den Gedanken, die Feinde im Schlafe zu überfallen
und hinzumorden. Er weckt die beiden andern Helden und trägt ihnen
seinen Plan vor. Krpa sucht ihn davon
abzubringen, denn es sei unrecht, Schlafende und Wehrlose zu überfallen.
Ashvatthâman aber erwidert, die Pândavas
hätten längst »die Brücke des Rechts in hundert
Stücke gebrochen«; jetzt gelte nur das Gebot der Rache, und
kein Mensch werde ihn hindern, seinen Vorsatz auszuführen. »Töten
will ich die Pañcâlas, die Mörder
meines Vaters, im Schlafe der Nacht — mag ich auch dann als Wurm oder geflügeltes
Insekt Wiedergeburt erlangen!« 3) So entschlossen,
besteigt er seinen Streitwagen und fährt zum feindlichen Lager. Wie
ein Dieb schleicht er sich hinein, während die beiden andern Helden
am Tore des Lagers Wache halten, um jeden, der etwa entfliehen wolle, zu
töten. Er dringt in das Zelt des Dhrstadyumna
(der ihm den Vater getötet), weckt ihn mit einem Fußtritt
auf und erwürgt ihn wie ein Stück Vieh. Dann geht er wie der
Todesgott von Zelt zu Zelt, von Lagerstätte zu Lagerstätte und
mordet einen nach dem andern von den schlafenden und schlaftrunkenen Helden
unbarmherzig hin, darunter auch die fünf Söhne der Draupadî
und den Sikhandin. Noch vor Mitternacht sind
alle Krieger des feindlichen Heeres getötet. Tausende wälzen
sich in ihrem Blute. Râkshasas und
Pishâcas, die nächtschwärmenden,
fleischfressenden Dämonen, kommen scharenweise ins Lager gezogen,
um in dem Fleisch und Blut der Gemordeten zu schwelgen. Als der Morgen
graut, herrscht wieder Totenstille weit über dem Lager.
Die drei Helden aber begeben sich
eiligst zur Stelle, wo noch immer der sterbende Duryodhana
liegt, um ihm die Nachricht von der Hinmetzelung der feindlichen
Krieger zu bringen. Und nachdem dieser vernommen, was für ihn eine
Freudenbotschaft ist, gibt er dankbar und glücklich seinen Geist auf.
1) Dieses bildet den
Inhalt des zehnten Buches (Sauptikaparvan).
2) Vgl. zu dieser
Szene Th.Benfey, Das Pantschatantra I, S.336 ff.
3) X,5,18-27.
— 313 —
Mittlerweile hat Dhrstadyumnas
Wagenlenker, der einzige Überlebende, den Pândavas
die Schreckensnachricht hinterbracht, daß ihre und Drupadas
Söhne ermordet und das ganze Heer vernichtet sei. Yudhishthira
fällt in Ohnmacht und wird nur mit Mühe von den Brüdern
aufrecht erhalten. Dann sendet er um Draupadî
und die andern Frauen der Verwandtschaft. Er begibt sich zum Lager und
bricht bei dem Anblick, der sich ihm darbietet, fast zusammen. Da kommt
auch schon Draupadî, und im ungeheueren
Schmerz um ihre hingemordeten Söhne und Brüder beglückwünscht
sie in Worten bitterster Ironie ihren Gemahl Yudhishthira
zu seinem herrlichen Sieg. Grenzenlos wie ihr Jammer ist aber auch ihr
Ingrimm gegen den Mörder Ashvatthâman
und nicht früher will sie Nahrung zu sich nehmen, als bis diese
furchtbare Tat gerächt ist.
Ob und wie aber im ursprünglichen
Epos die Tat des Ashvatthâman gerächt
wurde, ist aus unserem Mahâbhârata infolge
von Einschiebungen und Entstellungen nicht mehr ersichtlich. In sehr unklarer
und verworrener Weise wird nämlich das Folgende erzählt:
Bhîma
verfolgt den Ashvatthâman, kämpft
mit ihm, zieht aber eigentlich den Kürzeren. Jedenfalls tötet
er ihn nicht, sondern Ashvatthâman gibt
ihm freiwillig ein von Draupadî gewünschtes
Juwel, das ihm am Kopfe angewachsen ist. (Von diesem sonderbaren Kopfschmuck
war vorher nie die Rede.) Er ist ferner im Besitze einer wunderbaren Waffe,
mit welcher er den letzten Sproß des Kurugeschlechtes,
der noch als Embryo im Schoße der Uttarâ,
der Schwiegertochter Arjunas, ruht, vernichtet;
infolge dessen bringt Uttarâ später
ein totes Kind zur Welt, welches aber von Krshna
lebendig gemacht wird. Es ist dies Parikshit,
der Vater jenes Janamejaya, bei dessen Schlangenopfer
das Mahâbhârata zuerst vorgetragen
worden sein soll. Krshna aber verflucht
den Ashvatthâman, daß er dreitausend
Jahre lang — eine Art Ahasver — allein, von allen Menschen gemieden, auf
der Erde herumwandern solle, Blut- und Eitergeruch verbreitend und mit
allen Krankheiten beladen.
Ob etwas von all dem zu dem alten
Gedicht gehört, ist schwer zu sagen. Sicher gehörte wohl noch
die Totenklage dazu.
Die
Totenklage der Frauen 1)
Vergeblich bemühen sich Sañjaya
und Vidura, den blinden alten König
Dhrtarâshtra in seinem
namenlosen Schmerze zu trösten. Immer wieder bricht er zusammen, und
schließlich kommt auch noch Vyâsa,
ihm Trost zuzusprechen. Nun müssen aber die Totenzeremonien für
1) Sie bildet den
Inhalt des elften Buches (Strîparvan).
— 314 —
die Gefallenen vollzogen werden.
Darum läßt der König seine Gemahlin Gândhârî
und die andern Frauen des Hofes holen, und unter lautem Wehklagen
fahren sie zur Stadt hinaus dem Schlachtfelde zu. Auf dem Wege begegnen
sie den drei überlebenden Kauravahelden,
die ihnen von dem fürchterlichen Blutbad erzählen, das sie nächtlicherweile
im Feindeslager angerichtet. Sie verweilen aber nicht, sondern machen sich
aus Furcht vor der Rache der Pândavas
alsbald aus dem Staube. In der Tat kommen auch gleich darauf die
fünf Pândusöhne mit
Krshna des Weges und treffen mit dem
Zug der Trauernden zusammen. Mit Mühe gelingt es dem Krshna,
eine Art Versöhnung zwischen den Pândavas
und dem alten Herrscherpaar herzustellen, so schwer es auch der
Gândhârî fällt, dem
Bhîma zu verzeihen, der ihr von ihren
hundert Söhnen auch nicht einen am Leben gelassen. Doch auch Draupadî
hat alle ihre Söhne verloren, und die Gemeinsamkeit des Schmerzes
trägt zur Versöhnung bei.
Es folgt nun die Klage der Gândhârî,
die sowohl als ein Meisterwerk elegischer Dichtung als auch durch die anschaulichen,
an die Bilder eines Wereschagin erinnernden Schilderungen des Schlachtfeldes
zu den schönsten Teilen des ganzen Epos gehört. Dadurch, daß
der Dichter nicht selbst erzählt, sondern die greise Heldinnenmutter
berichten läßt, was sie mit eigenen Augen schaut 1),
wird das Ganze um so wirkungsvoller.
Der Zug der Trauernden gelangt zum
Schlachtfeld. Entsetzlich ist der Anblick der zerstückelten Leichname,
um welche Raubvögel, Schakale und fleischfressende Dämonen herumschwärmen,
während Mütter und Gattinen der gefallenen Helden jammernd zwischen
den Leichen umherirren. All das sieht Gândhârî,
als sie ihre Klage, die sie an Krshna
richtet, beginnt. Sie erblickt auch den Duryodhana,
und sie erinnert sich mit Wehmut daran, wie er am Vorabend der Schlacht
von ihr Abschied genommen. »Ihm, dem einst schöne Frauen mit
ihren Fächern Kühlung zugefächelt, fächeln jetzt nur
die Raubvögel mit ihren Fittigen.« Mehr aber noch als der Anblick
ihres tapferen Sohnes, mehr als der Anblick aller ihrer hundert Söhne,
die im Staube liegen, denen aber der Himmel gewiß ist, jammern sie
ihre Schwiegertöchter, die in wilder Verzweiflung mit fliegenden Haaren
zwischen
1) Trotzdem ausdrücklich
gesagt wird (XI,16,10 f.), daß Dhrtarâshtra
und die Frauen im Kurukshetra angelangt
sind und das blutige Schlachtfeld vor sich sehen, wird doch am Anfange
des Gesanges erzählt, daß Gândhârî
wegen ihrer frommen Bußübungen durch die Gnade des Vyâsa
ein himmlisches Seherauge bekommen habe, mit dem sie schon aus weiter
Ferne das Schlachtfeld überblicken konnte. Es ist das gewiß
ein der alten Dichtung fremder Zug — der ungeschickte Einfall eines späteren
Pedanten.
— 315 —
den Leichen ihrer Gatten und Söhne
hin und her laufen. Mit zerstückelten Gliedern sieht sie ihren klugen
Sohn Vikarna mitten unter erschlagenen
Elefanten liegen — »wie wenn am herbstlichen Himmel der Mond von
dunklem Gewölk umgeben ist«. Dann sieht sie den jugendlichen
Abhimanyu, Arjunas Sohn,
dessen Schönheit auch der Tod nicht ganz zu zerstören vermocht
hat. Seine unglückliche junge Gattin tritt auf ihn zu, streichelt
ihn, nimmt ihm den schweren Panzer ab, faßt die blutigen Locken zusammen,
legt sein Haupt in ihren Schoß und redet in zärtlichsten Worten
zu dem Toten; sie bittet ihn, wenn er im Himmel mit schönen Götterfrauen
sich erfreue, auch manchmal ihrer zu gedenken. Dann fällt ihr Blick
auf Karna, den Helden, den alle einst
so gefürchtet, und der jetzt da liegt wie ein vom Sturme geknickter
Baum. Darauf sieht sie ihren Schwiegersohn, den Sindhukönig
Jayadratha, dessen Frauen vergebens die gierigen
Raubvögel von dem Leichnam zu verscheuchen suchen, während ihre
eigene Tochter Dushshalâ jammernd den
Kopf ihres Gemahls sucht. Dort wieder sieht sie den Madrakönig
Shalya liegen, dessen Zunge gerade von Geiern
zerfressen wird, während um ihn herum seine jammernden Frauen sitzen,
»wie brünstige Elefantenweibchen um den im Sumpf versunkenen
Elefanten«. Auch Bhîshma sieht
sie auf seinem Pfeilbett liegen — »diese Sonne unter den Menschen
geht zur Rüste, wie die Sonne am Himmel untergeht«. Und nachdem
sie noch Drona und Drupada
und alle die großen Helden, die da gefallen sind, beklagt
hat, wendet sie sich mit zornigen Worten an Krshna
und macht ihm Vorwürfe, daß er die Vernichtung der Pândavas
und Kauravas nicht verhindert habe.
Und sie spricht den Fluch über ihn aus, daß er sechsunddreißig
Jahre später die Vernichtung seines eigenen Geschlechtes verursachen
und selbst elend in der Wildnis zugrunde gehen solle.
Darauf gibt Yudhishthira
den Befehl zum Vollzug der Leichenzeremonien für sämtliche Gefallene.
Scheiterhaufen werden errichtet, Butter
und Öl darauf gegossen. Wohlriechende Hölzer und kostbare
Seidenkleider, zerbrochene Wagen und
Waffen werden mit den Leichen
verbrannt. Nach Vollzug der Riten und Totenklagen, wobei auch
der Fremden und Freundlosen nicht vergessen wird, begeben sich alle
zum Ufer des Ganges, um den Toten die üblichen Wasserspenden
darzubringen.
Hier wird wohl das alte Gedicht
geendet haben. Unser Mahâbhârata verfolgt
die Geschichte der Helden noch weiter.
Das
Pferdeopfer 1).
Gelegentlich der Darbringung der
Totenspenden hat Kuntî ihrem Sohn Yudhishthira
erst mitgeteilt, daß auch Karna ein
Sohn von ihr
1) Dieses bildet den
Inhalt des vierzehnten Buches (Ashvamedhikaparvan).
Über die Bücher XII u. XIII siehe weiter unten.
— 316 —
gewesen sei, und fordert ihn auf,
ihm als dem ältesten Bruder auch Wasserspenden zu weihen. Yudhishthira
ist nun sehr betrübt, daß er nicht nur den Untergang so vieler
Verwandten und Freunde verschuldet, sondern an Karna
sogar einen Brudermord begangen habe. Ganz untröstlich, gibt
er die Absicht kund, in den Wald zu gehen und Asket zu werden. Vergebens
reden ihm seine Brüder und Krshna zu,
die Regierung zu übernehmen — er beharrt auf seinem Entschlusse, bis
endlich Vyâsa kommt und ihm den Rat
erteilt, ein Pferdeopfer darzubringen und sich dadurch von seinen Sünden
zu reinigen. Diesen Rat befolgt Yudhishthira.
Die Vorbereitungen zu dem großen Opfer werden getroffen. Wie es das
Ritual verlangt, wird das Opferpferd freigelassen, um ein Jahr lang nach
Belieben herumzustreifen. Arjuna ist dazu
ausersehen, das Pferd zu begleiten und zu beschützen. Von Land zu
Land folgt er dem Rosse über die ganze Erde hin. Auf dieser Wanderung
hat er viele Kämpfe zu bestehen, denn allenthalben trifft er auf Stämme,
deren Krieger in der Kuruschlacht besiegt
worden sind, und die sich ihm nun feindlich entgegenstellen. Er vollführt
große Heldentaten, vermeidet aber soviel als möglich unnützes
Blutvergießen und lädt alle unterworfenen Könige zum: Roßopfer
ein. Nach einem Jahr kehrt er mit dem Opferroß nach Hastinâpura
zurück, wo er mit Jubel empfangen wird. Nun beginnt das Opferfest,
zu dem von allen Seiten die geladenen Könige herbeiströmen. Das
Pferd wird unter genauer Beobachtung aller Ritualvorschriften geschlachtet
und im Feuer geopfert. Die Pândavas
atmen den Rauch des verbrannten Markes ein, wodurch alle ihre Sünden
getilgt werden. Nach Vollendung des Opfers schenkt Yudhishthira
dem Vyâsa »die ganze Erde«.
Großmütig gibt dieser sie ihm wieder zurück und fordert
ihn auf, den Priestern nur recht viel Gold zu schenken. Nachdem Yudhishthira
dem entsprechend Unmassen Goldes an die Priester verschenkt hat, ist er
von Sünden rein und herrscht von da an als ein guter und frommer König
in seinem Reich.
Dhrtarâshtras
Ende.
Der alte König Dhrtarâshtra
1) wird aber immer noch
als Haupt der Familie in allen Angelegenheiten um Rat gefragt, und er und
seine Gemahlin Gândhârî werden
stets hoch in Ehren gehalten. So lebt der alte König noch fünfzehn
Jahre lang am Hofe des Yudhishthira
im besten Einvernehmen mit den Pândavas,
welches nur durch das Verhältnis zu Bhîma
einigermaßen gestört wird. Ihm, der ihn aller seiner Söhne
beraubt hatte, konnte der König nie ganz vergeben, und auch der trotzige
Bhîma kränkte nur zu oft seinen
greisen Onkel durch unziemliche Rede. So faßte denn nach fünfzehn
Jahren der alte König den Entschluß, sich als Einsiedler in
den Wald zurück-
1) Hier beginnt das
fünfzehnte Buch (Ashramavâsikaparvan).
— 317 —
zuziehen. Nur ungern gibt Yudhishthira
seine Einwilligung dazu. Aber Krshna
sagt, es sei von jeher die Sitte frommer Könige gewesen, entweder
als Krieger auf dem Schlachtfeld oder als Einsiedler im Walde zu sterben.
So ziehen denn Dhrtarâshtra und
Gândhârî in den Wald, und
ihnen schließen sich auch Kuntî,
Sañjaya und Vidura
an. Nach einiger Zeit besuchen die Pândavas
ihre Verwandten in der Waldeinsiedelei, da stirbt gerade der weise
Vidura. Zwei Jahre später gelangt zu
den Pândavas die Nachricht, daß
Dhrtarâshtra, Gândhârî
und Kuntî bei einem Waldbrande umgekommen
sind, während Sañjaya sich in
den Himâlaya begeben hat.
Untergang
des Krshna und seines Volkes 1).
Sechsunddreißig Jahre nach
der großen Schlacht im Kurufelde kommt
den Pândavas die traurige Nachricht
zu, daß der Fluch der Gândhârî
2) in Erfüllung gegangen und Krshna
samt seinem Geschlecht zugrunde gegangen ist. Bei einem Trinkgelage geraten
zwei Sippenhäuptlinge miteinander in Streit, in den sich bald andere
mischen. Ein allgemeiner Keulenkampf entsteht — Riedgräser werden
von Krshna in Keulen verwandelt —,
und die Männer der Yâdavasippen
bringen einander um. Krshna sieht sich
nach seinem Bruder Baladeva um, kommt aber
gerade zu dessen Sterbestunde. Eine weiße Schlange läuft aus
Baladevas Munde und eilt zum Ozean 3),
wo sie von den berühmtesten Schlangendämonen empfangen wird.
Da legt sich Krshna im öden Walde
hin und versinkt in tiefes Nachdenken. Hier wird er von einem Jäger
namens Jarâ (d.h. »Alter«)
für eine Antilope gehalten und mit seinem Pfeile in die Fußsohle
— der einzigen Stelle, wo er verwundbar ist — getroffen und getötet.
Der
Pândavas letzte Reise.
Über den Tod ihres treuen Freundes
sind die Pândavas untröstlich,
und bald nachher beschließen sie, ihre letzte Reise anzutreten 4).
Yudhishthira setzt den Parikshit
zum König ein und nimmt von den Untertanen Abschied. Darauf
wandern die fünf Brüder mit ihrer Gemahlin Draupadî,
alle in Bastgewänder gekleidet, nur von einem Hunde gefolgt, in den
Himâlaya, übersteigen denselben
und gelangen
1) Erzählt im
sechzehnten Buche (Mausalaparvan).
2) S.oben S.315.
3) Ein schönes
Beispiel von der bei so vielen Völkern verbreiteten Vorstellung
der Seele in Form einer Schlange. Auch in der deutschen Sage
von König Guntram läuft die Seele in Form einer Schlange aus
demMunde des schlafenden Königs
in einen Berg.
4) Damit beginnt das
siebzehnte Buch (Mahâprasthânikaparvan).
— 318 —
zum Götterberg Meru.
Auf dem Weg zum Himmel fällt zuerst Draupadî
tot hin, dann Sahadeva, hierauf Nakula,
bald auch Arjuna und zuletzt Bhîma.
Dann kommt Indra auf seinem Götterwagen
einhergefahren, um den Yudhishthira
in den Himmel zu holen 1). Dieser will aber nicht
mitkommen, da er ohne seine Brüder nicht im Himmel sein wolle. Da
verspricht ihm Indra, daß er die Brüder
sowohl als auch Draupadî im Himmel wiedersehen
werde. Yudhishthira besteht aber darauf,
daß auch sein Hund in den Himmel mitkommen müsse, was Indra
durchaus nicht zugeben will. Endlich gibt sich der Hund als Gott
Dharma zu erkennen und zeigt seine große
Befriedigung über die Treue des Yudhishthira.
So kommen sie denn in den Himmel, wo aber Yudhishthira
durchaus nicht bleiben will, da er weder seine Brüder noch Draupadî
dort sieht. Da er nun gar 2) den Duryodhana
auf einem himmlischen Thron sitzend und von allen geehrt erblickt,
will er von dem Himmel schon gar nichts mehr wissen und verlangt in die
Welten geführt zu werden, wo seine Brüder und Helden wie Karna
sich befänden. Da geben ihm die Götter einen Boten mit,
der ihn in die Hölle führt, wo er die entsetzlichen Qualen der
Verdammten sieht. Schon will er sich von dem schauderhaften Anblick abwenden,
da hört er Stimmen, die ihn anflehen, zu verweilen, da ein wohltuender
Lufthauch von ihm ausgehe. Voll Mitleid fragt er die Gequälten, wer
sie seien, und erfährt, daß es seine Brüder und Freunde
sind. Da erfaßt ihn Schmerz und Zorn über die Ungerechtigkeit
des Schicksals, und er schickt den Boten zu den Göttern mit der Erklärung
zurück, daß er nicht in den Himmel gehen, sondern in der Hölle
bleiben wolle. Bald aber kommen die Götter zu ihm herab, und Indra
erklärt ihm, daß diejenigen, welche am meisten gesündigt
haben, erst in den Himmel kommen und dann in die Hölle geschickt werden,
während diejenigen, welche nur wenige Sünden begangen haben,
diese zuerst in der Hölle rasch abbüßen, um dann zur ewigen
Seligkeit in den Himmel einzugehen. Er selbst habe wegen seiner Täuschung
des Drona die Hölle besuchen müssen,
und ebenso hätten seine Brüder und Freunde ihre Sünden in
der Hölle abzubüßen ge-
1) In einem Aufsatze
»Points de contact entre Mahâbhârata
et le Shâh-nâmah«
(Journal Asiatique, Serie 8toe, t.X, 1887, p.38 ff.) hat J.Darmesteter
die Himmelfahrt des Yudhishthira mit
dem Verschwinden des Kai Khosru im persischen
Heldenepos verglichen. Auch Kai
Khosru steigt auf einen hohen Berg, um lebendigen Leibes
in den Himmel zu gelangen.
Sowie Yudhishthiras Brüder, so
gehen auch die den Kai
Khosru begleitenden Pehlewanen auf
dem Wege zugrunde. Dennoch sind die beiden Episoden so grundverschieden,
daß ich an einen Zusammenhang
nicht glaube. (Vgl. auch Barth in Revue
de l'Histoire des Religions t.19, 1889, p.162 ff.).
2) Hier beginnt das
achtzehnte (letzte) Buch (Svargârohanaparvan).
— 319 —
habt. Alsbald verschwindet aber
der ganze Höllengräuel: sie befinden sich alle im Himmel und
nehmen Göttergestalt an 1).
Diese hier kurz skizzierte Haupterzählung
macht ungefähr die Hälfte der achtzehn Bücher des Mahâbhârata
aus 2). Die andere Hälfte entfällt
auf jene teils erzählenden, teils belehrenden Bestandteile des Werkes,
welche zum Kampf der Kauravas und der Pândavas
in gar keiner oder nur ganz loser Beziehung stehen. Über diese
soll in den folgenden Kapiteln berichtet werden.
Alte
Heldendichtung im Mahâbhârata.
Zu den Aufgaben der altindischen
Barden gehörte es auch, die Stammbäume der Könige zu verfolgen
oder — wenn es nötig war — solche zu erdichten. Genealogische Verse
(anuvamsha-shloka) bilden daher
einen wesentlichen. Bestandteil der alten Heldendichtung.
Und das erste Buch des Mahâbhârata
enthält einen ganzen Abschnitt, Sambhavaparvan,
»Abschnitt von den Ursprüngen«, betitelt, in welchem die
Genealogie der Helden bis auf ihre ersten, von den Göttern, abstammenden
Urahnen zurückverfolgt wird, wobei manche interessante Sagen von diesen
alten Königen der Vorzeit erzählt werden. Selbstverständlich
kann unter diesen Vorfahren der zum Bhâratageschlecht
gehörigen Kauravas und Pândavas
jener Bharata nicht fehlen, von dem
das Mahâbhârata selbst seinen
Namen hat. Bharata ist aber der Sohn des Königs
Dushyanta und der durch Kâlidâsas
Drama so berühmt gewordenen Shakuntalâ,
deren Geschichte denn auch im Sambhavaparvan erzählt
wird.
1) Vgl. zu dieser Episode
auch Lucian Scherman, Materialien zur Geschichte der indischen Visionslitteratur,
Leipzig 1892, S.48 ff.
2) Die achtzehn Parvans
oder Bücher des Mahâbhârata
enthalten zusammen 2109 Adhyâyas oder
Gesänge; von diesen entfallen 1070 auf die Haupterzählung.
[. . .]